„Manche entspannen bei Heavy Metal“

Wie erleben wir Lärm und Stille? Ist es heute lauter als früher? Wie filtert das Gehirn, was wir hören? art & science krems fragt nach bei der Musikerin Beate Wiesinger und dem Ohrenarzt Markus Brunner.
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Im Dialog mit Nina Schedlmayer und Astrid Kuffner

ask – art & science krems: Die WHO definiert jedes atmosphärische Geräusch ab 65 Dezibel als Lärmbelastung. Ein bellender Hund erreicht 60 bis 80 Dezibel. Wie sehr lärmt die Gegenwart?

Markus Brunner: Die reine Dezibelangabe greift zu kurz. Man denke an Musik: Sie kann laut sein und dennoch kein Lärm. Es geht darum, ob das Geräusch angenehm ist, und das ist völlig subjektiv. Für manche sind Motorengeräusche Musik in den Ohren – oder ein Flugzeug, das im Katastrophenfall Hilfe bringt.

Beate Wiesinger: Lärm und Lautstärke sind definitiv subjektive Empfindungen. Wenn man mit mehreren Personen in einem Klangkörper musiziert, halten sich manche Musiker*innen bei einigen Passagen beim Proben schon mal die Ohren zu, andere empfinden das als ganz normal. Lautstärke gab es als musikalischen Ausdruck schon immer. In gewissen Genres ist das die Hauptaussage und wird provoziert. Es kommt sicher auf Hörgewohnheiten und -vorlieben an. So eine Provokation an der Schwelle zum Unangenehmen empfinden manche als total reizvoll. Es gibt Festivals und Subkulturen, die sich genau darum drehen: die Dezibelzahl zu überschreiten ist da Programm. In der experimentellen Musik spielen auch „Geräusche“ eine große Rolle. Es gibt so viele feine Abstufungen von dunkel bis schrill, und das kann auf die Magengrube oder am Trommelfell wirken.

Im Dialog - Gespräch zwischen Experten
Beate Wiesinger erzählt im Gespräch mit ask – art & science krems, dass Lärm und Lautstärke definitiv subjektive Empfindungen sind. Wenn man mit mehreren Personen in einem Klangkörper musiziert, halten sich manche Musiker*innen bei einigen Passagen beim Proben schon mal die Ohren zu, andere empfinden das als ganz normal.

ask – art & science krems: Wäre es beim gemeinsamen Musizieren denn legitim, sich die Ohren zuzustoppeln, oder schneidet man sich da vom Erleben ab?

Wiesinger: Das ist unterschiedlich: Manche können gut mit Gehörschutz arbeiten, ich könnte das nicht. In einer Big Band zum Beispiel sind die Saxophone in der ersten Reihe und die Trompeten in der letzten Reihe. Sie spielen auf Ohrenhöhe der anderen – das kann ein Problem werden – manche ducken sich sogar.

Brunner: Einfache Ohrstöpsel sind für das Musikhören nicht ideal, da sie die verschiedenen Frequenzen unterschiedlich stark abmindern. In der Hörgeräteakustik gibt es inzwischen frequenzneutralen Gehörschutz, der über alle Frequenzen den Schalldruck gleich reduziert. Die werden individuell an den Gehörgang angepasst und liefern ein sehr authentisches Musikerlebnis.

ask – art & science krems: Vor Konzerten oder im Theater bekommt man heute oft Gehörschutz angeboten. Was ist davon zu halten?
Wiesinger: Das Bewusstsein hat sich einfach geschärft. Ich kenne diese Thematik auch vom Musikunterricht. Heute würde man einen Siebenjährigen ohne Gehörschutz nicht in die Schlagzeugstunde schicken. Da wird heute mehr darauf geachtet.

ask – art & science krems: Wer ist denn besonders betroffen? Ist Lärmbelastung schlimmer als Kind oder im höheren Alter?

Brunner: Laute Geräusche schädigen das Sinnesorgan mechanisch – das ist unabhängig vom Alter. Kinder sind jedoch von den Folgen länger betroffen. Mit der altersbedingten Hörstörung wird jedenfalls die Behaglichkeitsschwelle kleiner. Man braucht es relativ laut, um etwas zu hören, aber ein wenig lauter kann schon unangenehm und schmerzhaft sein.

Wiesinger: Manche hören Musik zum Lernen, aber eigentlich muss das Gehirn da andauernd Impulse unterdrücken oder priorisieren.

Brunner: Ja, beim Hören wird Rechenleistung gebunden, aber Stille ist zum Lernen oder Entspannen auch nicht für alle ideal. Die Schwellen für das Hören sind gleich, aber was das Gehirn mit den gelieferten elektrischen Impulsen macht, ist wirklich äußerst individuell.

Wiesinger betont die Individualität des Menschen: Manche lernen mit Musik, aber das Gehirn muss dabei ständig Impulse unterdrücken oder priorisieren.

ask – art & science krems: Wie unterscheiden sich Gehörschäden der 1980er mit dem Walkman von jenen der 2000er, mit mp3-Player und iPod?

Brunner: Insgesamt gab es durch den Walkman sicher mehr Hörstörungen, vor allem, weil die Lautstärke bei den Kopfhörern damals nicht begrenzt war. Heute ist sie gedeckelt. Man wird gewarnt, dass man den sicheren Bereich verlässt. Hörschäden durch Musikhören mit Kopfhörern sind generell ein Thema – bei Musikern sind lärmbedingte Hörstörungen oder ein Tinnitus besonders häufig.

Wiesinger: Der Musiker*innen-Alltag besteht ja meist aus Reisen und sich einstellen auf neue Situationen. Kurze Phasen extremer Konzentration treffen auf meist längere Wartezeiten oder eben auch auf akustische Belastung – das verlangt einem viel ab. In dieser Berufsgruppe ist dieses Thema natürlich häufig verbreitet. Da gibt es auch ganz unterschiedliche Coping-Mechanismen, wie mit der psychischen Belastung durch Ohrgeräusche im Berufsalltag umgegangen wird. Ich persönlich habe glücklicherweise diesbezüglich noch keine Erfahrungen.

Brunner: Insbesondere bei der verstärkten Musik kann ich mir das gut vorstellen oder auch in großen Ensembles. Der Tinnitus kann ein Symptom eines lärmgeschädigten Ohrs sein, aber auch andere Ursachen haben. Das ganze Hören ist keine Funktion des Ohrs allein, sondern involviert auch Hörnerv und Gehirn. Alle diese Stationen können zu einem Ohrgeräusch führen. Bei Altersschwerhörigkeit ist die Ursache oft gut im Innenohr lokalisierbar. Auch das Ohr selbst erzeugt Geräusche, und wenn das Gehirn diese nicht herausfiltert, sind sie wahrnehmbar. In schall-leeren Räumen hören sich praktisch alle Menschen – und für viele ist das unangenehm.

Im DIalog
Markus Brunner, Facharzt für Hals-, Nasen-, Ohrenkrankheiten, spricht im Dialog auch darüber, wie der Tinnitus ein Symptom eines lärmgeschädigten Ohrs sein kann. Es kann aber auch andere Ursachen haben. Das ganze Hören ist keine Funktion des Ohrs allein, sondern involviert auch Hörnerv und Gehirn. Alle diese Stationen können zu einem Ohrgeräusch führen.

ask – art & science krems: Reden wir mal über die positiven Seiten des Hörens. Gibt es universelle Prinzipien, welche Musik oder Geräusche als angenehm empfunden werden?

Wiesinger: Das Musik-Erleben ist vielschichtig und verändert sich mit den unterschiedlichen Erfahrungen. Wir hören ja nicht nur die erzeugten Klänge, sondern nehmen auch den Menschen, der diese produziert, wahr – da geht es oft um ein Gesamtpaket, oft auch um Sympathie. Man kann offen werden für ein unvertrautes Feld, wenn die Chemie stimmt. Es gibt, so glaube ich, wohl keine Klänge, die allgemein als angenehm eingestuft werden. Eher geht es darum, sich auf den Moment einzulassen – das ist nicht jeden Tag gleich. Manche schließen einfach die Augen, andere brauchen Erklärungen oder interessieren sich dafür, wie ein Klang gemacht wird.

ask – art & science krems: Was hat denn akustisch eine positive Wirkung auf den Körper, was beruhigt uns?

Brunner: Naturgeräusche holen sicher eine große Zahl von Leuten ab. Manche entspannen aber zum Beispiel bei Heavy Metal. Langsame Musik, etwas Gleichmäßiges wie Regen oder Bachplätschern, weißes Rauschen: solche kontinuierlichen Geräusche decken störende Geräusche ab und helfen vielen beim Entspannen. Manche regt es aber auch auf, wenn sie dauernd etwas hören. 

Das Gehirn ist ja darauf gedrillt, vor allem auf Unerwartetes zu achten. Wenn etwas gleichmäßig und wie erwartet ist, muss es wenig machen.

Wiesinger: Ich denke zuerst an Meditationsmusik: Da erklingt oft ein sogenannter „Drone“, das ist ein gleichförmiger Ton, der sich über lange Zeit minimal verändert. Dieser wirkt entspannend, so empfinde ich es zumindest.

ask – art & science krems: Wir können ja aus einer Geräuschkulisse, im Wirtshaus oder auf einer Party, die Person, mit der wir uns unterhalten wollen, erstaunlich gut herausfiltern.

Brunner:  Ja, leider ist das bei der altersbedingten Schwerhörigkeit oft ein Problem, auch mit Hörgerät. Aber da tut sich gerade sehr viel mit Künstlicher Intelligenz, um genau herauszufiltern, was man möchte. Man braucht ja für unterschiedliche Situationen unterschiedliche Hörprofile. Und im Alltag filtert das Gehirn wirklich viel weg, wenn wir die Aufmerksamkeit nicht darauf richten. Sonst wäre es mit der Konzentration schwierig. Wir nehmen ja auch nicht jeden Kontakt mit der Kleidung oder in den Schuhen dauernd wahr.

Im Dialog
Schwerhörigkeit ist im Alter oft ein Problem auch mit einem Hörgerät, meint Brunner. Hier tut sich aber gerade sehr viel mit Künstlicher Intelligenz.

ask – art & science krems: Dieses Filtern ist auch für das Proben von Musikstücken wichtig, oder?

Wiesinger: Auf jeden Fall. Ich befinde mich oft in der Situation, dass ich in Proben sowohl als Musikerin da bin, gleichzeitig aber die Band leite. Da lernt man über die Jahre, gezielt auf einzelne musikalische Situationen hinzuhören und bestimmte Parameter herauszufiltern.

Brunner: Mich beeindruckt es, wenn Leute aus einem Musikstück einzelne Instrumente heraushören können. Und wie schafft man es trotzdem, das Gesamte wahrzunehmen?

Wiesinger: Wenn ich in einem Klangkörper spiele, höre ich die näher Stehenden natürlich besser. Manchmal bin ich sogar überrascht, wenn ich das Stück im Nachhinein höre, was da noch zum Vorschein kommt. Musiker*innen stellen sich nicht umsonst in der immer gleichen Reihenfolge auf: So sind die für das eigene Spiel wichtigsten anderen Instrumente in der Nähe.

ask – art & science krems: Vom Klang zur Stille: Wo gibt es – zwischen Supermarkt-Beschallung, Baustellenlärm und Partys in der Nachbarwohnung – noch Ruhe? Und brauchen wir Ruhe, um zur Ruhe zu kommen?

Wiesinger: Fraglich ist schon mal, wie Ruhe zu definieren wäre. In der Musik ist auch die Stille ein Klang, mit dem gearbeitet wird. Wenn es die Stille nicht gäbe, bekäme vieles nicht die richtige Gewichtung.

ask – art & science krems: Gibt es Tätigkeiten wie das Komponieren, wo Sie Ruhe brauchen?

Wiesinger: Das Komponieren und Üben ist es für mich einfacher, wenn es ruhig ist. Bei solchen Tätigkeiten ist man oft alleine, ich finde es aber super, wenn zum Beispiel im Nebenraum Kolleg*innen sind, die dasselbe machen und man vielleicht ganz dumpf mitbekommt, dass da auch was passiert. Ansonsten beschäftige ich mich lieber bewusst mit Musik, statt sie im Hintergrund laufen zu lassen. Beispielsweise beim Autofahren oder beim Sport will ich eher nichts hören. Da gibt es dann nur meine lauten Gedanken.

Brunner: Was man als Lärm empfindet, ist unterschiedlich. Für einen Bewohner der Kremser Innenstadt ist eine südamerikanische Metropole vielleicht laut, für deren Bewohner nicht. Deshalb ist auch das Bedürfnis nach Stille ein anderes. Manche erleben sie nie und man kann nicht behaupten, dass das automatisch eine Belastung ist.

ask – art & science krems: Wann soll Ihr Publikum, Beate Wiesinger, still sein, wann laut?

Wiesinger: Bei einem Konzert in der Wiener Arena wird das kaum möglich sein, und wäre auch nicht wünschenswert. In anderen Fällen kann man es als Musikerin einfordern. Ich finde es immer angenehm, am Anfang eines Konzerts eine konzentrierte Stimmung zu erzeugen. Wenn hinten im Raum noch die Gläser klirren oder sich jemand unterhält, warte ich einfach einmal drei Minuten ab, und schaue, ob es sich ändert. Wenn es klappt, finde ich das sehr schön.

Brunner: Und dann konzentrieren sich die Leute?

Wiesinger: Es hat schon einige Male funktioniert. Wobei es immer auch Menschen gibt, deren Unterhaltungen man hört, vor allem bei leisen Passagen. Es gibt Musiker*innen, die das stört und die dann ungehalten sind, weil es einfach schwieriger ist, sich zu konzentrieren. Ich sehe es als meine Aufgabe, damit umzugehen: Wir sind in einem gemeinsamen Raum und erleben miteinander Musik. Wenn jemand schreien würde, würde ich schon etwas sagen.

ask – art & science krems: Prognosen deuten darauf hin, dass Lärmbelastung innerhalb der nächsten zwanzig Jahre eines der größten Umweltprobleme werden könnte. Wie können wir damit umgehen?

Brunner: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es heute allgemein so viel lauter ist als früher. Am Arbeitsplatz ist zum Beispiel vieles leiser geworden – es gibt viel strengere arbeitsmedizinische Auflagen.

Wiesinger: Im Vergleich zu früheren Zeiten hat sich viel getan beim Arbeitnehmerschutz.

ask – art & science krems: Wäre es wünschenswert, in Zukunft akustische Räume bewusster zu gestalten, wie es beispielsweise das Projekt Hörstadt Linz fordert?

Wiesinger: Ich denke, jede*r kann viel für sich tun. Das fängt schon mit der täglichen Beschallung über Onlinemedien an. Da müssten wir eher handy- oder computerfreie Zonen einrichten.

Brunner: Es ist sicher sinnvoll, Leuten die Möglichkeit für Rückzug zu geben. Davon profitieren vor allem Menschen, die wenig Einfluss auf ihre Lebensumgebung haben.

Wiesinger: Um herauszufinden was Ruhe bedeutet, dafür muss man sich erst mal mit sich selbst beschäftigen und herausfinden, was es braucht, um Ruhe für sich zu erleben.

Im DIalog - im museumkrems
Unsere beiden Autorinnen Astrid Kuffner und Nina Schedlmayer waren beim „Im Dialog“ mit Dr. Markus Brunner und Beate Wiesinger im museumkrems.
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Markus Brunner, Facharzt für Hals-, Nasen-, Ohrenkrankheiten, ist Professor der KLU und Primar der HNO Abteilung der Universitätsklinik Krems.

Beate Wiesinger ist Musikerin. Sie spielt E-Bass und Kontrabass; zudem komponiert sie. Sie spielte und spielt in unterschiedlichen Formationen, etwa mit dem Septett Echo Boomer, im Duo 4675 sowie mit der Gruppe Luchs. Sie erhielt 2024 einen Ö1-Kompositionsauftrag beim Festival Glatt&Verkehrt, gemeinsam mit Echo Boomer und dem Duo Dunjaluk. Auf ihrer Website bietet sie einen Einblick in ihre facettenreiche Arbeit.

„Im Dialog“ ist ein Diskussionsformat von ask – art & science krems im museumkrems, bei dem sich Vertreter*innen aus Wissenschaft und Kunst aktuellen Themen aus unterschiedlichen Perspektiven annähern und mit dem Publikum ins Gespräch kommen.

© Barbara Elser
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