Wie OMICS-Technologien Diagnosen bereichern

Andreas Lackner, Stammzellforscher und Studiengangsleiter am IMC Krems, über das diagnostische Potenzial der ganzheitlichen Analyse von Molekülklassen aus einer Zelle oder einem Organismus, proaktive Medizin, den ethischen Umgang mit Patient:innendaten und Fallstricke der Zweiklassenmedizin.
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Andreas Lackner im weißen Kittel im Labor bei der Arbeit.

Biologische Massenanalysen – die sogenannten OMICS-Technologien – beschreibt Andreas Lackner, Studiengangsleiter am IMC Krems, gerne wie „Dirk Gentlys ganzheitliche Detektei“. Der holistische Detektiv von Sci-Fi Autor Douglas Adams exploriert die „fundamental interconnectedness of all things“. Die OMICS-Technologien, kurz für Genomik, Transkriptomik, Proteomik und Metabolomik, versuchen ebenfalls in den Blick zu bekommen, wie alles fundamental mit allem zusammenhängt: „Zelluläre Prozesse wurden historisch in Einzelbetrachtung untersucht, dabei immer nur ein Gen oder Protein und der dazugehörige Signalweg in den Fokus genommen. Mit den OMICS-Technologien kann eine ganzheitliche Analyse der gesamten Zelle, des Organs bzw. des Organismus stattfinden. Mit Next Generation Sequencing wird beispielsweise für eine Zelle die gesamte DNA, das Genom, analysiert.“ Auf DNA-Ebene spricht man von Genomik und auf Ebene der Ribonukleinsäure (RNA) von Transkriptomik. Denn um von der genetischen Information in der DNA-Bibliothek zu einem Lebensprozess zu kommen, wird die DNA zunächst in RNA übersetzt (Transkription) und dann in Proteine abgelesen (Translation). Wieviel von welchem Protein oder Stoffwechselprodukten zu einem Zeitpunkt vorhanden ist, bestimmen die Proteomik bzw. die Metabolomik mittels Massenspektrometrie. Die Technologien hinter der flotten und umfangreichen Datenanalyse sind verschieden, stehen aber seit rund zwei Jahrzehnten zur Verfügung. Heute entwickeln sie mehr medizinischen Nutzen, weil die Technologien um ein Vielfaches günstiger wurden und die Zusammenhänge klarer werden.

Andreas Lackner im weißen Kittel im Labor bei der Arbeit.
OMICS-Technologien wie Genomik, Proteomik oder Metabolomik ermöglichen es, alle biologischen Komponenten einer Zelle oder eines Organismus ganzheitlich zu analysieren, statt einzelne Gene oder Proteine isoliert zu betrachten. Andreas Lackner vergleicht diesen Ansatz mit Dirk Gentlys Idee, dass alles miteinander verbunden ist.

Von der reaktiven zur proaktiven Medizin

OMICS-Technologien dienen als Hebel für Prävention und Früherkennung im Gesundheitssystem. Sie ermöglichen, das Risiko für Diabetes oder Alzheimer genetisch vorherzusagen und Stoffwechselveränderungen als frühe Indikatoren für später im Leben auftretende Krankheiten zu nutzen. Insbesondere Multi-omics Analysen ermöglichen von einer reaktiven zur proaktiven Medizin zu kommen. Wenn z.B. Genomik und Metabolomik gekoppelt werden, können Krankheiten bereits vor Symptomen erkannt und behandelt, das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen abgeschätzt oder angeborene Stoffwechselerkrankungen diagnostiziert werden. In der Krebstherapie werden OMICS zur Bestimmung von Tumortypen für eine gezielte Therapie genutzt. Auch das voraussichtliche Ansprechen auf andere Therapien (Antidepressiva, etc.) sowie die Entwicklung personalisierter Ernährungspläne werden bereits durch OMICS Technologien unterstützt. Durch eine ganzheitliche Aufnahme der Immunreaktionen bei Infektionskrankheiten können zudem schneller bessere Impfstoffe gefunden werden.

Andreas Lackner rechnet damit, dass in naher Zukunft das eigene Genom-Profil als Startpunkt für personalisierte Medizin gängiger werden wird. Durch OMICS würde so ein breiteres „Life Improvement“ möglich. Ziel muss es aber sein, die Kosten datengetriebener Diagnose für akute, schwerwiegende und verbreitete Krankheiten, die viele betreffen, zu senken – damit es keine Zweiklassenmedizin wird“, betont Andreas Lackner. Auch das sogenannte Referenzgenom, das beispielsweise zur Identifizierung von Risikofaktoren herangezogen wird, muss nachgebessert werden. Da die Technologien zunächst in „first world countries“ genutzt wurden, ist es noch nicht divers genug, um „gesunde Menschen“ weltweit abzubilden.

Andreas Lackner im weißen Kittel im Labor bei der Arbeit.
Andreas Lackner erwartet, dass personalisierte Medizin auf Basis individueller Genomprofile bald verbreiteter wird, warnt aber, dass OMICS-Technologien günstiger und Referenzgenome vielfältiger werden müssen, damit diese Fortschritte weltweit allen zugutekommen und keine Zweiklassenmedizin entsteht.

Datenmeer und Datenschutz

Für diese fruchtbaren Erkenntnisse generieren OMICS-Technologien riesige Datenmengen, die heute zunehmend auch mit künstlicher Intelligenz ausgewertet und interpretiert werden. Fachleute an dieser Schnittstelle müssen also im verantwortungsvollen Umgang mit diesen medizinischen Daten geschult werden. Für den sicheren Einsatz braucht es bessere Methoden zur Verschlüsselung und Anonymisierung. Ein weiterer Ansatzpunkt ist „federated AI“, also die Etablierung lokaler (dezentraler) KI-Modelle z.B. auf Ebene von Krankenhaus oder Forschungseinrichtung. Diese arbeiten für die Analyse mit anderen Modellen als „weltweite KI“ zusammen, ohne dass die Daten den Ort der Aufnahme verlassen.

Im neuen berufsbegleitenden Studiengang „OMICS Technologies and Data Science in Biomedicine“ am IMC Krems werden für das Handling dieser medizinischen Informationen Ethik und Datenschutz entsprechend großgeschrieben. Weitere wichtige Inhalte des Masterprogramms sind die Biologie hinter Prozessen, Datenqualität, Design von Experimenten und Validität von Ergebnissen. Im Lehr- und Forschungsbetrieb werden die Studierenden des ersten Jahrgangs selbst mit onkologischen Forschungsdaten arbeiten mit der Frage: Warum reagiert eine Krebszelle auf die Therapie und wird plötzlich resistent – und eine andere nicht?

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