Blickt man anders auf die Gemälde der US-Amerikanerin Susan Rothenberg, wenn man über ihre verhinderte Karriere als Tänzerin Bescheid weiß? Jedenfalls zeichnet viele von ihnen eine physische Präsenz aus, mit der sie ihrem Publikum nahe rücken. Davon kann sich derzeit das Publikum der Kunsthalle Krems in ihrer Ausstellung überzeugen.

Go-Go-Tänzerin in New York
1945 in Buffalo, New York, geboren, zog es Susan Rothenburg ursprünglich zum Tanz. Sie arbeitete sogar als Go-Go-Tänzerin, wie sie einmal dem Kurator Michael Auping erzählte. Dies ist im Ausstellungskatalog nachzulesen. So erzählte sie ihm: „Ich hatte eine Menge innerer Energie, die rausmusste, und ich gehe die Dinge gern körperlich und direkt an, und Tanzen und Performance waren eine Art, das zu tun.“ Später sollte sie auch mit der epochalen Performancekünstlerin Joan Jonas arbeiten.
Als Malerin startete Susan Rothenberg nach einem Kunststudium an der Cornell University in Ithaca, New York, und weiteren Studien in Washington, D.C. durch – und zwar mit einem unvermuteten Sujet: Pferde. Diese zeigte sie erstmals 1975 in der New Yorker Galerie 112 Greene Street unter dem selbstbewussten Titel „Three Large Paintings“. Sie sollten zu ihrem Markenzeichen werden: strauchelnde, stehende, springende, galoppierende Pferde, die sie bisweilen mit einem entschiedenen Kreuz durchstrich, oft skizzenhaft in schmutziges Weiß setzte.

Mystische Wesen
In der damaligen New Yorker Kunstszene, die von Minimal Art und Performance dominiert war, wirkte diese Geste wie eine Verweigerung. Oder aber: eine Rückkehr zur Figuration. Wie Michael Auping, der Jahrzehnte mit ihr befreundet war, in einem Interview sagte: „Es war so anders als alles, was ich vorher gesehen hatte, erinnerte an Höhlenmalerei, und schien gleichzeitig aus der Zukunft zu kommen.“ Kunst schaue gleichzeitig zurück und nach vor, meinte Auping damals. Rothenberg selbst erzählte ihm: „Diese mystischen Wesen, die sich in einer dunklen Höhle bewegten oder dort auf einen warteten, waren inspirierend.“ Florian Steininger, der künstlerische Leiter der Kunsthalle Krems und Kurator der Ausstellung, übernahm von Rothenberg für diese Arbeiten den treffenden Begriff „gefrorene Energie“.

Doch ihr Oeuvre hat weitaus mehr Facetten. Kurioserweise galten die Pferdegemälde, die sie 1975 zeigte, bereits 1982 als historisch, wie Steininger im Katalog anmerkt. In diesem Jahr war sie damit in der Ausstellung „Zeitgeist“ im Martin Gropius-Bau in Berlin vertreten, die erstmals in Europa in großem Stil die neoexpressionistischen Tendenzen in der Malerei vorstellte. Dass Rothenberg die einzige Künstlerin dort war, sagt mehr über den damaligen Kunstbetrieb als über die Malerinnen dieser Zeit aus. Doch Rothenberg konnte sich etablieren, stellte in den renommiertesten Galerien wie etwa Sperone Westwater in New York aus, ebenso wie in den wichtigsten Museen weltweit, vom Museum of Modern Art abwärts. Und Barack Obama wählte eines ihrer Gemälde sogar für seine Privaträume im Weißen Haus aus.
Von oben herab
Als die Pferde nicht mehr das einzige ihrer Sujets waren, malte Susan Rothenberg das, was sie umgab – beispielsweise ihr Studio, aus ungewöhnlichen Perspektiven, oft von oben. In einem Film aus dem Jahr 2005, der sie in ihrem Atelier zeigt, stehen Leitern herum. Diese bestieg sie bisweilen, um die Dinge von oben sehen zu können. Damals lebte sie schon lange nicht mehr in New York, wo sie ein Loft in SoHo bewohnt hatte, sondern in New Mexico. 1989 war sie in den Ort Galisteo gezogen. Dort lebte ihr zweiter Mann, der ebenfalls sehr erfolgreiche Künstler Bruce Nauman. In dieser Umgebung, die auch ihre älteren Kolleginnen Georgia O’Keeffe und Agnes Martin so geprägt hatte, malte sie Körperteile von Menschen und Tieren, skelettartige Formen an der Grenze zur Abstraktion, Vögel, Interieurs mit Personen, denen Körperteile fehlen, Marionetten, aber auch Porträts. Florian Steininger schreibt: „Bei Rothenberg fließt zwar das gleißend helle Licht und die braun-trockene Wüstenregion in ihre Malerei ein, dennoch können auch kräftige Rot-, Gelb- und Grüntöne die Bilder bestimmen, wie besonders in den Interieurarbeiten.“

„Ein absolutes No-Go!“
Kurz nach ihrem Tod 2020 publizierte das New Yorker Museum of Modern Art auf seiner Website Erinnerungen von Kolleg:innen und Kurator:innen an Susan Rothenberg. Eine jüngere Malerin, Amy Sillman, nahm ihre eigenen früheren Vorurteile aufs Korn: „Große, pinselartige, stark bearbeitete, romantische Gemälde? Über Gefühle? Von einer Frau, mit Sujets, die irgendwie blöde und banal waren? Ein absolutes No-Go! Aber ich glaube nicht, dass ich mir in den 1970er-Jahren hätte vorstellen können, ohne ihre Arbeit voranzukommen.“
Die Kunsthalle Krems zeigt nun 31 Gemälde und Papierarbeiten aus fünf Jahrzehnten. Es ist die erste umfassende monografische Ausstellung von Susan Rothenberg, dieser wegweisenden Malerin, in Österreich. Damit schließt das Haus an seine erfolgreiche Schau der Abstrakten Expressionistin Helen Frankenthaler 2022 an, damals ebenfalls ein Debüt. Endlich wird die Präsenz von Künstlerinnen, die in jungen Jahren Rothenbergs noch die Ausnahme war, Normalität. Vielleicht nicht überall, aber jedenfalls in der Kunsthalle Krems.