„Musik liefert große gesellschaftliche Entwürfe“

Seit diesem Jahr leitet Albert Hosp das Imago Dei Festival. Was ist seine Vision dafür? Hier kommt er zu Wort.
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Albert Hosp Copyright: Nancy Horowitz

„Ich leite das Imago Dei Festival bis 2028. Danach sollen die Besucher*innen sagen, sie haben Konzerte und andere Veranstaltungen besucht, die sie sich so nicht erwartet haben. Dass sie dieses Gefühl haben: Ich fahre oder gehe jetzt nach Hause und habe etwas erlebt, das ich als außergewöhnliches Erlebnis bezeichnen würde. Ich versuche mit ganz wenigen Ausnahmen, jedes Konzert so zu gestalten, dass es so nur bei uns erlebt werden kann. 2028 soll auch dieser Raum, die Minoritenkirche, den Leuten in Erinnerung geblieben sein. Und es soll die Zuhörenden in irgendeiner Art und Weise weitergebracht haben. Wobei ich keiner bin, der eine Mission hat.

Jetzt, bei der ersten Ausgabe, habe ich ein paar Konzertideen, die nicht von vornherein selbstverständlich erscheinen. Zum Beispiel machen wir am Karfreitag keine Passion. Sondern ein Stück, das zwar mit dem Thema Tod und Vergänglichkeit zu tun hat, aber nicht notwendigerweise zum Karfreitag gehört: den Totentanz von Hugo Distler.

Albert Hosp
Copyright: Nancy Horowitz
Albert Hosp hat die künstlerische Leitung des Festivals Imago Dei dieses Jahr übernommen.
Sein Ziel: Konzertmomente schaffen, die überraschen, berühren und nachhaltig wirken.

Ich möchte am Karfreitag eine Konzertstunde ermöglichen, die das Erleben von Vergänglichkeit und Zuversicht spürbar macht. Dafür fiel mir ein Stück von Johann Sebastian Bach ein, nämlich die Partita in D-Moll für Violine solo. An deren Ende steht ein 20-minütiger Satz, die ‚Chaconne‘ – der Mount Everest der Geigenliteratur. Eine Forscherin, Helga Thoene, sah in diesem Satz Bachs Grabspruch für seine erste Frau und meinte, er habe Choräle hineingeflochten. Beim Imago Dei wird eine Geigerin, Cecilia Zilliacus, dieses Stück spielen, dazu singt Lena Willemark diese „Hidden Melodies“. Das verschneiden wir mit Distlers Totentanz, gesprochen von Johannes Silberschneider. Daraus ergibt sich etwas ganz Neues.

Schön wäre es, wenn unsere Besucherinnen denken, sie haben eine Fülle an Dingen erlebt, die noch dazu wunderschöne Musik ist. Und sie haben Männer und Frauen gehört, die alle aus der Gegend kommen: Es singt der Konzertchor Niederösterreich. Wenn ich als Konzertprogrammierer am Ende eines Abends, eines Festivals oder einer Vertragslaufzeit sagen kann, ich habe Menschen so etwas ermöglicht, ist das toll.

Bei Imago Dei gibt die Jahreszeit den Unique Selling Point vor. Ich finde es richtig, dass es als Osterfestival rezipiert wird. Die Assoziationen zum Wort Ostern können sich vom Christlichen auch sehr entfernen. Aber ich muss etwas auf die Bühne bringen, was als Erlebnis da ist. Das darf nicht Stückwerk bleiben.

Heute befinden wir uns bereits in einer Art postelektronischem Zeitalter. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann man mit elektronischen Klängen. Pierre Boulez bemerkte einmal – das ist sicher 30 Jahr her: Analog zu drei großen Gruppen Streichinstrumente, Blasinstrumente und Schlaginstrumente in einem Orchester muss mittlerweile die elektronische Musik als vierter Teil dieser möglichen Sounds gelten. Jeder zweite Musiker, den man heute engagiert, schreibt in seine Instrumentenliste Electronics.

Die Elektronik ermöglicht besser, den Alltag abzubilden: Ich kann damit viel mehr Noises bringen – Blätterrauschen, Automechaniker zum Beispiel. Und das Sampling: Vor 20 Jahren war es unglaublich modern, dass du in einen Loop etwas eingespielt hast und du darüber improvisieren konntest. Das ist heute selbstverständlich.

Albert Hosp
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Albert Hosp im Gespräch mit ask – art & science krems: „Es wäre schön, wenn sich die Kunst und die Gesellschaft fruchtbar gegenseitig beeinflussen.“

Es wäre schön, wenn sich die Kunst und die Gesellschaft fruchtbar gegenseitig beeinflussen. Das Bild einer musizierenden Schar von Menschen ist Sinnbild für eine funktionierende Gesellschaft. Um das weiterzudenken: Warum versucht man nicht, Menschen, die sich beispielsweise auf politischer Ebene einigen sollen, in Kursen zum gemeinsamen Musizieren zu bringen? Es gibt nämlich niemanden, der unmusikalisch ist. Jeder kann rhythmisch auf einen Tisch schlagen, und der andere auch – und dann können sie versuchen, einen gemeinsamen Rhythmus zu erreichen. Vielleicht reden sie dann nachher anders miteinander.

Das andere ist, dass die Musik diese großen gesellschaftlichen Entwürfe liefert. Das kann ein Streichquartett oder ein klassisches Jazz-Trio sein. Jazzmusik entsteht in einer Form des musikalischen Gedankenaustauschs, zwischen Klavier, Bass und Schlagzeug. Das entwickelt sich im Laufe von vielen Konzerten, Proben, Besetzungen, die offensichtlich funktionieren.“

Die von Albert Hosp beschriebene Veranstaltung „Totentanz. Von Vergänglichkeit und Zuversicht“ findet am 18. April um 19 Uhr im Klangraum Krems Minoritenkirche statt. Tickets erhalten Sie hier.

Das Festival Imago Dei läuft im Klangraum Krems Minoritenkirche von 29. März bis 21. April 2024, das Programm und nähere Infos finden Sie hier.

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Das Festival Imago Dei läuft in der Minoritenkirche Krems Stein von 29. März bis 21. April 2024, das Programm und nähere Infos finden Sie hier.

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