Die einen haben es, die anderen nicht. Die Beschwerden können maximal lästig bis lebensbedrohlich sein. Bei manchen rinnt die Nase und die Augen brennen, andere bekommen Asthma oder Nesselausschlag, im schlimmsten Fall kommt es zu einem anaphylaktischen Schock, bei dem sich die Atemwege verengen und rasch zuschwellen. Bei einer allergischen Reaktion hält das Immunsystem harmlose Eiweiße fälschlich für gefährlich und löst eine überstarke Abwehr aus. Thomas Eiwegger, seit 2021 Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde an der Universitätsklinik St. Pölten – einem Lehr- und Forschungsstandort der KL –, sieht in der klinisch pädiatrischen Allergologie alle Abstufungen der Erkrankungen.
Grundsätzlich ist für ihn jeder Fall gleich wichtig, denn Unklarheit, Sorgen und Vermeidungsreaktionen sind für Familien sehr belastend. Belastender als eine sorgfältige Diagnose und ein klarer Behandlungsfahrplan: „Zu oft bedeutet eine Lebensmittelallergie oder Asthma pauschal: Du kannst nicht in diesen Kindergarten gehen, nicht auf den Kindergeburtstag oder auf die Schullandwoche“, so der Kinderarzt, der Forschungsgruppen an der Karl Landsteiner Universität in Krems leitet und auch am Research Institute des Hospital for Sick Children der University of Toronto forscht. Bei den Nahrungsmittelallergien hat sich in Diagnostik und Behandlung extrem viel getan.

Grenzen des Wissens
Die schlechte Nachricht: „Wir wissen nicht genau, warum ein Kind Allergien entwickelt und ein anderes nicht. Sehr wahrscheinlich ist ein Zusammenspiel genetischer Risikofaktoren und Umweltfaktoren, wobei letztere die größere Rolle spielen“. Es gibt viele Hinweise, dass die Ernährung und das Mikrobiom, also die Gesamtheit der Mikroorganismen im menschlichen Körper, ihre Zusammensetzung und Vielfalt, eine wichtige Rolle spielen: „Entscheidend ist nicht nur, welche Bakterienstämme vorkommen, sondern was sie im Darm machen. Das hängt wiederum davon ab, was wir essen. Immer wieder werden Zusammenhänge aufgezeigt, aber ungeheuer viele Variablen interagieren gleichzeitig – da blicken wir bisher nicht durch.“ Die gute Nachricht: An einem spezialisierten Zentrum wie dem Universitätsklinikum St. Pölten kann man gut eingrenzen und abklären, worauf ein Kind wirklich allergisch reagiert und welches Therapiekonzept angezeigt ist.
Risikofaktoren und Empfehlungen
Einen Überblick zu Risikofaktoren und Empfehlungen bietet z.B. die Leitlinie Allergieprävention. Beispielhaft herausgegriffen seien hier nur einige. Ein bestätigter Risikofaktor für kindliches Asthma ist Rauchen in der Schwangerschaft oder im Umfeld von Babys und Kleinkindern. Das nicht zu tun, ist eine schwierige, aber machbare Weichenstellung. Das Aufwachsen auf einem Bauernhof ist mit einem geringeren Risiko für die Entwicklung von Asthma und allergischen Erkrankungen assoziiert – nicht für alle realisierbar oder erwünscht. In Familien ohne erhöhtes Allergierisiko muss die Haustierhaltung (Katzen oder Hunde) nicht generell eingeschränkt werden. Wasser auf die Mühlen von Kindern, die ihren Eltern mit dem Haustierwunsch schon lange in den Ohren liegen.
Test + Reaktion = Allergie
Ein positiver Test allein, ist noch keine Diagnose: „Für eine Allergie muss ein Eiweiß aus der Umgebung oder der Nahrung plötzlich vom Immunsystem nicht mehr toleriert und ignoriert, sondern als böse eingestuft werden. Diese Sensibilisierung des Immunsystems passiert vereinfacht gesagt dadurch, dass Allergene dem Immunsystem in einem falschen Kontext präsentiert werden. In den vergangenen Jahren wurde herausgefunden, dass die Barrierefunktion der Haut dabei eine große Rolle spielt“, so Eiwegger. Unser Darm verdaut Nahrung und signalisiert dem Immunsystem: alles gut, das ist Essen, einfach weitergehen, kein Handlungsbedarf, Toleranz aufbauen. Bei Neurodermitis oder atopischer Dermatitis im Kindesalter (d.h. eine antikörpervermittelte Reaktion auf Umweltallergene wie z.B. ein Ekzem) ist die Barrierefunktion der Kinder gestört. Ihre Haut ist gleichsam durchlässiger und ein sonst harmloses Bakterium kann in Hautschichten vordringen, wo es nicht hingehört. Es kommt zu einer chronischen Entzündung, weil Substanzen eingeschleust werden und aufgeregte Immunzellen dann auch bei Nahrungsmitteln Alarm schlagen. Alles fernzuhalten und zu vermeiden, ist eine natürliche Reaktion, aber nicht immer eine gute Strategie.

Erdnussallergie erfolgreich begegnen
Aber es gibt auch Erfolgsgeschichten zu erzählen. Das klinische Programm zur Therapie schwerer Nahrungsmittelallergien am Universitätsklinikum St. Pölten ist mittlerweile das größte seiner Art in Österreich. Aus seiner Tätigkeit in Kanada weiß Thomas Eiwegger, dass im angloamerikanischen Raum zwei bis vier Prozent der Kinder eine Erdnussallergie haben, rund eines pro Klasse: „Die Empfehlung an Eltern, die selbst Allergien haben, bei ihren Hochrisikokindern erdnusshaltige Lebensmittel aktiv zu vermeiden, hat den gegenteiligen Effekt. Das wissen wir heute. Die Kinder krabbeln am Boden herum, wo einfach alles, was wir essen, im Nanogrammbereich versammelt ist, und dort findet das Allergen den Weg über die entzündete Haut.“ Werden Allergene nun vermieden, kann der natürliche Mechanismus mit einem Aufbau der oralen Toleranz nicht stattfinden.
In der LEAP-Studie konnte gezeigt werden, dass durch frühe und regelmäßige Einführung von Erdnuss-Beikost in Ländern mit hohem Erdnusskonsum in mehr als 80 Prozent der Fälle die Entstehung einer Allergie bei Hochrisikopatienten (mit Neurodermitis und Ei-Sensibilisierung) verhindern kann. Andere Studien zeigten, dass eine frühe, diverse und altersadäquate Beikost-Einführung mit einer niedrigeren Rate an Nahrungsmittelallergien korreliert. Und noch eine gute Nachricht gibt es für alle, die mittendrin stecken. Bei Ei- und Milchallergie – eine extrem einschränkende Kombination – wächst sich die Allergie bei über 80 Prozent der Kinder vor dem Schulalter aus.
Diagnostik mit Chip
Am Universitätsklinikum St. Pölten wird mit kontrollierten und dosierten „Provokationen“ mit Nahrungsmitteln gearbeitet – das ist nichts, was man allein zuhause versucht. „Unser Ziel in der Behandlung ist Beschwerdefreiheit bei Asthma und eine genaue Diagnostik und frühzeitige Therapie mittels allergenspezifischer Immuntherapie – da haben wir hohe Ansprüche und auch viele Möglichkeiten“. Die dritte generelle Empfehlung wäre frühzeitig mit Immuntherapien zu beginnen, weil jüngere Kinder besser ansprechen, als wenn sich Krankheitsbilder verfestigen. Auch die Testverfahren haben sich stark weiterentwickelt. In dem Allergie-Schwerpunktspital können mit einem Chip, der in Österreich hergestellt wird, 300 Datenpunkte auf einmal getestet werden, wenn es sinnvoll ist. Und es ist auch Expertise vorhanden, um das Ergebnis, mögliche Kreuzreaktionen und wichtige Molekularstrukturen korrekt zu befunden, die klinisch relevant sind. Seit 2024 werden in St. Pölten auch Allergolog*innen ausgebildet und molekularbiologische Kenntnisse vermittelt. „Gute Tests helfen uns, besser zu verstehen, welche Therapie sinnvoll ist, wo gute Chancen bestehen und wo es besser bleibt, den Allergenen aus dem Weg zu gehen“, erklärt Thomas Eiwegger. Das sagt sich leicht, ist aber nicht trivial. So ist z.B. Senf ein potentes Allergen, das aber nicht nur bewusst neben Grillgut platziert wird, sondern auch in vielen Fertigprodukten verwendet wird.
Sogenannte „echte“ Nahrungsmittelallergien wie Erdnuss-, Cashew- oder Milchallergien sind potenziell lebensbedrohlich. Aber auch Kreuzreaktionen wie sie z.B. Birkenpollenallergiker*innen mit frischem Obst und Gemüse in weniger schwerer Form schränken die Lebensqualität stark ein. Das Umfeld muss gerüstet und gut informiert darüber sein, was gefährlich ist und was mit einem Antihistaminikum behandelt werden kann. Daher sind auch eine gute Schulung, ein guter Plan und ein gutes Risk Assessment Teil der Behandlung. Die Forschung an geeigneten Therapien geht weiter, an der Karl Landsteiner Privatuniversität etwa auch am Danube Allergy Research Cluster. Um Allergien altersadäquat zu vermitteln, ist gerade ein interaktives Kinderbuch erschienen.
Es war übrigens ein in Wien tätiger Kinderarzt und früher Immunologe, Clemens von Pirquet, der 1906 den medizinischen Fachbegriff „Allergie“ prägte. Der Mediziner erkannte, dass vom Immunsystem erzeugte Antikörper nicht nur schützende Immunantworten vermitteln, sondern auch Krankheiten auslösen können. Abgeleitet wird das Wort aus dem Griechischen (allos = andere, ergon = Arbeit). Thomas Eiwegger betrachtet Clemens von Pirquet als eine „unglaublich wichtige Person“ und setzt sozusagen dessen Vorarbeit und Weg mit fort.
Astrid Kuffner