ask – art & science krems: Herr Appl, Herr Wagensommerer, seit wann befassen Sie sich mit KI?
Clemens Appl: Ich bin seit meiner Jugend Science-Fiction-Fan. Der Film „Odyssee 2001“ und andere Beispiele thematisierten in den vergangenen Jahrzehnten, welche Hoffnungen und Ängste durch KI getriggert werden. Dass mich das Thema heute wissenschaftlich intensiv beschäftigt, fügt sich demnach gut.
Thomas Wagensommerer: Mich begleitet KI als Narrativ ebenfalls schon lange. 2009 habe ich meine erste Bachelorarbeit in einem technischen Studium verfasst. Das war zeitlich am Übergang vom kybernetischen Denkprozess zur verwertbaren Anwendung.
ask – art & science krems: Für eine Arbeit, die aktuell im museumkrems ausgestellt wird, haben Sie eine KI mit Skizzen des Barockmalers Kremser Schmidt trainiert. Was genau haben Sie da gemacht?
Wagensommerer: Ich habe für Collective Diffusion and Archived States ein Open-Source-Modell verwendet, um die Idee eines kollektiven Gedächtnisses zu thematisieren. Das museumkrems nimmt unter anderem eine archivarisch-erhaltende sowie eine zukunftsgestaltende Funktion ein. Der Kremser Schmidt ist zwar berühmt, aber dennoch eine lokale Größe. Für mich war interessant, wie ich diese lokalen Informationen in ein internationales Modell einspeisen kann. Ich trainiere mit seinen Skizzen ein eigenständiges Modell, das bis heute selbstständig Variationen davon ausformuliert. Im verwendeten Material spiegelt sich wider, dass die Technologie auch noch im Skizzenhaften ist.
ask – art & science krems: Die Urheberrechte des Kremser Schmidt sind lange erloschen. Welche Möglichkeiten haben aber lebende Künstler*innen, sich zu wehren, wenn ihre Werke als Trainingsmaterial für KI verwendet werden sollen?
Appl: Künstlerisches Schaffen steht immer in der Geschichtlichkeit vorbestehender Schöpfungen. Dass Künstler*innen ohne Bezug zum bisher Vorhandenen handeln, das gibt es allenfalls in der Art Brut. Man könnte daher den Standpunkt einnehmen, dass die KI das eben auch macht und von der bestehenden Kunst inspiriert oder beeinflusst wird. Aber sie tut das ohne eigenen künstlerischen Antrieb und Anspruch. Sie wird vielmehr durch Menschen in Gang gesetzt. Der zweite Unterschied ist: Anders als ein Mensch braucht die Maschine Trainingsdaten, die gespeichert sein müssen und dafür vervielfältigt werden. Das Urheberrecht knüpft traditionell an die konkrete Ausformung eines geistigen Stoffes und ihrer Vervielfältigung an. Und die muss vom Urheber oder gesetzlich erlaubt sein. Zuletzt wurde eine gesetzliche Erlaubnis für Text- und Datamining aufgenommen, aber das Training künstlicher Intelligenz ist nicht explizit adressiert. Da generative KI-Systeme letztlich in Wettbewerb zur menschlichen Kreativität stehen, gibt es Substitutionseffekte, die eine restriktive Handhabung der gesetzlichen Befugnis nahelegen.
ask – art & science krems: Wie kann ein Künstler oder eine Künstlerin konkret dem vergütungsfreien Absaugen von Werken Einhalt gebieten?
Appl: Für private, nicht kommerzielle Zwecke kann die Werknutzung auch für das Training eines KI-Algorithmus nicht eingeschränkt werden. Wenn es aber um Text- und Datamining für kommerzielle Zwecke geht, gibt es die Möglichkeit für ein Opt-out. Grundsätzlich ist dafür eine ausdrückliche Erklärung des Vorbehalts erforderlich, wobei für Online-Inhalte ein maschinenlesbarer Vorbehalt anzubringen oder einzubetten ist. Dafür fehlen im Moment noch die verbindlichen Standards, sodass Unsicherheiten bestehen und jedenfalls ein Bündel an Maßnahmen gesetzt werden sollte: Robots.txt oder Meta-Tags.
Wagensommerer: Dass es diese Möglichkeit gibt, ist in meinem Umfeld bekannt.
Appl: Wo wäre denn für Sie die rote Linie, wenn es um ihr Werk oder die Vergütung geht?
Wagensommerer: Ich interessiere mich für die Kunst, nicht für den Kunstmarkt. Das ist für mich getrennt zu halten. Viele Themen, die vermeintlich aus der Sicht von Künstler*innen besprochen werden, haben mit der Kunst nichts zu tun. Solange meine Arbeit in dem Lizensierungsmodell bleibt, das ich vorgesehen habe, in einem öffentlichen Zustand bleibt, habe ich keine rote Linie. Ich finde es gut, wenn sich Expertinnen und Experten damit beschäftigen, die sich auskennen. Sie sollen versuchen, eine komplexe Materie in ein Modell zu überführen, das handhabbar ist. Wie etwa bei dem AI-Act der EU. Ich finde es spannend, eine breite Diskussion darüber zu führen. Aber Künstlerinnen und Künstler nehmen sich da manchmal zu wichtig.
ask – art & science krems: Menschen, die digitale Kunst machen, haben zum Urheberrecht oft ein entspannteres Verhältnis als beispielsweise eine Fotografin.
Appl: Das Urheberrecht ist nicht nur ein Vergütungsrecht, sondern mehr. Bei Ihnen scheint es eher darum zu gehen, dass sich kein anderer Ihr Werk aneignet – es verändert, entstellt, Sie als Schöpfer herauslöscht.
Wagensommerer: Wenn sich jemand daran abarbeitet, wäre es für mich in Ordnung.
Appl: Wenn Sie es könnten: Würden Sie auf Ihr Urheberrecht verzichten?
Wagensommerer: Ich habe mit meiner Kunst, wenn sie gemacht ist, nur mehr so viel zu tun wie alle anderen.
ask – art & science krems: Und wenn jemand einen Screenshot der Arbeit samt Urhebernennung für etwas verwendet, das Ihren Ansichten diametral entgegensteht, beispielsweise eine politische Partei?
Wagensommerer: So etwas würde ich gerne sehen! Ich hoffe, dass meine künstlerische Position selbsterklärend ist. Wenn ich Angst haben müsste, dass meine Kunst mich in so eine Lage bringt, müsste ich sie generell überdenken.
Appl: Sinn und Zweck des Urheberrechts ist, die Verwertung zu ermöglichen: Der Schöpfer soll aber die Geschicke seiner Schöpfung steuern können. Was wäre der Anreiz, etwas zu veröffentlichen, wenn jeder damit tun und lassen kann, was er will? Das Urheberrecht hat eine Brückenfunktion, weil es zur Verwertung einlädt und die Kontrolle über die Verwertung schützt. Wenn nun generative KI-Systeme das menschliche Schaffen durch maschinelles Substituieren und durch freie Werknutzung gespeist werden, entsteht eine Schutzlücke: Der Urheber verliert die Möglichkeit zu entscheiden, ob er zuliefern möchte. Es sollte ihm möglich sein, solche Nutzungen zu monetarisieren, weil die Gefahr besteht, obsolet zu werden. Das betrifft Bereiche wie die Film- oder Hintergrundmusik, ebenso Übersetzungen, wo die KI bereits weitgehend übernimmt.
ask – art & science krems: Sollten Künstler*innen und Jurist*innen sich diesbezüglich mehr austauschen?
Wagensommerer: Ich kann nicht für die Kunst an sich sprechen. Aber generell müssen Künstler und Künstlerinnen sich nicht so wichtig nehmen. Es ist nicht so vieles so interessant, dass andere es kopieren wollen. Mit den Arbeiten derer, die am lautesten schreien, würde das ohnehin niemand machen. Und was Hintergrundmusik, Stockphotos und derlei betrifft: gut, dass das automatisiert wird! Das ist Fließbandarbeit – Bullshitjobs, die nichts mit künstlerischer Produktion zu tun haben. In den Medien tut man so, als wäre die Kunst bedroht. Dabei ist sie der einzige Sektor, der so beweglich ist, dass er progressiv arbeiten kann.
Appl: Trotzdem gibt es diesen großen Bereich des eher handwerklichen Schaffens, den das Urheberrecht auch schützt. Wenn die Maschine in bestimmten Bereichen den Menschen ablöst, dann erscheint dies vielleicht zunächst bequem. Doch irgendwann wird vielleicht ein Punkt überschritten sein, wo so viel substituiert ist, dass der Mensch keine Möglichkeit mehr hat, etwas zu entwickeln und zu verwerten. Wenn es für die Werbung keinen Texter und keinen Grafiker mehr braucht …
Wagensommerer: … dann können wir uns auf das konzentrieren, was interessant ist!
Appl: Die Frage ist, was das ist? Das bloße Sein? Für viele mag das erstrebenswert sein, aber wie sieht es dann mit der Verteilungsgerechtigkeit aus, wenn kein ökonomischer Anreiz besteht, etwas zu leisten?
Wagensommerer: Das ist der Punkt! Wer profitiert von dieser Transformation? Die Ablenkung von dieser Frage funktioniert sehr gut. Der Gesetzgeber hat wenig Interesse daran. Wobei das vielleicht ohnehin nicht lokal zu klären ist.
Appl: Die digitale Transformation ist eine globale Herausforderung, da braucht es mehr an europäischen Initiativen.
ask – art & science krems: Kommen wir zurück zur Kunst. Dort, so scheint es, sind vor allem die dahinterstehenden Prozesse und die Glitches, also die Fehler in KI-Anwendungen, interessant – was sich auch in Ihrer Arbeit zeigt, Herr Wagensommerer. Wie sehen Sie das?
Wagensommerer: Das sehe ich auch so. Um 2018 wurde ein Modell veröffentlicht, in dem fragmentarische Artefakte auftauchten, die genuin aus dem technologischen Prozess heraus entstanden waren, wie in einer Halluzination. Das ist jetzt überwunden, und wir sind in einem Zustand angelangt, der für die künstlerische Gestaltung uninteressant ist. Da müssen wir vielleicht neu schauen, wo die Technologie Genuines hervorbringt.
Appl: In China generierte ein Künstler mit Hilfe einer KI ein Foto. Alles – vom Prompt über die Entwürfe bis zu den Korrekturschleifen – wurde dokumentiert. Das Endergebnis verwendete er für die Illustration eines Gedichts. Da setzt das Urheberrecht an: Ich habe eine konkrete Vorstellung, äußere diese, sodass eine originelle Schöpfung manifest wird. Das Absehen-Können des Ergebnisses ist wichtig dafür, dass es den Schutz gibt.
Wagensommerer: Man muss wissen, was rauskommt?
Appl: Nicht bis ins letzte Detail. Insofern können auch Zufallselemente bestehen, solange diese nicht alle prägenden Elemente der Schöpfung ausmachen.
Wagensommerer: Ich will das vorher gar nicht wissen, denn dann würde ich den künstlerischen Prozess nicht brauchen.
Appl: Wenn der Prozess im Vordergrund steht und die Programmierung von Ihnen stammt, knüpft das Urheberrecht auch nur dort an.
Wagensommer: Also ist das Anwenden von Prozessen schon urheberrechtlich geschützt?
Appl: Wenn sich Ihr künstlerischer Prozess im Programmcode manifestiert, dann entsteht an eben diesen Ihr Urheberrecht. Wenn das Programm läuft und etwas für Sie nicht mehr ansatzweise Vorhersehbares entsteht, dann ist aber das Ergebnis urheberrechtlich frei.
ask – art & science krems: Sie lehren beide an Universitäten. Wie ist der Zugang jüngerer Menschen zu KI?
Appl: In vielen Bereichen will sich niemand das Leben schwermachen, wenn es Systeme gibt, die Dinge vereinfachen können. Der Bildungsbereich ist daher grundlegend gefordert. Worin liegt der Wert, selbst eine Masterarbeit zu schreiben, wenn jede Maschine das in den textbasierten Wissenschaften besser kann? Der Wert besteht für mich darin, dass damit kognitive Fähigkeiten verknüpft sind. In Zukunft wird daher stärker der Prozess – sich selbst mit Literatur, mit einem Text auseinanderzusetzen – wichtiger. Das fordert den Geist heraus. Das Endergebnis wird für sich genommen zunehmend an Bedeutung verlieren.
Wagensommerer: Da stimme ich zu. Mit der Maschine in Konkurrenz treten zu wollen: Dieser Zug ist abgefahren. Doch wie sich die Dinge entwickeln, zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 2016. Damals gewann der Algorithmus von Google erstmals gegen einen Go-Meister. Er erfand einen neuen Zug, „God’s move“ genannt, auf den Großmeister in tausenden Jahren nicht gekommen wären. Vor kurzem hat sich das wieder umgekehrt: Die Großmeister haben sich aus dem Artefakt heraus neu mit ihren Strategien auseinandergesetzt. Das zeigt: In einem Feedbackprozess mit der Maschine können wir neue kognitive Fähigkeiten erlangen – und das müssen wir auch. Wie in jeder technologischen Revolution.