„Passionate about improving Healthcare Systems“ lautet der Claim der LinkedIn-Bio von Doris Behrens, seit 2021 Professorin für Healthcare Management der Universität für Weiterbildung Krems. An der Schnittstelle von Menschen mit ihren Emotionen und kühlen Berechnungen entscheidet sich, wann und wie mathematische Modellierung spürbare Verbesserungen im Gesundheitswesen erbringen kann: für die Patient*innen UND das Personal. Technisch ginge das heute oder gleich morgen in der Früh, aber Wandel in gewachsenen Strukturen braucht gute Argumente und eine gewisse Dringlichkeit. Österreich ist stolz auf ein Gesundheitssystem, das viel kostet und viel leistet, und ist entsprechend argwöhnisch gegenüber möglichen Veränderungen. Deshalb legen wir für diese Vision den Zeitraum bis 2030 fest.
„Es gibt keine Spitzenmedizin ohne die meist unsichtbaren Prozesse davor, danach und währenddessen. Eine gelungene technisch-anspruchsvolle Operation ist nichts ohne präzise Ablaufplanung, prä- und postoperative medizinische Versorgung, therapeutische Begleitung und qualifizierte Pflege mit Augenmerk auf zahllose Faktoren, die eine Genesung ermöglichen“, stellt die Mathematikerin klar und ergänzt: „Es sind komplementäre Schienen, von denen einige weniger wertgeschätzt werden. Hier anzusetzen, um Prozessabläufe und deren Koordination zu verbessern ist nicht sexy, zeigt aber sehr große Wirkung.“ Doris Behrens hat schon verschiedene Bereiche erfolgreich optimiert: von der Drogenprävention bis zur Desinfektion von Operationsbesteck, People Management im Gesundheitssystem, Schulgesundheit und Community Nursing ebenso wie den Transport von Patient*innen und Ausstattung bis zum baulichen Setting von Stationen.

Kostensenkung als Nebenprodukt
Die stellvertretende Dekanin der Fakultät für Gesundheit und Medizin schafft noch eine zweite Fehleinschätzung aus der Welt. Einen Ablauf zu optimieren, bedeutet nicht automatisch Kostensenkung, Mangelwirtschaft und weniger Komfort: „Das Ziel ist effektivere Patient*innenversorgung, nicht die Einsparung. Wir wollen sicherstellen, dass bei der Verteilung der Mittel im Gesundheitswesen weniger Reibungsverluste entstehen. Effizienz kann eine wünschenswerte Begleiterscheinung gut abgestimmter Prozesse sein, nicht deren primäres Ziel.“
Effektivität bedeutet – ins Menschliche übersetzt – sicheres, zeitnahes und patientenzentriertes Arbeiten, mehr Wohlbefinden, weniger Fehlleistungen wie etwa ein inkompatibler Medikamentenmix, Stürze, Wundliegen, Krankenhauskeime oder Doppelbefundungen.
Visualisierungen können helfen, Flaschenhälse in der Versorgung oder Brennpunkte eines Infektionsgeschehens sichtbar zu machen. Wenn Doris Behrens und ihr Team Ergebnisse präsentieren, sagen sie, was sie feststellen: „Wir sind gleichsam externe Augen und Ohren – und Datendetektive. Wir sagen nie, was alle Beteiligten tun sollen. Das wissen sie, wenn das Problem verstanden wird, im Regelfall besser.“ Datenschutz ist ihrer Erfahrung nach oft eine Schutzbehauptung, um Zahlen nicht herausgeben zu müssen. Viele heikle Daten lassen sich gut anonymisieren, manches wird schlicht zu aggregiert erhoben. Was es allerdings braucht, ist eine Person, die weiß, welche Daten gebraucht werden und entsprechend anonymisiert aufbereitet. Für die Modellierung wird mit Algorithmen gearbeitet, deren Ausgangspunkt meist eine reichhaltige Excel-Tabelle ist, aber auch mit Schrittzählern und „Shadowing“ – also der Beobachtung von Abläufen, Wegen und Wartezeiten.

Puffer in der Planung
Durchschnittswerte bewähren sich für die Planung im Gesundheitswesen übrigens nie, weil Kapazitäten so systematisch unterschätzt werden. Durch „natürliche“ Schwankungen braucht es immer einen Puffer. „Ich kann Prozesse standardisieren und optimieren, aber nicht Patient*innen!“, so Doris Behrens. Sie hat auch in den USA und UK gearbeitet und weiß daher um die Bedeutung der Kultur, wenn es um Themen wie Hierarchie, Innovation, Finanzierung oder Fehler geht. Die Fachfrau kann zudem, wie viele andere, auf eigene Erfahrungen als Patientin zurückgreifen. Wenn die Entscheidung gefallen ist, eine Optimierung zuzulassen, kann die Verbesserung relativ rasch greifen. Es braucht jedoch zu Beginn Zeit, um das Problem zu verstehen und Personen an Bord zu holen, bevor Lösungen angeboten werden. Ein gutes Beispiel dafür ist der Fachkräftemangel in Pflege und Medizin im ländlichen Raum, bei dem auch die aktuelle Ausbildung zum ärztlichen Spezialisten oder zur Spezialistin in einem Teamgefüge und die regionale Strukturplanung in Hinblick auf Schwerpunktkrankenhäuser eine Rolle spielen.

Ein gemeinsames Bild
Weil kompetente Menschen bei Change Prozessen besser nicht übergangen werden, sind im laufenden Forschungsprojekt Gesundheit.Region.Waldviertel Workshops mit verschiedensten Stakeholdern geplant. Zunächst wird also versucht, ein gemeinsames Bild der Ausgangslage zu schaffen, dem tatsächlich alle zustimmen können. Gemeinsam werden geschlossene „Wirkungsketten“ beleuchtet, etwa die Wege der Patient*innen zwischen Sozial- zum Gesundheitssystem, vom Hausarzt bis ins Krankenhaus und zurück. „Dabei erkennen wir einerseits die tatsächliche Ursache von Problemen und nicht nur deren Symptome. Wir finden die Punkte im Gesundheitssystem, wo wir durch Maßnahmen die größten positiven Effekte erzielen können. Andererseits gibt es überall nicht aufeinander abgestimmte Abläufe, die man fein optimieren könnte, die aber viele in ihrer Wichtigkeit noch nicht am Radar haben“, so Behrens. Erst dann können Pilotprojekte zur Optimierung angekoppelt werden und letztlich eine Art Blaupause für andere Regionen in Niederösterreich entstehen. Im Waldviertel soll herausgefunden werden, wie ein System konfiguriert sein müsste mit Fokus auf ältere Menschen, die möglichst selbstbestimmt und lange zuhause leben wollen. Dabei verlässt sie sich lieber auf Effekte, die sich in der Auswertung zeigen, als auf Gefühle.
Astrid Kuffner