Der Schlüssel in der Hand ragt ins Leere, ein Hosenbein ist abgefackelt, das Gesicht bedeckt von Ruß. Und dort, wo vorher ein Auto stand, gähnt jetzt ein Loch im Boden, aus dem muntere Rauchschwaden aufsteigen. Direktor Skinner bleibt nichts anderes übrig, als belämmert in die Luft zu schauen.
Das Bild ist eines von 150 sogenannten Cels, die das Karikaturmuseum Krems demnächst in seiner Ausstellung „Hier kommt Bart! Simpsons Cartoon Art aus der Sammlung William Heeter und Kristi Correa“ zeigt. Es sind Zelluloidfolien, auf denen sich die Animation entfaltet: 24.000 davon fertigte einst ein Heer an Zeichner*innen und Designer*innen für eine einzige Episode der legendären Simpsons an – und auf der eingangs erwähnten zeigt sich das Ergebnis einer der Taten des Titelhelden. Zwar ist das Verfahren mittlerweile von der Digitalisierung abgelöst, doch vergleichsweise lange hielt man daran fest. Bis heute entstanden 768 Episoden in 35 Staffeln. Die Simpsons sind die am längsten ausgestrahlte US-Serie aller Zeiten – und wurden gerade erst wieder um weitere zwei Staffeln verlängert.
Zehn Jahre alt seit 1989
Bart Simpson, seit 1989 konstante zehn Jahre alt, ist die Schlüsselfigur der Serie, die bis heute TV-Seher*innen unterschiedlicher Generationen begeistert. Schon beim Intro rauscht der Held, nachdem er seine Strafarbeit an der Schultafel vollendet hat, mit dem Skateboard rempelnd durch seine Heimatstadt Springfield. Eine seiner vielen Spezialitäten ist es, diese ins Chaos zu stürzen. Manchmal unabsichtlich, aber meist ganz bewusst. Schließlich verfügt er, so hält es die Publikation „Die Welt der Simpsons. Der ultimative Episoden-Führer“ fest, über ein „unerschöpfliches Repertoire von Streichen und Rachemethoden.“ Das Spektrum reiche „von Vandalismus bis hin zu internationalen Trickbetrügereien. Seine Spezialität sind Scherzanrufe in Moes Taverne.“ Dort klingelt er bekanntlich regelmäßig durch, um beispielsweise nach einem „Herrn Hirsch“ zu fragen – und sich zu zerkugeln, wenn der Wirt in den Raum ruft: „Ist hier jemand, der Hirsch heißt?“, wobei die Aussprache eine wenig vornehme Aussage daraus macht.
Geköpfte Statue
Auf Schule pfeift er und sieht lieber fern – was ihn noch nicht zu einer Ausnahmeerscheinung machen würde, im Gegensatz zu seinen Heldentaten. Zu diesen zählen, dass er die Statue von Stadtgründer Jebediah Springfield köpfte, sich durch einen Tausch von IQ-Tests als Genie ausgab und Springfielder Bürger*innen glauben machte, ein Junge sei in einen Brunnenschacht gefallen. „Listig, Schulversager, Schulhasser, respektlos, clever“, so charakterisiert ihn „Die Welt der Simpsons“.
Wie kommt es, dass ausgerechnet diese Figur zur beliebtesten der Serie wurde? So populär nämlich, dass Bart Simpson am 31. Dezember 1990 am Cover von „Time“ prangte – dem Magazin, das ihn acht Jahre später sogar unter die 100 bedeutendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts wählte? Gottfried Gusenbauer, der künstlerische Direktor des Karikaturmuseum Krems, kuratierte die Ausstellung gemeinsam mit Anna Steinmair. Er sagt: „Bart ist beliebt, weil er sich gegen alles auflehnt und Streiche macht, die man selbst gern gemacht hätte. Er ist ein ‚Underachiever‘, was ihn sehr sympathisch macht.“ Die „Time“ charakterisierte ihn damals so: „Der Junge kann Richtig und Falsch unterscheiden. Nur gefällt ihm Falsch besser.“ Mit Bart Simpson schuf sein Schöpfer, der heute 70-jährige Matt Groening, eine komplexe Figur – in die er laut eigenem Bekunden Eigenschaften seiner selbst und seines Bruders einfließen ließ. Die Philosophen William Irwin, Mark T. Conrad and Aeon J. Skoble versuchen, Bart Simpson in ihrem Buch „Die Simpsons und die Philosophie: Schlauer werden mit der berühmtesten Fernsehfamilie der Welt“ sogar mit Friedrich Nietzsche beizukommen. Mit seiner Verweigerungshaltung entspricht er aber auch dem Protagonisten in Hermann Melvilles Geschichte „Bartleby, der Schreiber“ und seiner Aussage: „I would prefer not to“, in deutscher Übersetzung: „Ich würde vorziehen, das nicht zu tun“. Ein Widerhaken in der Leistungsgesellschaft der Gegenwart, in der nur gilt, wer performt.
Familienkarikatur
Bart Simpson ist Teil einer Familie, die sämtliche konservative Ideale unterwandert. Ganz offensichtlich haben ihre Mitglieder einander letztlich dann zwar doch lieb, aber bisweilen tögelt man einander gehörig, stellt Vater Homer mit Sohn Bart Alkohol her – und wirken die Eltern überhaupt so wie der Gegenentwurf sämtlicher Erziehungsratgeber. „Die Familie ist eine Karikatur auf TV-Sitcom-Familien wie die Cosbys oder die Waltons“, sagt Gusenbauer. „Eine besondere Ironie besteht darin, dass die Simpsons gerade bei einem sehr konservativen Sender, nämlich Fox, ihre Premiere feierten.“ Übrigens, so erzählt er, fixierte der Producer James L. Brooks vertraglich, dass sich der Sender inhaltlich nicht einmischt. „Der Sender mochte die Simpsons nie, aber der Geldregen, den sie brachten, war ihm trotzdem recht.“
Dass die gesamte Familie bis auf die Mutter Marge von Scheitel bis zur Sohle in Gelb gehalten ist, verdankt sie einer Mitarbeiterin in einem Animationsstudio, wie Anna Steinmair erzählt: „Matt Groening konzipierte die Figuren in Schwarz-Weiß. Die Farbdesignerin Gyorgyi Kovacs Peluce wählte dann die Farbe Gelb aus, weil diese sowohl als Haut- wie auch als Haarfarbe gut funktioniert. Matt Groening gab dazu begeistert seinen Segen.“
Das Karikaturmuseum Krems zeigt nun die Sammlung von William Heeter und Kristi Correa erstmals in Europa. Es sind Bilder, die eine ganz eigene Ästhetik haben und ähnlich wie Hinterglasmalerei entstehen. Die Ausstellung, durch die Bart gewissermaßen führt, fokussiert sich, wie es Gusenbauer ausdrückt, auf Phänomene – und zeigt damit auch gesellschaftspolitischen Wandel. Der zeichnet sich etwa im Umgang zwischen Vater und Sohn ab. Eine Beziehung, die sich sukzessive verbessert. Auch wenn Bart Simpsons Charakter sich nicht ändert.
Nina Schedlmayer
2 Antworten
Dieser doppeltt gegenderte Text ist eine einzige Lesezumutung für LeserSterncheninnen-und außen!
Ich freue mich schon auf die Ausstellung! Habe immer wieder mal die “ Simpsons“ angeschaut…bin im Grunde genommen ein „Undercover“AmerikaFan, wenngleich auch ein kritischer!!!!
Diese Serie gibt einen guten Blick auf die amerikanische- bzw. auf die Gesellschaft schlechthin – und man/frau kann immer wieder – des öfteren auch etwas bitter – schmunzeln !!
LG Elisabeth Ehrenberger