Ein Spätzünder legt einen Raketenstart hin: So könnte man die Karriere von Joe Bradley beschreiben. Der US-Maler, der aktuell in der Kunsthalle Krems Einblick in sein Œuvre der vergangenen 20 Jahre gibt, lernte erst als fast schon Erwachsener die Malerei kennen. „Ich erinnere mich, Bücher angesehen zu haben, als ich in der High School war“, erzählte er einmal Laura Hoptman, damals Kuratorin am New Yorker Museum of Modern Art (MoMA). Originale Malerei habe er jedoch erst später gesehen. Mit 18 beeindruckte ihn der US-Pop-Künstler Alex Katz. Und mit gerade mal Mitte 30 war Joe Bradley selbst im Olymp der Kunst angekommen: 2011 erwarb das MoMA sein erstes Bradley-Werk.

Sohlen auf Leinwänden, lose Fäden
Dabei widerstrebt Joe Bradleys Werk diametral dem, was der Markt so liebt: Es besitzt nämlich nur in begrenztem Maß Wiedererkennungswert. Im Gegensatz zu anderen Kunststars hat der Maler kein „Brand“ entwickelt. Das zeigt sich gut in seiner Kremser Ausstellung: Wer über die Rampe in den ersten Stock geht, erhascht dort zunächst einen Blick auf die ebenerdige große Halle – und auf drei geometrisch-abstrakte Bilder von monumentaler Dimension, aufgebaut aus wenigen Farbflächen. Angekommen im ersten Saal der Ausstellung, stößt das Publikum zunächst auf ein ockerfarbenes monochromes Bild, gegenüber davon: zwei Bilder mit locker hingekritzelten Farbballen, auf rohen Leinwänden, die Spuren von Schuhsohlen tragen. Eine davon ist aufgenäht, nachlässig hängen lose Fäden herunter. In der Säulenhalle tauchen die Besucher*innen ein in ein Meer aus fliegenden bunten Gestalten, Kreisen, amorphen Wesen, Nierenformen sowie Rechtecken aus groben Pinselstrichen, die in der Mitte oder an der Seite ausfransen. Zwei gelbe Kreise schweben über einer schwarzen Fläche – sind es zwei Figuren an einem Tisch?

25 Hände
Im nächsten Raum wiederum gucken naive Wesen mit großen Augen in die Welt, und schwindeln sich immer wieder Gegenstände – ein Flugzeug, ein Pferdekopf, Margeriten – in sehr bunte, sehr wilde, abstrakt erscheinende Kompositionen. Und plötzlich wieder ganz etwas anderes: Skulpturen aus Holz und Bronze, teils mit Vorgefundenem kombiniert. Die Karikatur eines Autos trägt einen Holzkopf, eine Frau kriecht auf einem Klapptisch, Füße stecken in Sandalen. Am Ende führt der Rundgang durch jene Halle, die man bereits von oben gesehen hat. Nun stellt sich heraus, dass die großformatigen abstrakten Bilder aus einzelnen Leinwänden zusammengesetzt sind, und zwar aus industriegefertigten Vinylstoffen. Joe Bradley baut sichtlich auf einer ganzen Reihe kunsthistorischer Referenzen auf – von Picasso und Miró über Picabia zu Roy Lichtenstein, Frank Stella und Ellsworth Kelly. Florian Steininger, künstlerischer Direktor der Kunsthalle Krems und ausgewiesener Malerei-Spezialist, ist mit Bradleys Werk schon lange vertraut. Ihn selbst traf er erstmals vor drei Jahren in der Wiener Dependance der Galerie Eva Presenhuber, besuchte ihn gleich darauf in seinem Atelier im New Yorker Stadtteil Queens. „Sein Studio ist voll mit Literatur, Kunstbänden“, erzählt er. Manchmal pinne er Abbildungen von anderen Kunstwerken auf, lasse sich inspirieren.

Vorliebe für Underground-Comics
1974 geboren, wuchs Bradley in der Kleinstadt Kittery an der Küste Maines auf, als eines von neun Kindern. Auch wenn er in seiner Kindheit nicht mit Kunst umgeben war, so interessierten ihn schon früh Medien bildnerischen Ausdrucks; er hatte eine Vorliebe für Underground-Comics, wie er einmal erzählte. Nachdem er sich mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen hatte, immer nebenher zeichnend, schrieb er sich an der Rhode Island School of Design ein, nachdem ihn ein Besuch im Atelier eines Freundes dazu inspiriert hatte. Dort arbeitete er sich förmlich in die Kunstgeschichte hinein. Der Rest klingt wie aus einem Wunschtraum: Umzug nach New York, Entdeckung durch den Galeristen und Influencer avant la lettre Kenny Schachter, eine Ausstellungsbeteiligung im legendären PS1, einem Ableger des MoMA, Whitney-Biennale, immer größere Galerien, Preisrekorde, Sammler vom Range eines Charles Saatchi. Heute reichen die weltbesten Galerien seine Werke weiter – Eva Presenhuber, David Zwirner, Xavier Hufkens. Dazwischen lag eine zwar zunächst erfolgreiche, dann aber doch abgebrochene Karriere als Leadsänger einer Punkband mit dem eingängigen Namen Cheeseburger.

Kein Mann der schnellen Bilder
Joe Bradley ist kein Mann der schnellen Bilder. Wenn andere eruptiv und in einem Zug ihre Werke auf die Leinwand werfen, so braucht er länger. „Ich brauche immer wieder eine Distanz zu einer Arbeit“, sagt er in einem Interview, das in der Kremser Ausstellung zu sehen ist. Manchmal fotografiert er sein aktuelles Werkstück mit dem Handy und schaut es sich am Abend noch einmal an. Ein Bild sei dann fertig, „wenn es mir fremd erscheint, wenn ich meine Schritte, die mich dorthin führten, nicht mehr nachvollziehen oder zurückverfolgen kann“, sagte er im Gespräch mit Laura Hoptman.
Steininger beschreibt die künstlerische Laufbahn von Joe Bradley treffend: Sie sei keine lineare Entwicklung, sondern entspreche eher einem Hüpfen. Das zeige sich auch gut an den Zeichnungen, denen in der Kunsthalle ein ganzer Raum gewidmet ist. Hier entstehe der Eindruck, es handle sich „nicht um eine, sondern um 25 verschiedene Hände“. Was diese vielen Hände wohl als nächstes aufgreifen?
Nina Schedlmayer


