140 liebevolle Frechheiten

Der Karikaturist Wolfgang Ammer zeichnet so, wie eine Soulsängerin singt. Seine Werke zielen aufs Emotionale – und gehen ans Eingemachte.
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Wenn der Karikaturist Wolfgang Ammer arbeitet, bleibt er gern in Bewegung. Daher ist das Zentrum seines Ateliers ein Stehtisch, voll mit Zeichnungen, Blättern, Stiften, Farbtiegeln. „Ich gehe manchmal herum. Wenn mir etwas gelungen ist, freue ich mich wie bei einem Treffer im Fußballmatch.“

Ignoranter Kellner

Wolfgang Ammer, der aktuell im Karikaturmuseum Krems einen Einblick in seine Arbeit gibt, hat ask – art & science krems in sein Studio im 17. Wiener Bezirk zum Gespräch geladen. Und zu erzählen hat er einiges, als wacher Geist, der die Zumutungen der Gegenwart mit einem distanzierten und doch nicht kulturpessimistischen Blick betrachtet – und am besten in seinem oberösterreichischen Idiom, das der 1953 in Steyr geborene Karikaturist trotz seiner Weltläufigkeit nie abgelegt hat.

Wolfgang Ammer hat ask – art & science krems in sein Studio im 17. Wiener Bezirk zum Gespräch geladen. Und zu erzählen hat er einiges, als wacher Geist, der die Zumutungen der Gegenwart mit einem distanzierten und doch nicht kulturpessimistischen Blick betrachtet.

Der Kosmopolitismus des Wolfgang Ammer tritt schon in seinen Anekdoten zutage – von skurrilen bürokratischen Begegnungen auf der österreichischen Botschaft in Japan, von seiner Freundschaft mit französischen Kollegen, mit denen er gemeinsam in Paris auf Papiertischtüchern zeichnete, von diplomatischer Aufregung aufgrund einer Karikatur des indonesischen Diktators Suharto oder auch von jenem Kellner, den es nicht den Deut interessierte, dass sein Gast in der London Times eine große Zeichnung publiziert hatte.

Neben seinen österreichischen Engagements, etwa für die Wiener Zeitung und das Magazin Gewinn, arbeitete Wolfgang Ammer nämlich immer international: Seine Arbeiten publizierten das holländische NRC Handelsblad, die japanische Asahi Evening News, der indische Deccan Herald, die deutsche Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Welt und zahllose andere.

„Mein Name ist Hase“

Seine Arbeiten umfassen innenpolitische Themen ebenso wie internationale sowie gesellschafts- und umweltpolitische. „Sommerlich“ heißt etwa eine Zeichnung, wo auf einem Eisstanitzel ein kleiner Globus schmilzt. „Mein Name ist Hase“ zeigt eine Gruppe von Meinungsforscher*innen mit einer Zeichnung von Sebastian Kurz in Gestalt eines Hasen – Anspielung auf jene Studien, bei denen Tier-Assoziationen zu Politiker*innen abgefragt wurden. Und die „Weltpresse“ ist ein Kaffeehaus, wo Männer verschiedener Nationen an einem Tisch sitzen – während der Brite ein „Newspaper“ und der Franzose ein „Journal“ liest, muss sich der Österreicher mit „Inserate“ zufriedengeben. Vieles ist für heutige Betrachter*innen kommentarbedürftig – Ereignisse, die länger vergangen sind wie der Iran-Irak-Krieg. Manches ist noch in schlechter Erinnerung: Etwa das Gefangenenlager Guantánamo, neben dem sich in Wolfgang Ammers Werk die personifizierten Menschenrechte aus dem Staub machen.

Ammer: Sommerlich, 2018

Der Kosmopolit arbeitet seine Bilder oft mit Aquarellfarben aus, die den Kompositionen eine zusätzliche Dynamik verleihen. Seine Künstlerfreundin Mara Mattuschka beschreibt es im Ausstellungskatalog so: „Im Lauf der Jahre hat Ammers Linie Farbströme in ihren freien Fluss aufgenommen. Sie schlängelt sich um die Formen, bis sie sich aus eigenem Antrieb zu bewegen beginnen.“ In seinem Arbeitszimmer liegen Packen von Zeichnungen – und das ist nur ein Bruchteil seines Bestandes. Sie durchzusehen stellt man sich lustvoll wie umfassend vor. Für die Ausstellung wühlten sich Kurator Gottfried Gusenbauer und seine Kollegin Anna Steinmair durch das Oeuvre Ammers, um daraus 140 Arbeiten aus den vergangenen drei Jahrzehnten zu destillieren.

Zeichnen ohne Synthesizer

Wolfgang Ammers Vater, ein Fleischhauer, war sehr kunstinteressiert. Der Sohn besuchte die Handelsschule und trat zunächst in die Fußstapfen seines Vaters. Das künstlerische Handwerk lernte Ammer international an Hochschulen und weiteren Einrichtungen. Und bereits nach seinem Schulabschluss in den Seventies fuhr er per Fernlaster nach Saudi-Arabien. „Schon damals wurde mir bewusst, dass es nicht OK ist, wenn wir im Westen Geschäfte mit diesem Land machen“, erinnert er sich. Das Reisen blieb ihm – und viele Orte sind mit Kunsterlebnissen verbunden. So gerät der Karikaturist ins Schwärmen, als er von Zeichnungen Michelangelos (Rom), Eugène Delacroix‘ (Zürich) und Peter Paul Rubens (St. Petersburg) spricht. Wie der Strich auf Papier das Wesentliche hervorkehrt, das beeindruckt ihn. Wobei die Karikatur „ein Zwischenbereich“ sei. Schubladisierungen – was zählt zur Kunst, was nicht? – gefallen ihm nicht. Wieder kommt das Schwärmerische durch: „Toulouse-Lautrec, Goya, Daumier: Die waren alle auch Spitzen-Karikaturisten!“

Wolfgang Ammer reist sehr gerne, und viele Orte sind mit Kunsterlebnissen verbunden. So gerät der Karikaturist ins Schwärmen, als er von Zeichnungen Michelangelos (Rom), Eugène Delacroix‘ (Zürich) und Peter Paul Rubens (St. Petersburg) spricht.

Wolfgang Ammer spricht gern in musikalischen Metaphern. Zeichnen, das sei wie eine Soulsängerin, die aus ihrem tiefsten Inneren schöpfe, während in der Malerei Synthesizer und Verstärker dazu geschalten würden. „Aber der Sound ist immer da.“ Seine Karikaturen gehen gern ans Eingemachte. Es ist wohl kein Zufall, dass Ammer Henri Cartier-Bresson als einen seiner Helden nennt – der Fotograf beherrschte die Kunst, einen verdichteten Augenblick, den „moment décisif“ zu treffen. „Eine Zeichnung irritiert schneller als ein Foto oder das geschriebene Wort“, sagt er.

Wolfgang Ammer sei „wie ein Eulenspiegel, der dem (politischen) Elend eine lange Nase dreht“, schreibt Jacques Schuster, Chefkommentator der Welt. „Nie schwingt er das Kampfbeil. Er besitzt gar keines. Seine Waffe ist die flinke, liebenswürdige Frechheit.“ Nachzuprüfen im Karikaturmuseum Krems.

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Ausstellung:
Wolfgang Ammer. Dialog mit der Welt

Bis 30. Juni 2024

Zum 70. Geburtstag von Wolfgang Ammer widmet das Karikaturmuseum Krems dem österreichischen Karikaturisten und Illustrator eine große Einzelausstellung. 140 Werke aus den letzten 30 Jahren geben Aufschluss über Ammers tiefgründigen Blick auf Menschen, gesellschaftliche Entwicklungen und politische Systeme.

TIPP: Artist Talk mit Wolfgang Ammer
4. Mai 2024, 15.00 Uhr

Kontakt

Karikaturmuseum Krems
Museumsplatz 3
3500 Krems an der Donau

T: +43 2732 90 80 10

E: office[at]kunstmeile.at

 

Öffnungszeiten

Sommer (März – Okt)
täglich, 10.00 – 18.00 Uhr

Winter (Nov – Feb)
täglich, 10.00 – 17.00 Uhr

Schließtage:
24.12., 31.12. und 01.01.

 

Fotos: (c) Andreas Newald und Andreas Schultz, cover: Digital da Vinci, Ammer
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