Sie dürften rar sein: jene Menschen, die den Kulturpreis Niederösterreich gleich in zwei Sparten erhalten haben. Wer kann schon in mehreren Gebieten auf außerordentliche Leistungen zurückblicken? Eine Frau, die dazu in der Lage ist, öffnet an einem verregneten Herbsttag die Tür zu ihrer Wohnung in einem Haus am Rande Wiens: Franka Lechner, eine schmale Frau mit hintergründigem Lächeln. Erst wenige Tage zuvor erzählte sie auf der großen Bühne des Festspielhauses in St. Pölten von ihrer Kunst. Da nahm sie den Würdigungspreis des Landes Niederösterreich entgegen. 1989 hatte sie den Anerkennungspreis erhalten – nicht für bildende Kunst, sondern für Literatur. Beides: mit absoluter Berechtigung. Die Landesgalerie Niederösterreich widmet den Kunst-Würdigungspreisträger*innen alljährlich eine Ausstellung; so auch Franka Lechner.
Kinder-Webstühle
Im Zentrum ihres Wohnateliers steht ein Webstuhl, der einen wesentlichen Teil des Wohnzimmers einnimmt. Hier produziert die Künstlerin Tapisserien, die in ihrer Vielschichtigkeit und sinnlichen Qualität bestechen und von denen eine Auswahl nun in der Landesgalerie zu sehen ist. Im Gespräch mit ask – art & science krems erzählt die 79-Jährige: „Den ersten Webstuhl hatte ich in den 1970er-Jahren.“ Ursprünglich studierte sie Malerei bei dem renommierten Künstler Sergius Pauser an der Akademie der bildenden Künste Wien. „Nach zwei Jahren kam das erste Kind, und ich verließ die Akademie“, erinnert sie sich. „Dann malte ich am Küchentisch, experimentierte mit Textilien und mit den Webstühlen meiner Kinder.“ Kleine gewebte Flecken entstanden auf diese Weise. Wie Collagen fügte sie diese zusammen. Es folgten erste Ausstellungen – und mit der Zeit eignete sie sich so viel Können an, dass weder ihr nicht abgeschlossenes Studium ins Gewicht fiel noch die Tatsache, dass sie in der Weberei Autodidaktin ist.
Tiefe, Plastizität, Räumlichkeit
Hinter dem Webstuhl in ihrem Wohnzimmer, neben dem Stühle mit unglaublichen Mengen an Wollknäueln stehen, hat Franka Lechner einige ihrer Werke gelagert: Es sind massive Textilien, deren Tiefe, Plastizität und Räumlichkeit sich erst vor dem Original so richtig entfalten – Reproduktionen können sie nur erahnen lassen. Viele ihrer Arbeiten sind in Rottönen gehalten: „nach oben strebendes Rot, Feuerrot, Herbstrot, Blutrot, Sonnenrot, Mohnblumenrot, Erdrot, Lippenrot, Wangenrot, Rosarot….“, wie die Kunsthistorikerin und Kuratorin Elisabeth Voggeneder es in dem Buch „Franka Lechner. Bildteppiche – Malerei – Lyrik – 1970 bis 2016“ umschrieb.
Immer tragen ihre Werke Titel. Sie verweisen auf deren metaphorischen Charakter oder auf gesellschaftspolitisch brisante Themen. „Der Angriff“ etwa heißt eine jüngere hochformatige (in der Ausstellung nicht präsentierte) Tapisserie, auf der ein schwarzes Rechteck vor einer gelb-blauen Fläche schwebt. Diese spielt auf das „Schwarze Quadrat“ von Kasimir Malewitsch an – der Avantgardist war gebürtiger Ukrainer, seine Inkunabel der Moderne diente beim Maidan in Kyiv als Symbol. Auf diese Weise verwebt Lechner klug das Politische mit dem Künstlerischen. Immer wieder überziehen ihre Teppiche auch tiefe blaue Flächen mit roten Linien: „Das ist die Linie, die jene durchbrechen müssen, die nach Europa wollen“, erklärt sie. Es wäre undenkbar für sie, die Titel wegzulassen. „Ich suche Metaphern. Gleichzeitig muss die Qualität der Kunst im Einklang stehen mit dem, was ich sagen will.“
Energetischer Prozess
Ihre Textilien bereitet sie akribisch in Buntstiftskizzen vor. In ihrem Arbeitszimmer hat sie eine ganze Serie dieser Zeichnungen gestapelt. „Der Buntstift entspricht sehr stark dem Wollfaden“, erläutert sie. Ihre Entwürfe entwickelt sie in längeren Verfahren, kopiert diese händisch und verändert sie wieder. „Da arbeite ich oft sehr lang daran.“ Auch ein umfassendes Konvolut an Collagen entstand über die Jahre, in denen das Grafische eine Rolle spielt – in Form von Schriftbildern, Briefen, aber auch Notenblättern.
In jüngster Zeit legt der Kunstbetrieb erhöhtes Augenmerk auf Textilarbeiten, wie eine Ausstellung im Wiener MAK oder der Erfolg von Künstlerinnen wie Sheila Hicks aktuell zeigen. Lechner arbeitet schon lange Zeit sehr konsequent daran. Das Weben empfindet sie vor allem als „energetischen, ordnenden, strukturierenden Prozess mit meditativem Charakter. Der Faktor Zeit spielt eine große Rolle.“ Verwebung, Verdichtung: Darum geht es auch in ihrer Poesie, in der sie auch ihre Tapisserie reflektiert, etwa hier: „ich fahre fort / zu leben / ich fahre fort / zu weben / und lege / die Fäden / aufeinander / Gebäude und Kleid / zugleich“.
Frühe Role Models
Als kreative Frau fand sie früh im Leben Role Models – das erste davon gewissermaßen frei Haus: Ihre Mutter Etta Becker-Donner war die erste – und bislang einzige – Direktorin des Wiener Völkerkundemuseums (heute: Weltmuseum), eine „ganz starke Persönlichkeit, eine Autorität im positiven Sinn“, wie sich Lechner erinnert. Schon als Kind lief sie im Museum herum; afrikanische Masken und peruanische Textilien sollten später ihre Kunst inspirieren. Eine weitere Künstlerin in ihrem Leben war ihre Lehrerin in der Mittelschule: Grete Yppen, eine bis heute unterschätzte Malerin, die als Vorreiterin der Abstraktion in Österreich gelten kann und in der Landesgalerie Niederösterreich in der Ausstellung „Aufbrüche. Künstlerinnen des Art Club“ 2021/22 einen Auftritt hatte.
Nun erfährt ihre ehemalige Schülerin Franka Lechner breite Würdigung. Ihr Oeuvre erscheint gegenwärtig von hoher Relevanz – gesellschaftlich wie künstlerisch.
Nina Schedlmayer