Die Frau mit der wasserstoffblonden Perücke und dem weißen Hemd streckt die Handflächen vor ihren Körper: „Not all white people are racist“. In der nächsten Szene, mit der nächsten Perücke, runzelt sie die Stirn und ruft in gespielter Verzweiflung: „White people are…people!“ Helle Kontaktlinsen lassen ihren Blick zombieartig erscheinen. Das gleißende Licht verstört zusätzlich.
White fragility
Candice Breitz, 1972 in Johannesburg geboren, lebt – nach längerem Aufenthalt in New York – heute in Berlin. In ihrem Video „Whiteface“ (2022), das die Kunsthalle Krems in einer Kooperation mit dem Donaufestival zeigt, bewegt sie die Lippen zu Originalaussagen von Blogger*innen, Talkmaster*innen, Autor*innen, politischen Persönlichkeiten und Nachrichtensprecher*innen. In diesen drückt sich das aus, was die Theoretikerin Robin deAngelo als „White fragility“ erkannte: Abwehrmechanismen weißer Personen gegenüber der Feststellung, dass struktureller Rassismus People of Color bis heute diskriminiert und weiße Personen diesen gegenüber privilegiert sind. Dem kann sich niemand entziehen: „White Privilege“, so schrieb die britische Schriftstellerin Reni Eddo-Lodge in ihrem Buch „Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche“, manifestiere sich „in allen und niemandem“, es sei eine „vielköpfige Hydra“. Eine unangenehme Erkenntnis. Und so tönt die Zombiefigur: „Black privilege is stronger than white privilege“. Und: „I’m one of the good white people.“
Rassistisches Kontinuum
Ein Tablet, das Teil von Breitz’ Installation ist und die Originalquellen zeigt, hilft dabei, die Aussagen – manchmal erscheinen sie bloß naiv – zuordnen. Doch der Künstlerin geht es nicht um einzelne Personen, sondern um die Allgegenwart rassistischer Einstellungen. Diese seien, so erklärt sie gegenüber ask – art & science krems, „manchmal offensichtlich, höchst beleidigend und unübersehbar, in anderen Fällen fast nicht wahrnehmbar – zumindest für diejenigen von uns, die nicht davon betroffen sind.“ Alle Erscheinungsformen von Rassismus „so naiv oder unbeabsichtigt sie auch sein mögen, sind als Teil eines Kontinuums zu betrachten.“
Wie in anderen Videoinstallationen verwendet Breitz vorgefundenes Material, das sie seriell einsetzt. „Ich erkannte schon sehr früh, dass ich nicht an der Darstellung einzelner Personen interessiert bin, sondern an den Dynamiken, die Individuen im Verhältnis zu größeren Kollektiven oder Gemeinschaften prägen“, erinnert sie sich. Sie nahm schon tradierte Geschlechterrollen unter die Lupe, indem sie diese anhand von Hollywoodproduktionen analysierte („Him, 1968-2008“ und „Her, 1978-2008“), ebenso wie Konstruktionen von Mutter- und Vaterbildern: „Mother + Father“ hieß diese Videoinstallation und machte sie auf der Biennale Venedig 2005 einem größeren internationalen Publikum bekannt. Mittlerweile besitzen die international bedeutendsten Museen wie das MoMA und die Tate Modern ihre Werke; heute ist Candice Breitz zudem Professorin an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.
Brisante Kunst
Die gesellschaftspolitische Brisanz ihrer Kunst zeigte sich schon in frühen Arbeiten, wie etwa ihren Fotomontagen („Rainbow Series“, 1996) zur Apartheid in Südafrika, wo sie aufwuchs. 2017 schuf sie die packende Videoinstallation „TLDR“ zu Sexarbeit in Kapstadt. Diese hätte heuer in einer Ausstellung im Saarlandmuseum in Saarbrücken gezeigt werden sollen. Allerdings sagte sie die Direktorin – für die Künstlerin völlig überraschend – ab, nachdem Zeitungsartikel Aussagen von Breitz zum Gazakrieg verfälscht wiedergegeben und skandalisiert hatten. Die Vorwürfe an sie blieben diffus oder entlarvten sich als unwahr. Sogar internationale Medien berichteten darüber: als skandalöses Beispiel dafür, wie eine Institution einer Künstlerin beträchtlichen Schaden zufügt, indem sie ihr eine antisemitische Haltung unterstellt – und das, wo diese selbst jüdisch ist. „Man glaubt in Saarbrücken offenbar, ein Werk über Prostitution in Südafrika nicht zeigen zu können, weil der Schöpferin, eine Jüdin, eine politische Position zum Thema Israel unterstellt wird, die nicht in den deutschen Meinungskorridor passt“, schrieb die Chefredakteurin des Kunstmagazins „Monopol“, Elke Buhr. Ihr Fazit: „Es wäre lächerlich, wenn es nicht so traurig wäre.“
Was am Herzen liegt
In manchen Medien hieß es, Breitz’ Kunst sei in erster Linie aktivistisch. Trifft das zu? Candice Breitz: „Seit Jahrhunderten gibt es Künstler*innen, die sich mit politischen Umständen und aktuellen Ereignissen auseinandersetzen, mit den sozialen und politischen Kontexten, in denen ihre Werke entstanden sind.“ Im europäischen Kanon könne man „Géricaults ‚Floß der Medusa‘, Manets ‚Die Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko“ oder Picassos ‚Guernica‘ als Beispiele nennen.“ Sie selbst würde sich nicht als Aktivistin bezeichnen. Wie die meisten Künstler*innen konzentriere sie sich in ihrer Arbeit „auf die Fragen und Prioritäten, die mir am meisten am Herzen liegen.“ Und die, so kann man ergänzen, auch einer aufgeklärten Gesellschaft am Herzen liegen sollten.
Nina Schedlmayer