Die meisten Menschen würden wohl einigermaßen befremdet reagieren, wenn ihnen Freund:innen tote Tiere vor die Wohnung stellen. Alexandra Kontriner dagegen freut sich über animalische Überraschungen. An einem sonnigen Nachmittag empfängt sie ask – art & science krems in ihrem Atelier – einem hohen, hellen Raum in einem Wiener Altbau. Auf einem Tisch steht ein Schraubglas, in dem ein toter Falter, rosa-schwarz gemustert, sitzt. Eine Freundin hat ihn ihr geschenkt, erzählt die Künstlerin. Am Deckel klebt noch ein Post-It mit ihren Grüßen.

Zum Angreifen nahe
Dass Alexandra Kontriner, die den Erich-Grabner-Preis der Stadt Krems erhielt und demnächst ihre Ausstellung im museumkrems eröffnet, über derartige Präsente beglückt ist, liegt nahe. Denn seit Jahren zeichnet und aquarelliert sie tote Natur, nicht nur Insekten, sondern auch Pflanzen. „Perikularium“ heißt ihre Serie von Insekten, die ausgestorben oder stark gefährdet sind und die sie auch in Krems zeigen wird. Die Vorbilder dafür stammen aus Naturkundesammlungen. Sie begann mit ihren zarten und doch so eindrücklichen Papierarbeiten von Tieren 2012, unter anderem Insekten aus den Sammlungen der Tiroler Landesmuseum, oder Vögel im Naturhistorischen Museum in Wien.
Mit diesen Zeichnungen – sie sind auf eine Weise haptisch und illusionistisch, dass man die kleinen Fliegen und Käfer fast in die Hand nehmen möchte – hielt sie das Vergangene, Abgestorbene fest. Danach fokussierte sie sich auf Pionierpflanzen, eine faszinierende Gruppe von Gewächsen: Sie sind die ersten, die verwüstete Gegenden besiedeln. Die „Trümmerpflanze“ etwa, das Schmalblättrige Weidenröschen, erzählt die Künstlerin, habe nach dem Zweiten Weltkrieg das zerbombte Wien überwuchert.

Der Charakter der Pflanzen
Bereits als Kind spürte Alexandra Kontriner gerne dem nach, was am Wegesrand lag, dem wenig Beachteten. Die Pflanzen, die sie zeichnet, entdeckt sie oft bei ihren Streifzügen durch Wien. Dann fotografiert sie diese, oder sie nimmt sie mit und trocknet sie im Atelier. Dort entstehen Papierarbeiten, präzise gezeichnet und aquarelliert, immer reduziert, vor weißem Hintergrund. Betrachtet man sie länger, scheinen sie in Bewegung zu geraten. Kontriner: „Pflanzen sind wie Charaktere.“ Mit ihrer Kollegin, mit der sie sich das Atelier teilt, unterhält sie sich oft über ihre Arbeiten. „Wir reden über die Pflanzen und meine Zeichnungen fast wie über Menschen, sagen zum Beispiel: ‚Schau wie die dahängt.‘“
Zerstörte Waldlandschaft
1980 geboren in Lienz, aufgewachsen in einem Dorf auf 1.400 Metern Höhe in Osttirol, war Alexandra Kontriner die Natur schon immer nahe. Die Wälder, in denen sie als Kind spielte, haben ihre Erscheinung allerdings verändert: 2018 zog ein Sturm eine Spur der Verwüstung über Kärnten und Osttirol. Auch das floss ein in Kontriners Kunst: Aquarelle zeigen eine zerstörte Waldlandschaft, in der die Künstlerin als Kind gespielt hat. Wenn sie diese geknickten Bäume nun in der Ausstellung Pionierpflanzen gegenüber stellt, dann deutet sie damit auch einen Kreislauf aus Zerstörung und Hoffnung an.
In Alexandra Kontriners Kunst und Denken ist das Vergängliche ein großes Thema. „Es hat mich schon immer berührt, wenn ich ein totes Insekt sehe“, sagt sie. „Aber auch wenn es nicht mehr lebt, so kann ich es doch festhalten in einer Zeichnung.“ Ebenso wie die Wolkenformationen, die sie auf Papier gebannt hat: „Die Wolken ändern sich nach zwei Sekunden, und ich brauche Monate für das Aquarell“, bemerkt sie. Auch langsame Veränderungen beobachtet sie gerne: etwa von getrockneten Pflanzen, die für sie viel lebendiger wirken als noch in Saft stehende. „Aufgrund der Faltungen finde ich sie ästhetisch viel interessanter als lebende Pflanzen.“

Das genaue Hinsehen
Alexandra Kontriners Laufbahn ist nicht unbedingt typisch für eine Künstlerin in Österreich. Sie absolvierte kein Studium an einer Kunstakademie, besuchte jedoch Kurse an der Wiener Universität für Angewandte Kunst. Ihre Ausbildung kommt aus anderen Richtungen. Vor ihrem Kunstgeschichte-Studium in Innsbruck war sie auf der Glasfachschule in Kramsach, wo sie sechs Jahre mit unterschiedlichsten Materialien und Methoden arbeitete: „Glasblasen, Bleiverglasung, Glasmalen, Gravieren, Fenster einbauen, Lederbearbeitung, Mosaik, Siebdruck“, zählt sie auf. Was freilich nur ein Bruchteil der dort gelehrten Fähigkeiten ist. So erwarb sie sich ein geradezu körperliches Empfinden für das Material. Aber auch das Schauen. Eine Lehrerin forderte sie einst mit Blick auf eine Wiese auf, deren Farben zu schildern. Mit der Antwort „Grün“ gab sie sich dabei nicht zufrieden.
Das genaue Hinsehen blieb Alexandra Kontriner, wie auch Kurator Jasper Sharp im Jurystatement des Erich-Grabner-Preises festhielt. Über ihre Zeichnungen schrieb er darin: „Unvergleichlich ausgeführt, sind sie klein im Maßstab, aber weit in ihrer Dimension. Und sie tun, was wirklich gute Kunst kann: Sie verlangsamen uns, stellen uns Fragen und lassen vieles unausgesprochen, während sie sich zugleich in unser Gedächtnis einprägen.“
Die Geschichte der Naturbeobachtung in der Kunst hat eine lange Tradition, von Albrecht Dürer über Rachel Ruysch bis zu Maria Sybilla Merian. Alexandra Kontriner fügt ihr eine neue Facette hinzu.
Nina Schedlmayer