Woran denken wir beim Wort Betätigung? Einkaufen gehen? Anziehen? Zähneputzen? In die Arbeit fahren? Unkraut auszupfen? Sudoku ausfüllen? Haare waschen? Ein Glas Wasser trinken? Im ergotherapeutischen Sinn gehören alle diese Alltagshandlungen dazu, wiewohl für jeden Menschen seine Betätigungen unterschiedlich bedeutungsvoll sind. „Es sind Grundbedürfnisse und selbstverständliche Handlungen, die wir tun wollen, müssen oder die von uns erwartet werden“, erklärt Larisa Baciu, erfahrene Ergotherapeutin und interimistische Projektleiterin mehrerer Forschungsstränge zum Thema am IMC Krems. Eben weil es um selbstbestimmtes, eigenständiges Tun geht, ist es wichtig in Balance zu bleiben. Die Idee dahinter: Wenn wir mit dem Pensum, der Bewältigbarkeit, den Anforderungen und der Kombination unserer alltäglichen Tätigkeiten im Reinen sind, sind wir zufriedener, ausgeglichener und bleiben eher gesund.
Wenn ein Schlaganfall einschlägt
Ein Schlaganfall zieht gewöhnlich gleich mehreren Menschen den Boden unter den Füßen weg und beeinflusst deren individuelle Betätigungsbalance. Laut Österreichischer Gesundheitskasse erleiden 25.000 Österreicherinnen und Österreicher jedes Jahr einen Schlaganfall – im Schnitt alle 20 Minuten eine*r. Je nach Ausprägung des Insults und betroffener Gehirnregion kommt es zu verschiedenen Einschränkungen im Alltag. Manche Betroffene können nur noch schlecht oder gar nicht sprechen. Es kann nur die Feinmotorik betroffen sein oder eine Körperhälfte unbeweglich. Manche Menschen werden deshalb bettlägerig, andere haben Schwierigkeiten mit zielgerichteten Bewegungen.
Etliche Schlaganfallbetroffene brauchen also Unterstützung im Alltag. Diese wird – nicht nur in Österreich – meist durch nahe Angehörige gewährt. Die informelle Pflege in der Familie ist das Rückgrat des heimischen Pflegesystems. Ergotherapeutische Unterstützung fokussiert aufs Tun. Sie hilft Betroffenen, ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen, indem sie die Ausführung bedeutungsvoller Betätigungen verbessern. Die Bedürfnisse der Pflegenden in Hinblick auf ihre in Schieflage geratene Betätigungsbalance standen bisher wenig im Fokus. Larisa Baciu war als selbständige Ergotherapeutin bei Hausbesuchen oft selbst im Zwiespalt: „Ich habe ganz intensiv mit einem Schlaganfallbetroffenen gearbeitet. Und daneben sah ich die Ehefrau stehen, die auch ganz viele Bedürfnisse hatte, für die ich aber nicht zuständig war. Umso mehr freut es mich, dass wir uns jetzt bewusst ansehen, was pflegende Angehörige von Schlaganfallbetroffenen brauchen.“
Recherche für eine passende Intervention
Wie wird der Alltag mit den abrupt zu integrierenden neuen Unterstützungsleistungen erlebt? Selbstverständlich oder überfordernd, freudvoll oder eintönig, anstrengend oder bewältigbar? Was bedeutet es, den Raum für Selbstfürsorge, Freizeit und Erwerbstätigkeit plötzlich um die neue Rolle und damit verbundenen Pflegeaufgaben zu erweitern? Wie pflegende Angehörige ihre Betätigungsbalance erleben und was sie brauchen, um selbst gesund zu bleiben, untersucht das Forschungsprojekt CROB. Die „Collaborative Research on Occupational Balance“ ist von der Gesellschaft für Forschungsförderung gefördert und wird unter Leitung des IMC Krems mit dem Karolinska Institut (Schweden) und dem Gesundheitstechnologie-Unternehmen Duervation (NÖ) durchgeführt. In Vorbereitung und am Laufen sind aktuell verschiedene Recherchen und Erhebungen:
- eine qualitative Befragung pflegender Angehöriger in Niederösterreich,
- eine Fragebogenerhebung in Österreich und Schweden zur Validierung eines Betätigungsbalance-Fragebogens bei pflegenden Angehörigen samt Erhebung gesundheitsbezogener Lebensqualität und Einsamkeit in der Zielgruppe
- Fokusgruppen mit Expert*innen aus Gesundheitsberufen, die mit pflegenden Angehörigen arbeiten sowie Wissenschafter*innen
- eine Literaturstudie zu Interventionen für die Betätigungsbalance bei Erwachsenen
Die solide Vorbereitung soll helfen, eine geeignete Intervention zu entwickeln. Wenn 2025 alle Daten – auch im Ländervergleich – ausgewertet sind und Empfehlungen formuliert wurden, wird sich das Team um eine weitere Forschungsförderung bewerben. Im nächsten Projekt soll dann eine passende Intervention entwickelt und getestet werden. Damit pflegende Angehörige ihre Betätigungsbalance positiver erleben können, müssen sie passend unterstützt werden. Denn eine zentrale Stütze des heimischen Pflegesystems sollte besser nicht zusammenklappen.
Astrid Kuffner