„Die Wachau steht unter keinem Glassturz“

Seit 25 Jahren ist die Wachau UNESCO-Welterbe. Welche Herausforderungen und Chancen bietet das? ask – art & science krems sprach darüber mit dem Kulturerbe-Experten Peter Strasser und Welterbe-Beirat Martin Grüneis.
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Martin Grüneis, Peter Strasser, Nina Schedlmayer

ask – art & science krems: Herr Strasser, Herr Grüneis, eine simple Frage zum Einstieg: Wann waren Sie zuletzt in der Wachau?

Martin Grüneis: Ich wohne in der Wachau, in Melk. Gerade hatte ich das Vergnügen, durch eine wunderschöne Landschaft zu fahren. Die Wachau ist mein Aktionsraum, ich bin hier zuhause.

Peter Strasser: Vor zwei Stunden. Ich wohne in Mautern, wo sich die zwei Welterbestätten Wachau und Donaulimes überlappen. Wenn ich über die Mauterner Brücke fahre und die Silhouette von Krems-Stein sehe, wird mir bewusst, wie privilegiert ich bin.

Martin Grüneis & Peter Strasser im Gespräch mit ask
Martin Grüneis & Peter Strasser sprachen über das Werden und Wirken des Welterbe Wachau.

ask – art & science krems: Seit 2000 ist die Wachau Teil des UNESCOWelterbes. Herr Strasser, was waren damals die wichtigsten Voraussetzungen dafür?

Strasser: Die Wachau war Anfang der 1970er-Jahre durch Kraftwerkspläne an der Donau bei Rossatz in Gefahr, und es formierte sich eine Bürger*innen-Bewegung dagegen. Etwa zeitgleich wurde das Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Menschheit aufgesetzt. Österreich trat der Konvention 1993 bei und hatte eine „tentative list“ mit Vorschlägen beim UNESCO-Sekretariat in Paris einzureichen. Für den Vorschlag Wachau setzte sich das Land, die NGO „Alliance for Nature“ und das Bundesdenkmalamt ein. Sie wurde richtigerweise als Kulturlandschaft eingereicht und nicht als Naturstätte – sonst dürfte man hier heute nichts mehr machen. Im Dezember 2000 bestätigte das Welterbekomitee in Cairns (Australien) die Aufnahme.

Grüneis: Das alles wäre nicht passiert, wenn sich die Zivilgesellschaft hier nicht für den Welterbestatus eingesetzt hätte. Der „Arbeitskreis zum Schutz der Wachau“ war zentral, den gibt es heute noch. Es gab also auch eine Bottom-up-Bewegung, stark verankert in der lokalen Bevölkerung. Das Welterbe-Bewusstsein war und ist in der Wachau hoch – das trägt die Region bis heute.

ask – art & science krems: Das Welterbe ist per definitionem „von außergewöhnlichem universellen Wert für die gesamte Menschheit“. Wieso trifft das auf die Wachau zu?

Strasser: Die Wachau erfüllt zwei von zehn strengen UNESCO-Kriterien – was sehr gut ist – und ist wie folgt erfasst: Als einzigartiges Beispiel einer Flusslandschaft, eingebettet zwischen schroffen Felswänden, wo die materiellen Zeugnisse die Jahrhunderte überdauerten. Zudem wird in der Architektur, den Siedlungsstrukturen und der landwirtschaftlichen Nutzung ein lebendiges Bild von ihrer Geschichte und den Veränderungen im Lauf der Zeit gezeichnet. Die Wachau ist das plastische Beispiel einer Kulturlandschaft, die lebt und sich weiterentwickeln soll. Kein Relikt, wo man nichts mehr ändern darf.

Peter Strasser im Gespräch mit ask
Peter Strasser: „Die Wachau ist das plastische Beispiel einer Kulturlandschaft, die lebt und
sich weiterentwickeln soll.“

ask – art & science krems: Besteht das Regelwerk zu UNESCO-Welterbestätten eher aus Verboten oder Geboten?

Strasser: Es ist hier nicht mehr verboten als anderswo. Das Welterbe-Abkommen wurde tatsächlich kaum durch Gesetze konkretisiert, es wurde keine – im österreichischen Recht – eigene, neue Schutzkategorie eingeführt. Denkmalschutz und Naturschutz bestanden vorab ohnehin, das war eine Voraussetzung. In einigen Ortszentren wurden mit Unterstützung der niederösterreichischen Baudirektion inzwischen Schutzzonen eingeführt.

Grüneis: Die Wachau steht unter keinem Glassturz. Das wäre das falsche Bild. Natürlich entwickeln sich die Welt und ihre Welterbestätten weiter – es geht also um adäquate Gestaltung. Diese ist hier zwar aufwändiger als anderswo, aber möglich.

ask – art & science krems: Es gibt für den Umgang mit dem Welterbe drei Leitlinien „Welterbe erhalten und pflegen, „Welterbe schützen durch Nützen“ und „Mein Welterbe: Werte schätzen lernen. Was bedeutet das konkret?

Grüneis: Diese Leitlinien stammen aus dem Managementplan, den jede Welterbestätte hat. Er wurde mit den Menschen in der Region entwickelt. Bei Welterbemanagerin Ingeborg Hödl laufen seit September 2018 diese Prozesse zusammen. Die Leitlinien sind also keine UNESCO-Vorgabe, sondern Ergebnis eines Abstimmungsprozesses, weil die Gestaltung keine Bundes-, Länder- oder Stadtaufgabe ist, sondern alle betrifft, die hier leben und arbeiten sowie gestalten wollen. Der Plan wird regelmäßig überarbeitet, und da können sich wieder alle Betroffenen einbringen.

ask – art & science krems: Herr Grüneis, Sie sind Teil des Welterbebeirats, der das Management berät. Wie gestaltet sich diese Arbeit konkret?

Grüneis: Die drei Finanzierungspartner – Bund, Land, Gemeinden – haben je einen Sitz im Beirat. Viele Themen formuliert das Welterbemanagement, und der Beirat bringt darauf seine Sichtweisen ein: Das Bundesministerium für Wohnen, Kunst, Kultur, Medien und Sport, die niederösterreichische Kulturabteilung und die Gemeinden. Wir reden über Visionen und Ideen zur Entwicklung. Ein wichtiges Projekt der letzten Monate war das Leitbild für das Bauen in der Wachau, das wir gemeinsam initiiert und beschlossen haben.

ask – art & science krems: Was bringt der Welterbestatus in der Wachau für Natur, Kultur, Wirtschaft und die Menschen, die hier leben?

Strasser: Welterbe-Kulturlandschaften sind wirklich das Herausforderndste, was die UNESCO in Sachen Kulturerbe-Management zu bieten hat: Es ist ein Lebensraum – kein Nationalpark, Reservat oder Museum. Wie bei anderen geschützten Gebieten ist es schwer, den Wert, den der Welterbetitel enthält, zu vermitteln. In Sonntagsreden heißt es dann: Diese Stätten gehören allen, sind ein Geschenk eines Landes an die Menschheit.

Grüneis: Viele Menschen leben in dieser Landschaft und finden sie schön, aber wenn eine Weltorganisation sie als einzigartig bezeichnet, stärkt es hoffentlich das Verständnis und appelliert an den Gemeinschaftssinn. Es geht nicht darum, dass alle machen, was sie wollen und ihren Nutzen suchen, sondern um ein Bewusstsein für die Verantwortung, dieses Welterbe weiterzuführen und Rücksicht auf das Vorhandene zu nehmen.

Martin Grüneis und Peter Strasser im Gespräch
Martin Grüneis und Peter Strasser im Gespräch mit Astrid Kuffner und Nina Schedlmayer im Innenhof des museumkrems.

ask – art & science krems: Beim „Wachauforum“ kann jede*r Ideen und Kritik einbringen. Welche Themen kommen da aufs Tapet?

Grüneis: Das Wachauforum findet üblicherweise alle zwei Jahre statt. Es möchte alle ansprechen, die Interesse haben und mitgestalten wollen. Da kommen unterschiedliche Themen zur Sprache, manche sind auch geprägt von persönlichen Zugängen und Notwendigkeiten. Das Thema Bauen hat sich als wichtig herauskristallisiert: Da sieht man das Welterbe einerseits als Chance. Es kann aber auch in die andere Richtung gehen.

ask – art & science krems: Gibt es Kontroversen um das Welterbe?

Grüneis: Natürlich. Das Welterbe ist nicht für jeden sofort in persönlichen Nutzen umzusetzen, und so mancher sieht eher eine Behinderung darin. Aber da kann man nur dagegenhalten: Das Welterbe ist von der Weltöffentlichkeit anerkannt worden – schauen wir, wie wir das vernünftig entwickeln können. Gewisse Regeln sind eben einzuhalten, das ist auch im Straßenverkehr so.

Strasser: So falsch kann das Konzept nicht sein, weil inzwischen gibt es 1.248 Welterbestätten in 170 Staaten und den Druck, dass neue dazu kommen. Also es ist insgesamt etwas Positives. Das Welterbe ist ein Demokratisierungsfaktor, weil es auch unter einem Monitoring steht. So ist eine Art Reflexion eingebaut, wie es weitergehen kann, wo man auch ständig fragt, ob man am richtigen Weg ist.

ask – art & science krems: Die Wachau wird jedes Jahr von rund zwei Millionen Menschen besucht. Hat die Aufnahme ins UNESCO-Welterbe diesen Ansturm befördert?

Grüneis: Ganz sicher, denn Studien weisen nach, dass Welterbestätten touristisch interessant sind. Ich sehe den Tourismus positiv, denn er ist auch Lebensgrundlage. Das Stift Melk wurde jahrzehntelang aufwändig saniert. Aktuell betrifft es die Bibliothek – was bedeutet, dass 100.000 Bände aus den Regalen genommen, untersucht und einzeln behandelt werden, und das in einer Zeit, in der viele Touristen durch das Stift laufen. Ohne Einkünfte aus dem Tourismus ginge das gar nicht: Da könnte der Bücherwurm ungestört weiterarbeiten. Ähnlich verhält es sich bei den Stiften in Dürnstein und in Göttweig. Natürlich unterstützt die Landesregierung diese Sanierungsprojekte, aber ist nur mit einem anteiligen Finanzierungsbeitrag dabei. So hilft Tourismus, das Welterbe zu bewahren.

Martin Grüneis
Martin Grüneis: „Ich will nicht, dass eines Tages hier ein Chalet-Dorf errichtet wird.
Dass das einmal jemand umsetzen will, ist möglich – aber ich hoffe, dass dann Instrumente
wie Naturschutz, Raumordnung oder auch Welterbe aufzeigen, dass das für die Wachau nicht
der richtige Weg ist.“

ask – art & science krems: Welche Herausforderungen und Gefahren sehen Sie bei der Erhaltung und Weiterentwicklung der Kulturlandschaft Wachau?

Grüneis: So wichtig der Tourismus ist, so birgt er auch Gefahren. Mit Ausnahme von Melk und Göttweig wird die Nordseite der Donau touristisch viel mehr genutzt als die Südseite. Da muss man schauen, ob man einen Ausgleich, eine Entzerrung schaffen kann. Im Westen Österreichs, in den Alpen, sieht man touristisch sehr stark genutzte Orte, die aus meiner Sicht eine Überformung erfahren haben. Da muss man auch in Wachau aufpassen: Ich will nicht, dass eines Tages hier ein Chalet-Dorf errichtet wird. Dass das einmal jemand umsetzen will, ist möglich – aber ich hoffe, dass dann Instrumente wie Naturschutz, Raumordnung oder auch Welterbe aufzeigen, dass das für die Wachau nicht der richtige Weg ist.

Strasser: Es gibt den Begriff des Overtourism. Wir kennen aus Österreich Beispiele von Orten, durch die sich von neun bis 17 Uhr die Massen schieben und danach die Gehsteige hochgeklappt werden. Das betrifft aber nicht nur Welterbestätten. Die Probleme, die es gibt, hätte man auch ohne Welterbe-Status. Nur stehen sie hier in der Auslage – eben weil das Welterbe besonders gut dastehen soll. Themen wie Zersiedelung und Leerstand sind selbstverständlich auch hier virulent. Da sind Instrumente nötig, die auf Bewusstseinsbildung zielen.

Grüneis: Die Wachau ist mit 35 Kilometern Flusslandschaft überschaubar. Auch der Klimawandel ist sicher eine Gefahr. Aber vielleicht ist das Welterbe auch eine Gelegenheit, in dieser Region besonders auf den Umgang damit zu achten. Wir müssen die Region resilient machen. Damit kann sie ein Muster für andere in Niederösterreich werden, etwa beim Hochwasserschutzbau: Früher verbaute man die Donau einfach mit hohen Mauern, und die Sache war erledigt. Sehr bald ging man jedoch dazu über, einen Sockel mit Aufständerung zu errichten, in denen mobile Elemente fixiert werde können. Das ist eine Lösung, die für das Welterbe adäquat ist.

ask – art & science krems: Die Welterberegion könnte also auch Raum für Innovationen sein?

Grüneis: Ich will nicht das Bild erzeugen, dass man in einem riesigen Labor lebt, in dem alles Mögliche ausprobiert wird. Sondern dass die Achtsamkeit auf die Region in der Gesamtheit gerichtet wird – das umfasst alles, von den Bergen über die Weingärten, die Donau und das Gebaute bis zum immateriellen Kulturgut, das gelebt wird.

Strasser: Da kann ich nur zustimmen. Das Welterbe hat ein nachhaltiges Konzept, sodass die Leute einen Sinn finden und nicht fortziehen, trotz Hochwasser. Die Wachau bleibt weiterhin ein attraktiver Lebensraum. Da kann das Welterbe Vorbildcharakter haben.

Martin Grüneis, Astrid Kuffner, Nina Schedlmayer, Peter Strasser
Von links nach rechts: Martin Grüneis, Astrid Kuffner, Nina Schedlmayer, Peter Strasser
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Martin Grüneis studierte Handelswissenschaften und Kunstgeschichte. Er ist stellvertretender Leiter der Abteilung für Kunst und Kultur der Niederösterreichischen Landesregierung und dort Bereichsleiter für Kultur, ist gemeinsamer Ländervertreter im Vorstand der österreichischen UNESCO-Kommission, zudem Teil des Welterbebeirats in der Wachau, der aus drei Personen besteht – neben ihm sind Ruth Pröckl vom Bundesministerium für Wohnen, Kunst, Kultur, Medien und Sport sowie Roman Janacek, Bürgermeister der Gemeinde Bergern in diesem Gremium.

Peter Strasser ist ausgebildeter Jurist und Ethnologe, Experte für kulturelles Erbe und Rechtsnormen im internationalen und nationalen Kontext. Er ist Professor für Welterbe und Kulturgüterschutz an der Universität für Weiterbildung Krems und leitet dort das Jiří Toman Zentrum für kulturelles Erbe und humanitäre Normen. Davor war er u.a. sieben Jahre bei der UNESCO in Paris, Rechtsberater für Denkmal- und Kulturgüterschutz für das Rumänische Kulturministerium in Bukarest und Berater der OSZE für Menschenrechte und Kultur in Pristina/Kosovo.

Am 30. November 2025 beleuchtet die Fachtagung „Von der ‚Modellstadt der Denkmalpflege‘ zum UNESCO Welterbe“ an der Universität für Weiterbildung die langjährigen Bemühungen um den Erhalt der Altstädte von Krems und Stein und der Kulturlandschaft Wachau. Weitere Informationen dazu hier.

© Agnes Winkler
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