ask – art & science krems: Wir möchten unser Gespräch über Vermittlung von Kunst und Wissenschaft mit einem Zitat einleiten. „Die*der Vermittler*in möge gleichzeitig praktisch und als Theoretiker*in das Publikum an der Hand leiten, durch unwegsames Gelände führen, da sein, wenn der Boden wegbricht, wenn Bilder und Begriffe nicht mehr halten“, schreiben die Kunstvermittlerinnen Carmen Mörsch und Eva Sturm. Sie sagen, dass Vermittler*innen selbst „an die Grenzen des Sag- und Darstellbaren und auf einen „schwierigen, aufregenden und riskanten Weg“ geraten. Finden Sie sich da wieder?
Barbara Entler: Ich hoffe immer, dass unsere Workshops ein spannender Weg für das Publikum sind. Ganz so dramatisch würde ich die Tätigkeit nicht sehen, aber die Herangehensweise kann in der Naturwissenschaft anders sein als in der Kunst.
Claudia Pitnik: Das Zitat ist natürlich eine schöne Metapher, gleichzeitig muss ich mit einem Vorurteil aufräumen. Kulturvermittlung ist heute weit mehr als nur die Durchführung von Führungen. Personelle Kulturvermittlung bleibt eine wichtige Basisarbeit, weil Menschen unterschiedliche Bedürfnisse haben und ein*e Kulturvermittler*in flexibel und persönlich auf diese eingehen kann. Zusätzlich gibt es heute viele weitere Möglichkeiten, Kunst und Kultur zugänglich zu machen.
ask – art & science krems: Welche Skills braucht es, um in der Vermittlung von Wissenschaft oder Kunst tätig zu werden?
Entler: Mir ist die Vermittlung von Begeisterung am wichtigsten, das Brennen für die Wissenschaft. In der Wissenschaftsvermittlung aber natürlich auch in meinen Vorlesungen.
Es ist toll, wenn das Feuer überspringt, Neugierde und Nachfragen auslöst. Dafür muss ich mich fachlich auskennen und auf das Publikum eingehen können.
Pitnik: Die Kombination von Fachkompetenz, sozialer Kompetenz, Flexibilität und Begeisterung ist wichtig. Man muss neugierig und offen für Neues sein, über den Tellerrand schauen und Dinge kreativ miteinander verknüpfen.
ask – art & science krems: Braucht es gezielte Ausbildungen, um diesen Beruf auszuüben?
Entler: Bei mir ist es ein Teilaspekt meines Jobs und war zu Beginn viel Learning by Doing. Bei den Science Busters steckt hinter einem Auftritt ein ganzes Team. Die Wissenschaftsvermittlung entwickelt sich über verschiedene Kanäle: Podcasts, YouTube, Shows. Bei uns steht das Selber-Tun im Vordergrund. Ich halte es für wichtig, über wissenschaftliche Erkenntnisse nicht nur zu lesen, sondern sie auch zu „begreifen“ – etwas zu probieren und durchs Mikroskop zu schauen. Wir präsentieren in unseren Workshops zwei unvermutete Quellen für Bakterien: Joghurt und den eigenen Zahnbelag. Das bringt dem Publikum die Materie wirklich nahe.
Pitnik: In der Kunstvermittlung hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten viel getan. Es gibt Ausbildungen, eine Berufsdefinition, einen Verband. Das schafft wichtige Grundlagen für die Arbeit. Regelmäßige Weiterbildung und Forschung sind jedoch unerlässlich. Die Gesellschaft ändert sich, es braucht und gibt immer neue Zugänge und Methoden.
ask – art & science krems: Wie schätzen Sie die Entwicklung der Vermittlung in den vergangenen 20 Jahren ein?
Pitnik: Heutzutage ist die Vermittlung als wichtige Säule der Museumsarbeit anerkannt. Das war ein sehr langer Weg. Die Vermittlung hatte früher keinen Platz am Tisch, wenn es um Museums- und Ausstellungsgestaltung ging. Heute bringen wir unser Können und Wissen intensiv ein. Wir sind die Brücke von den Objekten zu den Menschen. Das Museum muss ein Ort der Inklusion und Partizipation sein. Das liegt im Fokus der Kunstvermittlung.
Entler: Wer heute ein Forschungsprojekt gefördert bekommt, verpflichtet sich auch zur Dissemination der Ergebnisse. Dem IMC Krems ist wichtig, offen und präsent zu sein. Zu zeigen, was bei uns möglich ist. Bei „Pint of Science” werden im Mai in Krems wieder Jungforscher*innen – bei einem Bier im Pub – ihre Projekte vorstellen. Es ist eine besondere Fähigkeit, Forschung so herunterzubrechen, dass sie jeder versteht. Das braucht Zeit und ist nicht für jeden ein Ziel – für Forschende ist es in erster Linie wichtig, in der Scientific Community anerkannt zu werden.
ask – art & science krems: Wirkt Ihre Vermittlungsarbeit gegen Wissenschaftsskepsis?
Entler: Ich hoffe es! Aber wer zu uns kommt, ist vermutlich schon offen gegenüber Wissenschaft.
ask – art & science krems: Kann Vermittlung Vorbehalte gegenüber Kunst aus dem Weg räumen?
Pitnik: Ja, auf jeden Fall. Mit Begeisterung und altersadäquaten Programmen kann man gut bei den Jüngsten ansetzen, um von Anfang an positive Museumserfahrungen zu schaffen und Vorbehalte gar nicht erst aufkommen zu lassen.
ask – art & science krems: Erreichen Sie jene Menschen, die Sie erreichen wollen, erreichen müssen?
Entler: Es ist eine schwierige Aufgabe an Menschen mit verfestigten Meinungen heranzukommen, aber wir bieten viele verschiedene Formate an. Die Lange Nacht der Forschung ist sehr niederschwellig: Man kann etwas ausprobieren, mit den Forschern und Forscherinnen reden und auch kritische Fragen stellen. Beim Science Afternoon der Wissenschaftsabteilung im Land Niederösterreich kommen vermutlich eher Interessierte. Aber ich denke, wir können meist mehr mitgeben, als erwartet wurde.
ask – art & science krems: Gibt es aus Ihrer Sicht ein Rezept, das immer zieht?
Pitnik: Die Bedürfnisse sind sehr unterschiedlich, und die Stärke der Kunstvermittlung ist, dass wir spezifisch darauf eingehen können. Man darf Spaß haben, etwas ausprobieren, philosophieren. Im Museum ist es erlaubt, sich eine eigene Meinung zu bilden. In der Naturwissenschaft ist es problematisch zu sagen: „Das glaube ich nicht.“ In der Kunst darf auch etwas nicht gefallen oder interessieren.
Entler: Kinder holen wir am besten durch das Erlebnis ab: Es tut sich etwas, ich mache mal selbst. Erwachsene sind froh, wenn sie mehr erfahren über etwas, worüber sie schon mal gelesen haben, wo sie detaillierter nachfragen können und wissen, sie erhalten eine gesicherte Information. Beispielsweise wenn es um gesundheitliche Probleme gibt: Da können wir dann fundierte Auskunft darüber geben, was im Körper genau passiert.
Pitnik: Das ist im Museum genauso: Wenn etwas Relevanz für das eigene Leben hat, dann können wir die Menschen auf einer ganz anderen Ebene erreichen.
ask – art & science krems: Relevanz herstellen – ist das überhaupt etwas, das die Vermittlung gut kann?
Pitnik: Ja! Gerade bei zeitgenössischer Kunst fällt es manchen Menschen schwer, einen Zugang zu finden. Die Relevanz für ihr eigenes Leben erschließt sich ihnen nicht auf den ersten Blick. Hier kann Vermittlung den Menschen helfen, einen persönlichen Bezug herzustellen.
ask – art & science krems: In der Vermittlung gibt es Workshops, wo Leute Dinge angreifen können, es gibt digitale Formate wie VR-Brillen, und es gibt das Gespräch vor Objekten – als haptische, digitale und dialogische Formen. Wie gewichten Sie diese?
Entler: Man muss sich überlegen, wer das Publikum ist: wie viele Personen, was ist ihre Erwartungshaltung? Der beste Weg zum Publikum ist wahrscheinlich eine Kombination aus allem.
Pitnik: Methoden, Tools und Ansätze verschwimmen: Das Digitale kann durchaus als Technologie für einen Dialog vor dem Kunstwerk genutzt werden. Die Forschung über Kunstvermittlung ist jung, es gibt einiges an Literatur über klassische Methoden, in der digitalen Vermittlung muss noch mehr geforscht und Erkenntnisse publiziert werden.
ask – art & science krems: Aber es ist nicht so, dass Methoden wie die klassische Führung überflüssig werden – und nur noch die VR-Brille zum Einsatz kommt?
Pitnik: Absolut nicht! Wir entwickelten eine VR-App und fragten das Publikum, ob es einen Mehrwert habe. Wir fanden heraus: als Zusatz macht sie Sinn, aber die Menschen wollen nicht ausschließlich in diese virtuelle Welt eintauchen.
ask – art & science krems: Was genau macht diese App?
Pitnik: 2018 untersuchten wir im Zuge des Projektes SCAN2VR, wie VR-Technologie im Museum eingesetzt werden kann. Dabei ging es nicht darum, den Museumsbesuch ins Virtuelle zu übertragen, sondern ein zusätzliches Erlebnis zu ermöglichen. So entwickelten wir gemeinsam mit dem eVRyLab des IMC Krems eine App, in der Besucher*innen ihre eigene Ausstellung erstellen, indem sie Kunstwerke auf der Wand platzieren und somit selbst in die kuratorische Rolle schlüpfen.
ask – art & science krems: Wie evaluieren Sie, was funktioniert?
Entler: Wir schauen in die Gesichter! Da bekommen wir schon vieles mit. Bei Schulklassen sprechen wir nachher mit den Lehrkräften darüber, was gut lief und was weniger. Die Programme, die über die Wissenschaftsabteilung des Landes laufen, werden von dieser evaluiert. Was toll ist: Es gibt Leute, die schon als Kinder bei uns waren, danach bei unserem Programm „Fit4YOUniversity“ – und dann als Studierende zu uns kommen. Da können wir sagen: Okay, wir haben etwas richtig gemacht.
Pitnik: Eine Evaluierung über Jahre hinweg wäre spannend, um langfristige Auswirkungen von Museumserfahrungen zu überprüfen, dafür fehlen meist die Ressourcen. Auf der Kunstmeile Krems befragen wir laufend Gruppen nach ihrem Besuch und adaptieren ggf. Programme. Größere Forschungsprojekte wie SCAN2VR evaluieren wir quantitativ wie qualitativ.
ask – art & science krems: Was klappt weniger gut?
Entler: Bei kleineren Kindern muss man anders herangehen als bei größeren. Es gibt Themen, die wir für sehr cool halten, weil fortgeschrittene Methoden ausprobiert werden können, die eigentlich erst Studierende anwenden – und da tut sich dann gar nichts. Umgekehrt kann ein Nebenexperiment sehr attraktiv sein: Wenn man mit einem Kastanienzweig in Wasser umrührt, löst sich ein Stoff, der unter UV-Licht fluoresziert – das hat die Kinder fasziniert. Viel mehr als das, was ein komplexes Gerät macht.
Pitnik: Wir adaptieren Programme, wenn sie sich als unpassend für die Altersklasse herausstellen. Wenn sich zeigt, dass ein Angebot nicht angenommen wird, versuchen wir herauszufinden, woran es liegt und entwickeln etwas Neues.
ask – art & science krems: An welche Aha-Erlebnisse erinnern Sie sich?
Pitnik: Ganz am Anfang meiner Laufbahn dachte ich mir, ich gebe den Menschen etwas mit. Ich war überrascht, wie viel ich selbst lernte. Man sieht so viel, dass man vorher nicht sah, wenn man Kunst mit anderen ansieht – vor allem gemeinsam mit Kindern. Diese Erkenntnis war ein schöner Start.
Entler: Ich finde es schön, die Begeisterung der anderen zu spüren. Das motiviert. Warum mache ich das schon so lange? Weil es Spaß macht!