Zum ask-Interview treffen wir uns online. Im Hintergrund ist ein Zimmer zu erahnen, wie es der Oma idealtypisch stehen würde mit Vorhang, Hängelampe, Tischtuch und Wandverbau. Vor der Kamera sitzt Phuong Thi Tran, eine junge Frau aus Vietnam, die in Krems die Pflegeassistenz-Ausbildung absolviert. Auch fernvermittelt merkt sie sofort, dass die Interviewerin ein Pflaster am Zeigefinger trägt. Es ist diese Aufmerksamkeit und Konzentration auf das Gegenüber, die klarmacht, warum sie hier ist: „Schon in der Schule habe ich gemerkt, dass ich gerne mit Menschen arbeiten möchte. Ich helfe gerne, wenn jemand Unterstützung braucht. Mir war klar, dass ich einen Beruf mit Herz machen will“, erklärt Phuong. Nach der Matura informierte sie sich intensiv und recherchierte im Internet, dass Österreich einen hohen Standard im Gesundheitssystem hat und in der Pflege Wert auf Zwischenmenschliches legt. Jetzt lernt sie am International Nursing Center (INC) des IMC Krems und wird danach in einer niederösterreichischen Betreuungseinrichtung arbeiten. Das – gemeinsam mit der Universität Hanoi und dem Land Niederösterreich – angebotene Programm, „hat mich sehr motiviert, Deutsch zu lernen und diesen Weg einzuschlagen“.

Der erste Schritt
Die ersten 40 Kandidat*innen im Kurs haben Matura, aber noch keine Pflegeausbildung. Sie mussten gesund und über 18 Jahre alt sein, um aufgenommen zu werden: „Wir brauchten erst einmal die Kraft und Ausdauer für den 18-monatigen Deutschkurs an der Universität in Hanoi. Dort haben wir gemeinsam gewohnt, gegessen und gelernt.“ Sie selbst stammt nicht aus der Hauptstadt, sondern war mit Kolleg*innen aus verschiedenen Provinzen in einem Wohnheim für Studierende untergebracht. Nach Österreich kam sie im Februar 2025 mit einem Zertifikat Deutsch B1 in der Tasche. In der Grundausbildung in Krems kamen Grundlagen der Pflege dazu und ein Fachsprachkurs.
Am IMC Krems hat sie viele praktische Situationen geübt und gelernt, wie man mit Bewohner*innen, Angehörigen und Kolleg*innen umgeht, wenn es mal stressig wird. Das hat der 21-Jährigen geholfen, sicher aufzutreten und sich in der Praxis zu bewähren. Österreichisches Deutsch ist in Raabs an der Thaya anders, als in den Kursen, aber das dumpfe, bejahende und gezogene „joh“, ahmt Phuong Tran bereits treffend nach. Aussprache, Grammatik, die langen Worte und der Dialekt sind herausfordernd, „aber ich gebe nicht schnell auf. Anfangs hatte ich viel Angst, Fehler zu machen, aber jeder Fehler bringt mich weiter und viele Fehler machen den Meister“.

Menschliches und meteorologisches Klima
Waren Land und Leute so, wie sie das im Internet recherchiert hatte? Es gibt ein sehr aktives Facebook-Profil der Universität in Hanoi, wo leben, lernen und arbeiten im Ausland vermittelt wird: „Anhand der Bilder aus dem Internet kam mir Österreich schön, ruhig und gut organisiert vor. Das stimmt! Was ich so nicht erwartet habe: wie fröhlich und offen viele Leute sind. Ich mag die Landschaft, die Natur und die frische Luft. Das ist super für mich: nach der Arbeit spazieren gehen oder Fahrrad fahren ist gut, um Stress abzubauen.“
Nach drei Monaten in Krems, macht sie nun ihr erstes Praktikum in Raabs an der Thaya, das mit öffentlichen Verkehrsmitteln leider schlecht angebunden, ansonsten aber superschön ist. An beiden Orten „haben mir viele Menschen geholfen, mich einzuleben“. Das menschliche Klima passt also, aber Winter und Frühling in Österreich sind gewöhnungsbedürftig. „Aktuell hat es in Vietnam 30 Grad – ich bin oft mit dicker Jacke auf der Straße. Das ist ein bisschen lustig, wenn die anderen Leute nur ein T-Shirt oder Shorts anhaben.“
Sie wohnt mit zwei Kolleginnen in der Wohnung, und abends kochen sie gemeinsam. Ein warmes vietnamesisches Gericht mit viel Gemüse, Reis und Gewürzen, die sie sich in Wien besorgt hat. Mittags isst sie im Pflegeheim mit – das österreichische Essen „passt mir ab und zu“. Wochenends ist sie mit ihrer Familie viel auf Facetime, weil sie natürlich auch Heimweh hat. „Sie trösten mich, und es gibt viele Dinge, die ich auch alleine machen kann, um mich abzulenken: in den Wald gehen oder einen neuen Ort entdecken.“

Erfahrungen sammeln und weiterwachsen
Viel Erfahrung im Beruf hat sie noch nicht, aber Herz braucht es auf jeden Fall. Viele Bewohner*innen sind sehr freundlich. Manchmal erschrickt sie, wenn diese weinen oder sehr energisch werden: „Wenn ich verstehe, warum sie sich so verhalten, fühle ich mit ihnen, tröste sie und erzähle lustige Geschichten, um sie abzulenken. Nicht alles lerne ich aus Büchern. Ich muss auch kreativ sein und in der Situation schnell reagieren.“
Frau Tran möchte sich weiterentwickeln. Das hat sie sich vorgenommen, als sie in den Flieger nach Österreich gestiegen ist: „Ich bin jung und voller Energie, will weiterwachsen und jeden Tag ein Stück besser werden. Als nächstes möchte ich ein bisschen Dialekt lernen“. Später möchte sie noch mehr Verantwortung übernehmen und vielleicht Kolleg*innen, wie sie eine ist, aufnehmen und ausbilden. Das International Nursing Center würde sie weiterempfehlen, „aber es ist nicht für jede*n. Wir wohnen zusammen, wir lernen zusammen, und alle kommen aus Vietnam, aber nicht jede*r ist gleich. Wir haben verschiedene Hobbys, eigene Ziele und Pläne für die Zukunft. Wichtig ist, dass man mit Menschen arbeiten, sich bemühen und mitfühlen will.“ Ihre Ausbildung dauert noch bis Februar 2026. Als nächstes darf sich das Krankenhaus St. Pölten freuen, wenn Phuong Thi Tran das Team im Praktikum bereichert.
Astrid Kuffner