Dem Preisträger steht der Mund offen, er scheint den Atem anzuhalten. Doch langsam verwandelt sich seine Überraschung in ein beglücktes Lächeln. Als der Musiker Max Martins 2016 den Polar Music Prize in der Stockholm Concert Hall erhielt, performte die schwedische Sängerin und Violonistin Lena Willemark. Sie startet, unmittelbar und schnell, mit einem ultrakurzen Stück: einem hochfrequenten Ruf, bei dem sie die Stimme so moduliert, dass er immer komplexer wird. Eine Projektion bezeichnet ihn als „Herding Call“, also als Hirtenruf. Lena Willemark trägt ihn in taubenblauem Abendkleid vor, breitet die Arme aus, schließt bisweilen die Augen – genau wie Teile ihres Publikums, die in ihre Musik eintauchen.
Begeisternd und packend
Lena Willemark, die demnächst an zwei Abenden beim Festival Imago Dei gastiert und ein Monat in einem Studio von Artist in Residence Niederösterreich verbringt, weiß ihr Publikum zu erstaunen und zu fesseln. Aufgewachsen in der Region Älvdalen, hütete sie schon als Teenager im Sommer in den Bergen Kühe. „Die Frauen dort oben sangen die Hirtenmusik“, erzählt sie im Gespräch mit ask – art & science krems. Diese zählt zu einer ihrer – zahlreichen – Inspirationsquellen. „Musik, Mensch, Natur, Tiere sind sehr stark miteinander verbunden“, erinnert sie sich an diese Zeit. „Wenn etwa die Kühe nicht heimkamen, mussten wir sie draußen suchen. Dafür mussten wir die Natur lesen: Auf ungewöhnliche Klänge horchen, schauen, ob es feucht ist oder nicht, die Stimmung der Tiere erkennen. Es war eine Mischung aus Improvisieren und Wissen.“ Eine Mischung, die auch in der Musik essentiell ist.
Heute gehört Lena Willemark zu den Folk-Stars Schwedens. Mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht – etwa dem Spelmannen-Preis, den schon ABBA erhielten, sechs schwedische Grammys, den Preis der Deutschen Musikkritik, den Dalecarlia Music Award – wurde sie 2023 als erste Folkmusikerin in die schwedische Music Hall of Fame aufgenommen. 2017 trat sie mit der samischen Sängerin Ulla Pirttijärvi beim Nobelpreisbankett auf, sang zu Musik, die auf Eisinstrumenten gespielt wurde, unter anderem auch den Hirtenruf.
Charisma
Dabei lässt sich ihre Musik nicht auf Folk reduzieren. Schon als Jugendliche spielte sie in einer Band und ließ sich dabei etwa von den Beatles beeinflussen. „Und dann nahmen wir wieder unsere Fideln heraus.“ Später eignete sie sich am Royal College of Music in Stockholm weiteres Wissen an. Auch Jazz, freie Improvisation und klassische Musik inspirieren die Sängerin und Violonistin, die 1960 geboren wurde und viele ihrer Songs selbst komponiert. Ihre charismatische Ausstrahlung vermittelt sich nicht nur auf der Bühne, sondern schon in einem Gespräch über den Bildschirm, alleine durch ihre Gestik. Wenn sie von künstlerischen Partnerschaften erzählt, dann zieht die rechte Hand eine Linie – die langfristigen Kollaborationen und die andere Wellen – die punktuellen. Wenn sie schildert, wie sie eine Ebene für viele Musikrichtungen schafft, dann breitet sie die Arme weit aus. So, als würde sie die Saat auf diesem Feld aussäen.
Erweiterung des Radius
In Krems performt sie nun gemeinsam mit dem Bassisten Anders Jormin, dem Percussionist Jon Fält sowie der Koto-Spielerin Karin Nakagwa ein Konzert mit dem programmatischen Titel „The Importance of Otherness – Music and Poetics without Borders“ mit Stücken aus dem jüngsten Album „Pasado en claro“. Die Koto, ein Instrument mit 25 Saiten, ähnelt einer horizontalen Harfe und stammt aus Japan. „Ich war immer neugierig und wollte meinen Radius erweitern“, erzählt Lena Willemark. „Music and Poetics without borders“, das bedeute, „die Grenzen in sich selbst loszuwerden, eine offene Geisteshaltung zu haben.“
Mit ihrem Kollegen Anders Jormin arbeitet sie seit Jahrzehnten. „Wir können uns in der Sprache der Musik verständigen“, sagt sie. „Wir lieben uns auf musikalische Art, er ist ein außergewöhnlicher Mensch, sehr offen, hat Frauen in der Musik immer unterstützt. Wir arbeiten nicht die ganze Zeit zusammen. Und immer wenn wir uns treffen, ist etwas Neues passiert – so haben wir einander immer etwas zu erzählen und zu geben.“

Lena Willemark (Stimme, Violine), Karin Nakagawa (25-saitige Koto), Jon Fält (Schlagzeug, Perkussion)
Eine weitere langjährige Kollaboration verbindet sie mit der Komponistin Karin Rehnqvist, die mehrere Stücke für sie schrieb, unter anderem in der Royal Opera Stockholm – ein langes Stück, drei Stunden.
Folk, die erste Liebe
Vieles in der Kunst von Lena Willemark, so scheint es, dreht sich die Balance: nicht nur zwischen langjährigen und kurzfristigen Kollaborationen, sondern auch zwischen den Wurzeln des Folk und neuen Einflüssen („dem tiefen Boden und dem offenen Himmel“, wie die Musikerin es ausdrückt). Zwischen Geben und Nehmen. Darüber spricht sie in Zusammenhang mit ihrer Kremser Residency: Sie wird in einer Schule auftreten und möchte sich, neben dem Komponieren, gern mit anderen Künstlerinnen treffen, „mich von Natur und Menschen inspirieren lassen.“ Eine Balance findet sie auch zwischen ihren beiden Instrumenten, der Stimme und der Geige. „Die Stimme ist mein erstes Instrument, in ihr habe ich mehr Freiheit. Wenn ich Violine spiele, habe ich das Gefühl, ich singe durch sie. Und wenn ich singe, dann behalte ich etwas von der Geige in mir.“ Tradition ist für sie etwas Lebendiges, etwas, das sich bewegt. Folk, so sagt sie, war ihre erste Liebe. „Sie engt mich nicht ein, sondern befreit mich.“
Nina Schedlmayer