Fatima Szalay war gerade mal ein Teenager, als sie eine Reise antrat, die ihre Musik prägen sollte: Ihre Gesangslehrerin nahm das ambitionierte und talentierte Mädchen mit nach Rumänien, in ein Dorf namens Gyimes in Transsilvanien, in den östlichen Karpaten. Dort lernte Fatima Szalay eine Art von Volksmusik kennen, die einzigartig ist: „Dort leben seit hunderten Jahren Menschen mit ungarischen Wurzeln“, erzählt sie im Gespräch mit ask – art & science krems. „Dort vermischt sich alles: die Paare, die Tänze, die Musik.“ So begann sie sich für die Gegend wie für die Musik zu interessieren. „Wir sammelten dort Folk Music“, so drückt sie es aus.

Fünfsprachig
Wenn die ungarische Sängerin, die 1995 geboren wurde, am 24. Juli beim Festival Glatt & Verkehrt auftritt, dann wird sie mit ihrer soghaften Stimme in fünf verschiedenen Sprachen singen – die sie jedoch nicht alle, wie sie betont, selbst spricht. In ihrer Band kommen nicht nur Violine, Viola, Kontrabass und Klarinette zum Einsatz, sondern auch eine Koboz: Das ist eine in Ungarn, Rumänien und Moldavien gebräuchliche Kurzhalslaute. Szalays Repertoire umfasst neben dem Ungarischen auch Kroatisch, Romanes, Rumänisch und Türkisch. Selbstverständlich finden auch musikalische Eigenheiten aus den jeweiligen Sprachräumen Eingang in ihre Lieder. „All diese Kulturen sind der ungarischen verbunden“, sagt sie. Zum Beispiel stehe die türkische mit der ungarischen Musik in enger Beziehung durch ihre pentatonischen Melodien – also jene, die auf einer Tonleiter mit nur fünf Tönen beruhen. Diese prägen ebenso die Musik der Sinti und Roma. „Die Gypsy-Communities in Ungarn spielen eine alte Musik. Sie hat nichts mit dem zu tun, was in Restaurants so zu hören ist, sondern ist etwas ganz Spezielles.“ Wenn Fatima Szalay über Musik spricht, wirkt sie positiv aufgeregt, sprühend: So, als würde sie ihre Entdeckerinnenfreude teilen, ihrem Gegenüber das Spannende daran vermitteln wollen. Das gelingt ihr ganz gut, übrigens.
Liebe zum Schicksal
Ihr 2023 erschienenes Album trägt den schönen wie vielsagenden Titel „Amor Fati“ – zum einen spielt er auf die „Liebe zum Schicksal“, so die lateinische Übersetzung, an: „Wir müssen unser Schicksal akzeptieren“, sagt sie. „Amor“ spielt aber auch generell auf die Liebe an, um die sich schließlich viele Folk Songs drehen. Einen weiteren Grund hat der Titel in ihrem Vornamen: Viele Menschen kürzen ihn einfach als „Fati“ ab. Dieser verweist auch auf ihre Herkunft: Fatima Szalay hat – biologische, wie sie sagt – Wurzeln in Afghanistan, wurde aber als Baby von einer ungarischen Familie adoptiert. Demnächst möchte sie sich mit diesem Teil ihrer Biografie musikalisch befassen. „Ich suche gerade nach persischer und afghanischer Musik“, erzählt sie. „Vielleicht interessieren mich die Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Kulturen auch deshalb, weil ich selbst mixed bin.“ Bisweilen stößt man in ihrem Musikmix auch auf Unvermutetes: Der Song „Psyché dala“, bei dem Fatima Szalay Zitate des ungarischen Schriftstellers Sándor Weöres mit solchen der antiken Dichterin Sappho mischt, hat die Melodie des englischen Traditionals „Greensleeves“.

Brücken zwischen den Kulturen
Die Musik von Fatima Szalay vereint Sounds und Texte von Minderheiten wie Roma und Sinti mit jenen der ungarischen Mehrheitsgesellschaft. In einem Land, in dem Roma und Sinti unter Diskriminierung und Vernachlässigung leiden, hat das besondere Bedeutung. Hält sie ihre Kunst selbst für politisch? „Heute hat alles eine politische Relevanz“, meint die Absolventin der traditionsreichen Franz-Liszt-Akademie in Budapest und antwortet mit einem Verweis auf den ungarischen Komponisten Béla Bartók: „Er lernte alle Sprachen, und er fand Ähnlichkeiten zwischen rumänischer Volksmusik und ungarischer, wo es dieselben Symbole für die Liebe gibt. Er sagte, wir müssen Brücken zwischen den Kulturen bauen, auch zu denen kleiner Nationen.“
Ihre eigene Brückenbauerinnentätigkeit führt sie bei ihrem Kremser Auftritt noch weiter. „Es gibt ein paar neue Songs“, erzählt sie. Einer davon, er trägt den Titel „Na csinger tut“ („Komm, gehen wir“), ist ein Tanz von Gypsy-Mädchen. „Um sie herum tanzen Männer, aber sie berühren einander nicht“, schildert sie. Daraus entstehe eine gewisse Spannung. Ein weiteres neues Lied ist von dem sehr bekannten serbischen Volkslied „Aide Jano“ inspiriert. „Dafür habe ich eigene Lyrics geschrieben“, sagt sie, die ansonsten mit bereits vorhandenen Texten arbeitet. „Das ist der erste Song, der ausschließlich ich selbst bin!“ Vor kurzem begann sie mit dem Verfassen eigener Texte, erzählt sie.

Volksmusik und Dichtung
Das Interesse an Sprache und Literatur greift freilich tiefer: Derzeit arbeitet Fatima Szalay an einer Doktorarbeit über alte ungarische Literatur und die Verbindungen zwischen Volksmusik und Dichtung.
In der Musik von Fatima Szalay vereinen sich die schnellen, treibenden Rhythmen der Tanzmusik und die melancholische Stimmung von Liebesballaden. „Was ich liebe daran, Sängerin zu sein? Diesen Moment, wenn wir mit dem Publikum verbunden sind“, schwärmt sie. Demnächst auch in Krems.
Nina Schedlmayer