Wenn es um Wissenschaftskommunikation geht, registriert sich Christoph Pieh sogar auf Instagram. Pieh leitet an der Universität für Weiterbildung Krems das Department für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Der Facharzt für Psychosomatische Medizin versucht, sich in Social Media nicht so stark hineinziehen zu lassen. Schließlich kennt er etliche Studien und hat selbst mehrmals untersucht, dass sie ein Zeitfresser sind, Suchtverhalten befördern und nicht zu unserem Wohlbefinden beitragen. Es ist belegt, dass jede Stunde länger am Smartphone hängen und Social Media glotzen die Häufigkeit depressiver Symptome und Schlafstörungen steigert.
Selbst kein heavy user, bekommt er dennoch viel mit, weil Patient*innen mit einer Meinung in die Universitätsambulanz kommen, die sie sich auf Social Media gebildet haben. Mental Health wird dort häufig besprochen: Ursachen, Selbstdiagnosen und Behandlungsoptionen von psychischen Problemen und Erkrankungen breit verhandelt, gelobt und verdammt. Der Diskurs basiert allerdings selten auf wissenschaftlichen Fakten. Das war der Gründungsgedanke für „BrainFakt“, den wissenschaftlichen Podcast über psychische Gesundheit, den Christoph Pieh seit August 2024 gemeinsam mit dem TV-und Radiomoderator Thomas Kamenar etwa alle zwei Wochen veröffentlicht.

Meinung versus Ahnung
„Meinungsbildung passiert heute zunehmend über Social Media – auch die Informationen dafür stammen von dort. Wenn Informationen ansprechend aufbereitet werden, berührt uns das als Menschen, und wir glauben eher daran. Der Großteil der bunten Infos über psychische Gesundheit ist aber wissenschaftlich entweder so verkürzt, dass sie missverständlich sind, komplett falsch oder unwahr“, lautet sein Befund. Im Podcast betreibt er also Wissenschaftskommunikation, bietet ein faktenbasiertes Pendant an und geht vertieft in Themen, die viele betreffen: „Es geht ja nicht um die beste Topfentorte. Wir würden uns auf Youtube eher nicht die Bauanleitung für einen Herzschrittmacher anschauen, und das dann nachmachen“, betont Pieh. Es gibt von Expert*innen ausgearbeitete und geprüfte Leitlinien für Ärzt*innen und Patient*innen, die wenig verbreitet werden. Stattdessen werden Therapieoptionen beeinflusst und Menschen von wirksamen Maßnahmen abgehalten: „Jeder darf Erfahrungen teilen. Aber es bilden sich auf Social Media Parallelstrukturen durch Menschen ohne vertiefte Ausbildung und Expertise – das gefällt mir nicht.“

Der Podcast „BrainFakt“ ist ein Spin-off der Kommunikations-Kampagne „istokay.at“, die vom Land Niederösterreich gefördert wurde. Ausgangspunkt dafür waren schockierende Umfrageergebnisse unter 3.000 Schüler*innen, die während der Homeschooling-Zeit 2021 und 2022 publiziert wurden. Die Häufigkeit depressiver Symptome, Angstsymptome und Schlafstörungen hatten sich im Vergleich zu den Vor-Corona-Erhebungen verfünf- bis verzehnfacht. Für „istokay“ produzierten Pieh und Kamenar gemeinsam Video-Content, der jungen Menschen zwischen 12 und 18 eine Orientierung und Anleitung im Gefühlsleben geben kann.

Brainf*%&?ed oder was?
Kamenar & Pieh wäre eine Möglichkeit gewesen, hätte aber niemanden hinter dem Ofen hervorgelockt. Die Konzeptidee: Der wissende Laie bringt persönliche Aspekte ein, der Experte wissenschaftliche Fakten – präsentiert wird der Inhalt einer Vorlesung in einem Gespräch. Aufgezeichnet wird aus Zeitgründen meist am Wochenende, und die Vorbereitungsstunden zählt Christoph Pieh bewusst lieber nicht.
Mit Feedback und Downloads des kleinen Projekts – ohne Marketingbudget – (rund 4000 in 4 Monaten), ist Christoph Pieh zufrieden: „Wir hatten unsere Studierenden als Zielgruppe im Kopf, Menschen zwischen 18 und 29 Jahren, aber es hören uns auch ältere Personen. Wir machen sicher weiter und wollen eine Podcastförderung beantragen.“ In den ersten Folgen wurden Themen wie Stress, Angst, Schmerz, Schlaf- und Essstörungen sowie Depressionen gewählt, die viele Personen betreffen und in Piehs Fachgebiet fallen. Künftig wollen sie aber auch Wünsche berücksichtigen – etwa Folgen zu Psychoonkologie oder Demenz – und dann vielleicht andere Expert*innen dazubitten. Es ist Christoph Pieh hörbar ein Anliegen, abgesicherte therapeutische Empfehlungen zu verbreiten und die Selbstwirksamkeit zu stärken. Fakt ist aber, dass bei uns die psychischen Symptome, Belastungen und Diagnosen ansteigen – bei jungen Menschen proportional stärker als bei älteren Menschen. Das Warum ist nicht leicht zu beantworten, aber mehr Gesundheitskompetenz auch für die Seele schadet sicher nicht. Hören Sie selbst!
Astrid Kuffner