Alter Film, neue Musik

Die Electro-Formation Innode komponierte einen neuen Soundtrack für die Filmikone „Panzerkreuzer Potemkin“, den sie demnächst im Kino im Kesselhaus aufführen. Wie gingen sie vor?
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Filmausschnitt in schwarz-weiß aus "Panzerkreuz Potemkin".

Die Frau, die ihr sterbendes Kind den angreifenden Soldaten entgegenträgt. Der Kinderwagen, der die Hafentreppe von Odessa hinunter rattert. Der Moment, in dem die Matrosen der Zaren-Flotte das Schiff mit der aufständischen Besatzung doch nicht angreifen. Es sind eindrückliche Bilder und schnelle Schnitte, mit denen der Stummfilm „Panzerkreuzer Potemkin“ Spannung erzeugt. 1925, als Regisseur Sergei Eisenstein ihn herausbrachte, war das Publikum mit dieser Bildsprache noch nicht vertraut. Angeblich wünschte sich der Regisseur damals, dass sein Film in Zukunft von der jeweils lebenden Generation vertont würde. Die Musiker Stefan Németh und Bruno Breuer, die gemeinsam mit Steven Hess die Electro-Formation Innode bilden, erfüllten ihm gewissermaßen diesen Wunsch. 2018 schrieben sie, auf Einladung des Torino Jazz Festival und dem Kinofestival Cinema Distretta, einen Soundtrack für Eisensteins cinematografische Ikone. Am 11. April führen sie ihr Werk im Kino im Kesselhaus auf (einen Vorgeschmack darauf gibt dieser Trailer).

Es sind eindrückliche Bilder und schnelle Schnitte, mit denen der Stummfilm „Panzerkreuzer Potemkin“ Spannung erzeugt. 1925, als Regisseur Sergei Eisenstein ihn herausbrachte, war das Publikum mit dieser Bildsprache noch nicht vertraut.

Klaustrophobische Räume, stampfende Maschinen

Innode führten ihr Werk nicht nur in Italien, sondern auch an zahlreichen anderen Orten auf, etwa einer Donaufähre in Ottensheim. Stefan Németh erzählt am Telefon, wie Innode an die Vertonung des mittlerweile hundert Jahre alten Films herangingen. „Wir teilten den Film in Abschnitte ein und entwickelten jeweils Grundelemente, die wir dem anderen als Audio-Files schickten – der dann wieder etwas dazu erfand.“ Die Montage Eisensteins, sagt er, eigne sich fantastisch für rhythmische Passagen. „Auch die Bilder und das Material des Films selbst – die klaustrophobischen Innenräume, die aufgeladenen Stimmungen, die stampfenden Maschinen – kommen der Musik, die wir machen, entgegen“. Erst, als die Grundkomposition stand, trafen sich Innode zum Proben. In den Live-Auftritten kommen improvisatorische Momente dazu. „Da können wir darauf eingehen, wie sich der Raum anfühlt – auch auf Umweltgeräusche, wenn wir Open Air spielen“, sagt Németh.

Innode vertonten einen hundert Jahre alten Film, indem sie die Musik zuerst getrennt entwickelten und später gemeinsam probten – inspiriert von der rhythmischen Bildsprache und der intensiven Stimmung des Films, bringen sie bei Live-Auftritten auch improvisierte Elemente ein.

Linzer- statt Malakofftorte

Die erste musikalische Begleitung des Films schrieb 1926 der deutsche Komponist Edmund Meisel. „Diese Komposition ist sehr gesprächig“, umschreibt es Németh. „Der Film hat allein durch die Bilder eine irre Spannung. Die Musik muss das nicht noch unterstreichen. Für mich entwickelt sich mehr Potenzial durch eine Geräuschkulisse.“ Meisels Version sei wie eine Malakofftorte, auf die zusätzlich Schlagobers gehäuft werde. Innodes Komposition ist sparsamer, abstrakter – eher wie eine Linzertorte, weil „auch ein bisschen bröselig“. In einer Ankündigung schrieben Innode: „Die präzise geplante Mischung aus rhythm & noise wird um ruhige Flächen, Texturen und melodische Elemente erweitert, um den Film nicht nur zu stützen, sondern auch Kontraste und eine neue Sichtweise zu ermöglichen.“ Stefan Németh und Innode komponierten immer wieder Filmmusik, vorrangig für Arbeiten zeitgenössischer Künstler*innen.

Stefan Nemeth beim musikalischen Begleiten des Filmes.
Für Németh braucht der spannungsreiche Film keine betonte Musik – statt einer „gesprächigen“ Komposition wie jener von 1926 setzt er lieber auf eine atmosphärische Geräuschkulisse.

Unauflösbare Ambivalenz

Wie blickt Némeths heute auf „Panzerkreuzer Potemkin“, nachdem er es so oft gesehen hat? „Einerseits ist der Film handwerklich unglaublich gut und funktioniert nach wie vor, die Faszination bleibt. Andererseits hat er, aus der Zeit heraus zu verstehen, diesen Touch von Propaganda. Diese Ambivalenz lässt sich nicht ganz auflösen“, überlegt er. „Seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine stelle ich mir andere Fragen. Doch der Film kann auch zu einem Diskurs auffordern, ohne dass seine filmhistorische Bedeutung in Frage steht.“ Odessa, der Drehort des Films, erlitt erst vergangen Woche erneut russischen Drohnenbeschuss.

Neue Stummfilm-Vertonungen erfreuen sich seit geraumer Zeit neuer Beliebtheit: Das Wiener Konzerthaus widmete ihnen eine ganze Reihe, auch in Berlin lockt ein Stummfilmfestival mit Live-Musik. Die Panzerkreuzer-Potemkin-Aufführungen von Innode besuchen, wie Németh oft beobachtete, Gäste jenseits des gewohnten Electrosound-Publikums. So eröffnen Innode Cineast*innen möglicherweise neue musikalische Welten – und zeigen ihren Fans einen Film, den sie noch gar oder zuletzt vor Ewigkeiten gesehen haben. Doch das eigentliche Kunstwerk entfaltet sich an diesen Abenden erst im Wechselspiel von Bild und Ton.

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100-Jahr-Jubiläum: Panzerkreuzer Potemkin mit Live-Musik von Innode

am Freitag, 11. April 2025, um 19.30 Uhr im Kino im Kesselhaus (Dr. Karl-Dorrek-Str. 30, am campus Krems, 3500 Krems)

Info und Tickets finden Sie hier.

© Filmstill Filmmuseum Berlin | Innode
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