Die Kunst der Gesprächsführung simulieren

An der Karl Landsteiner Privatuniversität in Krems kommen in der Medizinausbildung regelmäßig Schauspielpatient*innen zum Erlernen der Gesprächsführung angehender Ärztinnen und Ärzte zum Einsatz. Was im Rollenskript steht und was auf dem „heißen Stuhl“ besonders gut geübt werden kann, erklärt Medizindidaktiker Michael Schmidts.
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Schauspielpatient*innen, KL/Klaus Ranger

Zeit ist Geld. Aber ein professionelles Anamnesegespräch spart unnötige Untersuchungen, verbessert die Therapiepläne und verhindert, dass Medikamente in der Mülltonne landen. Eine gute Gesprächsführung kann zu einer Verhaltensänderung motivieren und auffangen, wenn eine schlechte Nachricht überbracht werden muss. Eine gelungene Gesprächsführung ist der Schlüssel für ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt oder Ärztin und Patient*innen. Michael Schmidts, Mediziner mit Master in Medical Education, verantwortet seit 2024 den Bereich Lehre an der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften. Ab der Bewerbung um einen Studienplatz bis zur Vorbereitung auf das Klinisch-Praktische Jahr trainiert er die Studierenden jedes Semester in der Kunst der Gesprächsführung mit einem eingespielten Team von vier Lehrenden und fünf Schauspielpatientinnen und -patienten. Neben medizinischem Fachwissen und klinischer Erfahrung ist die gelungene Kommunikation ein wichtiges Lernziel und Basis-Baustein der Professionalisierung im Beruf.

Schauspielpatient*innen, KL/Klaus Ranger
Eine gute Gesprächsführung ist das A und O bei einem professionellen Anamnesegespräch. Es soll unnötige Untersuchungen vermindern und Therapiepläne verbessern.


Eine unerlässliche Erfahrung

In kleinen Gruppen von acht Studierenden wird schon im zweiten Studienjahr vor dem ersten Famulieren intensiv die Anamnese geübt. Vor dem Klinisch-Praktischen Jahr beherrschen die Studierenden dann auch schwierigere Situationen, wie das Überbringen schlechter Nachrichten oder Gespräche mit Patient*innen, die vielleicht aggressiv werden oder schwerhörig sind. Die Kommunikationsschulung ist Teil des Skills Lab, wo auch Dinge, wie Blut abnehmen, Röntgenbilder interpretieren oder eine Blinddarmreizung ertasten, unterrichtet werden. Gespräche werden mithilfe von Schauspielern und Schauspielerinnen simuliert. Im Rollenskript der Ausbildungsfälle sind körperliche Beschwerden, die Familiengeschichte und sogenannte biopsychosoziale Faktoren aufgeführt, also ob jemand alleinerziehend ist, alleine lebt oder vielleicht sogar häusliche Gewalt erlebt. Heute sind solche Simulationen österreichweit in der Medizinerinnenausbildung State of the Art. 1963 hat Dr. Howard Barrows in den USA erstmals mit Schauspielpatient*innen gearbeitet und die Rolle „Multiple Sklerose im fortgeschrittenen Stadium“ vergeben.

Im Idealfall sollen Patient*innen zunächst aktiv ermutigt werden, ihr Problem frei und ohne Unterbrechung zu schildern. Erst in einem zweiten Schritt soll der Arzt oder die Ärztin dann das Bild, das sich ihr oder ihm eröffnet hat, durch gezielte Fragen strukturiert vervollständigen und auf Emotionen und Lebensumstände eingehen. Ohne zu bevormunden oder Annahmen abzugeben. Eine ältere, vielzitierte Studie von Beckman und Frankel (1984) zeigte, dass Schilderungen von Patient*innen im Schnitt bereits nach 18 Sekunden unterbrochen werden.

Die Magie des Rollenspiels

„Unserer Erfahrung nach können sich Schauspieler und Schauspielerinnen sehr gut auf ein Gespräch einlassen und adäquat und feinfühlig reagieren. Sie können Hinweise liefern, wie das Gesagte ankommt und zeigen, wie ein Mensch in einer bestimmten Lage reagiert und sind dahingehend auch frei in der Interpretation des Rollenskripts“, erläutert der Leiter der Stabsstelle Lehre.

Was sie für diesen speziellen Auftritt zusätzlich lernen müssen, ist im Gespräch auch eine Außenperspektive einzunehmen, das Gegenüber zu analysieren und anschließend eine Rückmeldung zu geben, die die angehenden Ärzte und Ärztinnen weiterbringt. Wann war der Moment, wo man nicht mehr folgen oder zuhören konnte? Was war vertrauensbildend? Wo konnte man sich in der Rolle öffnen? Wann ist eine Welt zusammengestürzt, sodass alles blockiert war? Und wann war man nicht mehr in der Lage oder Willens, von Symptomen zu erzählen? Die Schauspielpatient*innen bringen ihr Feedback zum Beziehungsaufbau ein, die anderen Studierenden und die Lehrenden geben fachliches Feedback: Wurde alles inhaltlich Wichtige abgefragt, wurde zu viel Fachsprache verwendet oder vielleicht ein nicht einhaltbares Versprechen abgegeben?

Schauspielpatient*innen, KL/Klaus Ranger
Es geht in der Arzt-Patient*innen-Kommunikation nicht nur um Inhalte, sondern auch um das Registrieren nonverbaler Eindrücke, Empathie und den Aufbau von Vertrauen von Anfang an.

Simulationen zur Weiterentwicklung

Die Vorteile der Simulation im gesicherten Umfeld liegen auf der Hand: Es fühlt sich echt an, niemand kommt zu Schaden, das Gespräch kann beliebig wiederholt, gestoppt, besprochen und nachjustiert werden. Je ein Studierender schlüpft in die Rolle von Arzt oder Ärztin, die anderen beobachten. Feedback kommt anschließend von der Lehrperson, dem Patienten oder der Patientin und den beobachtenden Studierenden, die gerade nicht auf dem „heißen Stuhl“ sitzen. „Unser Credo bei den Simulationen: Fehler sind erlaubt, die Studierenden können sich in der Rolle Zeit nehmen und etwas ausprobieren. Es geht in der Arzt-Patient*innen-Kommunikation nicht nur um Inhalte, sondern auch um das Registrieren nonverbaler Eindrücke, Empathie und den Aufbau von Vertrauen von Anfang an“, so Schmidts.

Neben bewährten „Fällen“ wird laufend mit den Lehrenden und dem Schauspielteam an weiteren geeigneten Simulationen gearbeitet, etwa einer Gesprächssituation zu dritt mit schüchternen Patient*innen und dominanten Begleitpersonen. Von 21. bis 23. März findet an der Karl Landsteiner Universität das Internationale Skills Lab Symposium (iSLS) statt zum Thema „Longitudinale Integration von Skills/Simulationen in die Ausbildung“. Einer der Workshops wird sich um das Thema Schminken drehen. Die Schweizer Kolleg*innen werden dort einen Ausblick geben, wie die Simulation mit Schauspielpatient*innen noch realer gestaltet werden kann mit Wunden und Ausschlägen von Make-up-Artists.

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Michael Schmidts war zuvor am Institut für Aus- und Weiterbildung der MedUni Wien tätig und dort ab dem Jahr 2000 in die Reform der Ausbildung involviert. Er hat an Österreichs größter Ausbildungsstätte für Ärzte und Ärztinnen bereits ein Programm mit Schaupielpatient*innen aufgebaut und dieses in Krems weiterentwickelt. 2015 wurde er hierfür mit dem Ars Docendi Staatspreis ausgezeichnet.

© KL/K. Ranger
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