Das Surren ist durchdringend. Es bohrt sich in die Gehörgänge und verweilt dort eine Zeitlang. Es geht von einem Gefährt aus, das praktischerweise seinen Namen als Beschriftung trägt: „Arbeitsbühne“ steht darauf. Derartige Gerätschaften kommen beim Aufbau von Ausstellungen so gut wie immer zum Einsatz: Auf ihnen befindet sich ein höhenverstellbares Plateau, umgeben von einem Geländer. Sie heben Menschen in lichte Höhen, wo sie dann beispielsweise Beamer montieren oder Zeichnungen aufhängen können.
Pflanzensamen und Plastikfetzen
An diesem Freitagvormittag im Erdgeschoss der Landesgalerie kommt ein Mann, Tom, auf einer Arbeitsbühne angefahren. Er legt letzte Hand an bei der Installation der Künstlerin Claire Morgan, die diese im Erdgeschoss der Landesgalerie Niederösterreich aufbaut: Zahllose transparente Nylonfäden, auf denen Plastikfetzen, Federn und Pflanzensamen aufgefädelt sind, hängen von der Decke und bilden zwei Korridore, die sich kreuzen. In der Mitte verdichten sie sich und beherbergen eine menschliche Wachsfigur, gespickt mit Federn. Dazwischen hängen präparierte Krähen, Enten, Tauben und andere heimische Vögel. Sie scheinen zu fliegen, die Bewegung der beiden Elemente zu verstärken. „Claire Morgan. Hold me tightly lest I fall“ heißt die Schau der 1980 in Belfast geborenen Künstlerin, die vor der Eröffnung täglich rund 12 Stunden daran im Einsatz ist. „Und in der Nacht arbeite ich weiter, im Schlaf“, sagt sie beim Besuch von ask – art & science krems in der Landesgalerie und lacht. Die Gedanken an diese Großinstallation sind auch in den Träumen nicht abzustellen.
Es muss eine logistische Meisterleistung sein, eine solche Installation aufzubauen. Insgesamt 150 Plastiksackerl, so zumindest die Schätzung von Claires Assistenten Tom, hat die Künstlerin händisch zerrissen und mit Hilfskräften bereits in ihrem Atelier zusammen mit den Federn aufgefädelt und am Ende von jedem Faden ein kleines Bleigewicht gehängt. Die Resultate wurden verpackt und nach Krems transportiert, ebenso wie ein detaillierter Aufbauplan: Skizzen halten exakt fest, welche Schnur wo genau zu hängen ist. Es ist ein ansehnlicher Papierstapel. Und jedes Element hier ist durchnummeriert. Was ist die größte Herausforderung beim Aufbau solcher Installationen? Claire Morgan erzählt: „Diese Arbeit hier ist 20 mal 20 Meter lang und rund viereinhalb Meter hoch. Mein Atelier ist viel zu klein, um sie dort aufzubauen. Daher kann ich vorher nie sehen, wie alles zusammen am Ende aussieht.“
Feine Balance
So baut sie in ihrem Atelier einzelne Sektionen davon auf, um sich eine bessere Vorstellung davon zu machen. In Krems arbeitete sie zudem erstmals mit einer CAD-Animation. Sobald die Kisten verschifft sind, „kann ich nicht mehr viel tun“, so die Künstlerin. Sind die einzelnen Elemente einmal angeliefert, werden die Nylonfäden in akribischer Kleinarbeit aufgehängt; auch die Pflanzensamen werden erst vor Ort aufgesteckt, für den Transport wären sie zu fragil. „Es hat eine Zeitlang gedauert, bis ich technische Lösungen für den Transport und den Aufbau fand“, sagt Morgan. Jede Änderung, die sie noch im Raum selbst vornimmt, wirkt sich auf das Gesamtbild aus, bringt die Balance visuell durcheinander. Schließlich ist die Anordnung der einzelnen Teilchen genau durchdacht. Noch warten einige Vögel darauf, Teil der Installation zu werden. Sie hängen in einem eigens konstruierten Gerüst, mit Aufschriften: „Pigeon“, „Goldfinch“. Morgan, die die Tiere selbst präpariert hat, legt Wert darauf, dass diese eines natürlichen Todes gestorben sind oder aber bei Unfällen umkamen.
Ist die Installation in Krems schon von beeindruckenden Ausmaßen, so zeigte Claire Morgan 2021 in Saarbrücken eine vom Prinzip her ähnliche Installation, bei der sich blaue Plastikteilchen zu einem Wal formierten; sie schwebte in einer riesigen Halle, mehrere Stockwerke hoch. Morgans Thema ist seit Langem das Zusammenleben von Mensch und Tier. Sie betont freilich, dass auch Menschen Tiere sind und findet sich damit in einem sehr aktuellen Diskurs, der unser Verhältnis zur Natur neu vermisst und den im Vorjahr auch die Europäischen Literaturtage in Krems führten. Tiere sind für Claire Morgan „keine Metaphern für Menschen, sie stehen für sich selbst.“
Das Handy verliert
Meist verwendet sie Tiere, die sich den Lebensraum mit Menschen teilen, auch solche, die im oder am Wasser leben: für die Installation in Krems wählte sie solche, die sowohl in Belfast als auch in der Wachau heimisch sind. Die Anziehungskraft der Arbeiten von Claire Morgan lässt sich auf Fotografien erahnen, doch im Ausstellungsraum entfaltet sie sich in ihrer ganzen Energie. Die beiden Korridore laufen dynamisch aufeinander zu und wieder auseinander, ziehen die Vögel in einen Sog und kulminieren schließlich genau bei der Frau, die über dem Boden schwebt. Bei jedem Luftzug entsteht ein sanftes Schwingen der zarten Fäden mit ihren vornehmlich orangefarbenen Plastikschnipseln, die auf den ersten Blick wie Blütenblätter anmuten. Jede Bewegung, die die Besucher:innen machen, wirkt sich sofort auf die fragilen Teilchen aus. Könnte das auch ein Bild, eine Metapher sein für unseren Umgang mit der Natur insgesamt? Die wir mit unserem Dasein permanent verändern, aus der Balance bringen? Claire Morgan überlegt ein wenig, ja, so könnte man es sehen. Die Plastikteilchen stehen für sie für den Konsumwahn der Gegenwart, für Wegwerfkultur und Dauerbeschäftigung. „Heute wird niemandem mehr langweilig, weil stets das Handy zur Stelle ist“, runzelt sie die Stirn. Angesichts der visuellen Kraft ihrer Arbeit verlieren sämtliche digitale Medien freilich sofort an Attraktion.
Nina Schedlmayer