ask – art & science krems: Frau Schneider, Herr Keller, wann haben Sie zuletzt etwas spielend gelernt?
Christoph Keller: Vor kurzem entdeckte ich ein kleines feines Computerspiel, das wie in einem Comic kleine Fenster (sogenannte Panels) anbietet. Ziel ist es, mit verschiedenen Bausteinen (z.B. Figuren, Handlungselemente) ein gelungenes Storytelling zu erreichen. Es zeigt sich dabei, dass ein paar kleine Bausteine reichen.
Monika Schneider: Um die Studierenden in neuen Lehrveranstaltungen kennenzulernen, stelle ich einige Fragen. Sie ordnen sich mit ihren Antworten auf einer imaginären Linie an. So erfahre ich spielerisch mehr über sie. Ansonsten bin ich ein Fan von unnützem Wissen, verpackt in Geschichten. Ich las neulich, dass Leonardo da Vinci eine besondere Sehfähigkeit hatte. Er zeichnete bereits den Ablauf des Flügelschlags einer Libelle, der erst viel später in Zeitlupe entschlüsselt wurde. Leonardo scheint ein Spezialist für Momente gewesen zu sein. An der Mona Lisa fasziniert uns ja, dass er sie gemalt hat, bevor sie zu lächeln anfängt. Fakten in Storytelling verpackt – das hilft sehr, mir etwas zu merken.
ask – art & science krems: Christoph Keller, Sie veranstalten das Film.Bar.Quiz im Kino im Kesselhaus. Das ist ein Pubquiz – eine Veranstaltung, bei der Teams knifflige Fragen beantworten. Wie kam es dazu?
Keller: Ich habe vor vielen Jahren selbst bei Pubquizzes mitgemacht und gemerkt, dass vielen Teilnehmer*innen diese Form des Wettbewerb gefällt. Meist geht es um Allgemeinbildung und breites Faktenwissen. Damals vermisste ich gut aufbereitete Spezialbereiche und damit verbundene tiefergehende Fragen. 2018 begann ich, im Kino im Kesselhaus zu arbeiten und hab aus Neugierde und Eigeninteresse ein Konzept für ein Pubquiz entworfen. Als dann Ende 2023 zufällig die Frage aufgetaucht ist, warum es in Krems kein Pubquiz zum Thema Kinofilm gibt, hab ich es vorgelegt – und schon im Jänner 2024 fand das erste Film.Bar.Quiz statt.
Schneider: Wie entwickeln Sie die Programme?
Keller: Begonnen habe ich mit dem Thema „Filmliebe“ und Höhepunkten aus 120 Jahren Filmgeschichte. Der Mix ist wichtig. Es muss spannend und herausfordernd sein und dennoch nicht frustrierend. Wir haben 14 Gruppen mit je vier Leuten im Alter von 18 bis 70 Jahre – mit unterschiedlichem Vorwissen, Vorlieben und Erfahrungen. Beim ersten Mal verteilte ich einen Fragebogen darüber, welche Inhalte sich die Teilnehmer*innen wünschen. Mir war wichtig, dass sie mitgestalten können. Und jetzt versuche ich, die Vorschläge nach und nach umzusetzen.
ask – art & science krems: Welches Ziel verfolgen Sie mit dem Film.Bar.Quiz?
Keller: Wir wollen die Liebe zu Kino und Film vermitteln. Ich beziehe nur Filme ein, die für das Kino produziert wurden und verpacke – teilweise auch unnützes – Faktenwissen in Geschichten. Ein Stückweit geht es auch um Medienkompetenz. Als Zusatzangebot gibt es einen Überraschungsfilm. Da erzähle ich vorher, was den Film außergewöhnlich macht: die Musik, die Erzählung, die Charaktere – und das ermöglicht vielen einen neuen Blick auch auf Bekanntes. Wie auf die Mona Lisa, wenn man mehr über da Vinci weiß.
Schneider: Ich weiß genau, was Sie meinen. Mit meiner Oma sah ich oft Schwarz-Weiß-Filme. Eines meiner schönsten Erlebnisse war, „Casablanca“ Jahre später im Kino zu sehen. Obwohl ich den Film schon kannte, wirkte er auf der großen Leinwand ganz anders. Ich würde Sie gerne einmal zu unseren Studierenden einladen, weil Sie viel beherzigen, was im Unterricht wichtig ist: Es braucht Redundanzen und ein Spannungsmoment. Es gilt, das Interesse zu wecken. Die Aufgaben müssen fordernd, aber bewältigbar sein.
ask – art & science krems: Spricht ein Pubquiz verschiedene Wahrnehmungstypen an, mit unterschiedlichen Aufgaben und Impulsen?
Schneider: Das ist bei jeder Art von Lernprozess wichtig. Es geht tatsächlich um Wahrnehmungstypen – die Vorstellung davon, dass es Lerntypen gibt, ist dagegen ein Mythos. Menschen haben bevorzugte Sinneskanäle, mit denen sie Informationen aufnehmen. Das Ziel ist, beim Unterrichten Informationen für möglichst verschiedene Sinneskanäle anzubieten und diese zu variieren. Spielen ist etwas Lustvolles. Wir müssen aber die ganze Bandbreite des Lernens vermitteln – auch, dass wir Fertigkeiten manchmal erst aufbauen müssen, etwas üben müssen, um Spaß zu haben und in einen Flow zu kommen. Viele kennen aus der Volksschule den Buchstabentag, wo mit allen Sinnen gelernt wird: Die Kinder malen Buchstaben in den Sand, turnen sie, formen sie mit Salzteig, riechen und schmecken etwas, dessen Anfangsbuchstaben sie sich merken. Im Lauf der Schuljahre geht der spielerische Charakter leider ein bisschen verloren.
ask – art & science krems: Welche Rolle spielen bei einem Lernprozess – ob im Pubquiz oder in der Schulklasse – folgende Aspekte: der Wettbewerb, der Quizmaster/die Lehrperson, der Spaß, die Teamarbeit und das unnütze Wissen, das nicht abgeprüft wird?
Keller: Für viele ist es motivierend, wenn sie mehr wissen als die anderen. Ich möchte bei meinen Vermittlungsformaten verschiedenen Menschen einen Raum aufmachen. Ich erzähle also zu den Fragen immer auch Geschichten. Wenn jemand verliert und dennoch wieder kommt – weil er oder sie viel mitgenommen hat – dann freut mich das. Oder wenn sich jemand auf den Überraschungsfilm einlässt, den er oder sie sonst nicht angeschaut hätte. Alles steht und fällt mit der Person, die den Ton angibt. Sie bringt das Werkzeug, die räumlichen Möglichkeiten und ihre Vorbereitung ein.
Schneider: Ich glaube, dass der Wettbewerb in der Spezies Mensch liegt. Zwischen sechs und zehn Jahren messen sich Kinder gerne. Es gibt Kinder, die sich aufgrund einer Beeinträchtigung nicht gut mit anderen messen können. Denen muss ich ermöglichen, mit sich selbst in den Wettbewerb zu gehen. Kinder spielen gerne Rechenkönig – das glauben viele nicht. Als ich Sonderschullehrerin war, gab ich den schwächeren Kindern immer einfachere Aufgaben als den anderen. Das haben alle in der Klasse akzeptiert. Mir ist in der Lehrer*innen-Ausbildung wichtig, meine Haltung zu vermitteln: jede ist, wie sie ist und jeder hat seine Stärken und Schwächen. Angehende Lehrer*innen lernen in der Unterrichtsvorbereitung – passend zu einer Vorgabe von Inhalt und Ziel der Stunde – Kompetenzen zu definieren, die gefördert werden sollen. Das ist neben der Wissenskompetenz immer auch eine soziale, eine Methoden- und eine Selbst-Kompetenz. Das ist sehr komplex, für die Studierenden und mitunter herausfordernd in der Unterrichtsplanung alle Kompetenzbereiche mitzudenken. Darüber hinaus gibt es immer wieder Situationen, Fragen und Konstellationen, die sich im Moment ergeben und die man bei der Vorbereitung nicht bedacht hat.
ask – art & science krems: Was passiert bei Lernprozessen im Gehirn?
Schneider: Das Substrat des Lernens, ob emotional, motorisch oder faktisch, ist Gehirnaktivität. Wir kommen mit einer Milliarde Gehirnzellen auf die Welt, die sehr lose angeordnet sind. Die Gehirnmasse verdreifacht sich im ersten Lebensjahr. Die Zellen bilden Verknüpfungen. Wo Reize hereinkommen, wird bewertet, ob sie wichtig sind oder nicht, ob man an Bekanntem anknüpfen kann – und es gibt eine Gefühlskomponente. Wir wissen, dass wir unter Angst nicht lernen können. Entspannt und freudig funktioniert es am besten. Je öfter Verbindungen aktiviert werden, desto besser merke ich mir Dinge. Und das Gehirn ist fantastisch plastisch – wir lernen, solange wir leben.
ask – art & science krems: Also: Egal ob spielerisch oder frontal, man muss auf diese Dinge achten?
Schneider: Je lustvoller ich meine Prozesse gestalte, desto mehr Kinder werde ich erreichen und desto besser können sich die Inhalte verfestigen.
Keller: Was es zudem zu bedenken gilt: Eine Lehrperson hat die Herausforderung, sich über längere Zeit mit Kindern oder Jugendlichen auseinanderzusetzen. Bei mir sind die Gruppen üblicherweise völlig neu. Ich muss innerhalb von wenigen Minuten eine Vorstellung davon haben, was sie interessiert.
Schneider: Mitunter sind Kinder und Jugendliche aufmerksamer, wenn sie eine neue Person vor sich haben.
ask – art & science krems: Bei kurzfristigen Begegnungen muss man also schnell zum Punkt kommen?
Schneider: Vor allem muss man eine Beziehung aufbauen! Dabei bestimmt das Wie das Was: Mit welcher Mimik und Gestik vermittle ich?
ask – art & science krems: Ist spielerisches Lernen eine eigene Methodik, oder ist sie im Unterricht und der Kulturvermittlung mehr oder weniger automatisch implementiert?
Keller: In der Kulturvermittlung wurde erst vor kurzem definiert, was darunter verstanden wird. Früher war vieles standardisiert: Man geht ins Museum, schaut sich etwas an, jemand erklärt mir etwas. Das hat sich erweitert: Die Menschen können Kunst auf verschiedene Weise erfahren, etwa auch über Gerüche. Wenn ein Atelier an das Museum angedockt ist, kann man eine weitere Ebene ansprechen: die des Haptischen, des Machens.
Schneider: Wichtig ist in der Didaktik der Methodenmix, dass ich Momente der Einzel- sowie der Gruppenarbeit habe. Mitunter verlangen ein Thema oder die Lernenden selbst Frontalunterricht: Ich kann nicht mit jede*r Schüler*innengruppe einen Stationenbetrieb machen. Wenn einige von ihnen kognitiv dazu nicht in der Lage sind oder soziale Entwicklungsstörungen haben, bricht Chaos aus. Es ist nicht das eine per se besser oder schlechter als das andere.
ask – art & science krems: Also alles hat seinen Platz – was bedeutet, dass Lehrer*innen mehr als ein One-Trick-Pony sein müssen. Herr Keller, beim Pubquiz ist das Publikum großteils erwachsen – gibt es eine Sehnsucht nach dem Spielerischen, das im Alltag vielleicht verloren gegangen ist?
Keller: Ich glaube, dass wir alle die Neigung haben, Dinge spielerisch zu erfahren. Ich persönlich bin der Auffassung, dass das Spielerische bis zum Ende des Lebens eine Rolle spielt. Man kann so viel erfahren, was unser Leben einfacher machen, aber auch erfüllen kann. Bei der Organisation und Durchführung des Quiz lerne ich viel. Es nehmen unterschiedlich sozialisierte Menschen daran teil. Die Herausforderung für die Person vorne ist, neutral damit umzugehen. Das passiert im Klassenzimmer in vergleichbarer Weise. Ein Zehnjähriger hat das Leben möglicherweise ganz anders erfahren als seine gleichaltrige Sitznachbarin.
Schneider: Das gab es schon immer. Im Sinne des Konstruktivismus erschaffen wir uns eine eigene Wirklichkeit. Wie ich eine Situation wahrnehme und bewerte, unterscheidet sich von dem, wie Sie das tun. Es gibt den Begriff des Homo ludens. Im Spiel kann ich mich ausprobieren. Wahrscheinlich würde es uns guttun, wenn wir ab und zu das Korsett des Alltags ablegen.
ask – art & science krems: Gutes Stichwort für unsere letzte Frage: Haben Sie selbst ein Lieblingsspiel?
Keller: Das sogenannte Pen-and-Paper-Rollenspiel. Im Jahr 1974 entstand „Dungeons & Dragons“ und seither sind weitere Versionen davon entstanden. Man braucht dazu nur Papier und Bleistift, eventuell Würfel. Dabei kann man Figuren übernehmen und Charaktere erfinden, sich durch eine Handlung bewegen – die Bandbreite ist groß, von der Krimi- bis zur Abenteuergeschichte. Ich habe Rollenspiele in meiner Jugend entdeckt und übernahm bald am liebsten die Spielleitung. Bis heute. Man erlernt durch das Spiel viele Werkzeuge für andere Bereiche im Leben – egal ob privat oder beruflich. Doch egal, wie man den Handlungsverlauf plant, es kann durch Interaktion in der Gruppe und auch mit der Gruppe eine völlig andere Geschichte am Ende herauskommen.
ask – art & science krems: Dafür braucht man nur Bleistift und Papier?
Keller: Ja, und Vorstellungskraft.
Schneider: Brettspiele waren mir immer ein Gräuel. Ich mag lieber Wissensspiele. Aber was Sie da erzählen, klingt interessant. Ich glaube, da werde ich mich mal umschauen.