Die drei Hauptregeln der Multi-Spezies-Poesie lauten so: „Erstens: Der Hund ist der/die führende Künstler*in. Zweitens: Hab Spaß mit deinen Hunden und respektiere ihren Stil. Drittens: Denke wirklich darüber nach, wie Hunde ihre Umwelt lesen und was sie interessant finden könnten und was nicht.“ Außerdem, ein Ratschlag: Man sollte sich nicht vor den Kopf gestoßen fühlen, wenn manche Hunde keine Zeit für Poesie haben, außer sie können sie essen und leicht verdauen: „Das ist bei den meisten Menschen genauso“.
Diese Tipps gibt Mara-Daria Cojocaru auf ihrem Instagram-Account. Die Philosophin, Tierethikerin, Dichterin ist eine überaus originelle Denkerin und Gast der diesjährigen Europäischen Literaturtage in Krems.
Geruchsgedichte
Was es mit der Multi-Spezies-Poesie auf sich hat, wird demnächst in Krems sichtbar, in einer Ausstellung der Literaturtage. Im Gespräch mit ask – art & science krems erklärt sie: „Tiere kommen häufig in Gedichten vor, ohne dass es eine tatsächliche Begegnung mit ihnen gegeben hätte. Auch bei mir war das früher so.“ Bis ihr bewusst wurde, wie sehr sie ihre eigenen Hunde inspirierten. Dann begann sie, bei ihren Spaziergängen mit Hunden Materialproben dort einzusammeln, wo diese schnüffeln. Daraus entstand ein größeres Projekt mit anderen Hundehalter*innen, man schickte einander die Ergebnisse, sodass auch die Tiere in einen Austausch traten. Aus dem Material entstanden „Geruchsgedichte“. Eine andere Herangehensweise der Multi-Spezies-Poesie besteht darin, bereits existierende Texte in Hundespielzeuge zu wickeln – was nach deren Bearbeitung übrig bleibt, daraus wird das Gedicht kreiert.
Grenzüberschreitungen
Die Überschreitung von Gattungs- und Genregrenzen zieht sich durch das Schaffen der 1980 in Hamburg geborenen Wahl-Londonerin. Ihre Multi-Spezies-Poesie könnte schließlich auch als Installations- oder Objektkunst betrachtet werden. Ähnlich verhält es sich mit Cojocarus Textproduktion. In ihren Werken zeigt sich, wie Philosophie und Lyrik einander befruchten können. Ihr 2021 erschienenes Buch trägt den Titel „Menschen und andere Tiere. Plädoyer für eine leidenschaftliche Ethik“, der das Motto der diesjährigen Europäischen Literaturtage inspirierte. Es ist nicht nur gut für Personen lesbar, die mit philosophischen Texten vertraut sind, baut Cojocaru doch immer wieder lebensnahe und bildstarke Motive und Erzählungen ein. Umgekehrt sind ihre Gedichte grundiert von jener Tierethik, die sie so nachdrücklich und, als beliebte Interviewpartnerin renommierter Medien, öffentlichkeitswirksam vertritt. Wobei bei der Lektüre von „Menschen und andere Tiere“ bald deutlich wird, dass die Reflexion über unser Verhältnis zu Tieren integrativer Bestandteil jeder Ethik sein muss. Minuziös seziert die Autorin darin den Umgang des Menschen mit den, wie sie sagt, anderen Tieren und plädiert nicht nur pauschal für ein Ende der industriellen Tierhaltung oder von Tierversuchen. Sie gibt auch Anleitung, wie Alternativen zu denken sind, pragmatisch, vor dem Hintergrund geltender Gesetze, aber auch mit Mut zu weitergehenden Experimenten.
Morgendiktat mit Hund
Doch was kann die Menschheit wirklich über ihre Kolleg*innen auf Erden wissen? Cojocaru: „In der Mensch-Tier-Beziehung gibt es eine Reihe von Dingen, die uns nicht klar sind. Gedichte sind die bessere Form, um sich spielerisch an den Wissensgrenzen aufzuhalten.“ Eines ihrer Gedichte (erschienen in dem Band „Anstelle einer Unterwerfung“) heißt „Automatisches Morgendiktat mit meinem kritischen Hund“. Eine Stelle darin lautet so: „Ein Traum von gestern klopft übers Pfotenspiel / Den Tag genau auf die Belastbarkeiten ab“. Oder: „Und feiern das bisschen / Anthropomorphismus / Mit kleinem Tanz und Schwanz / Wedeln an der Schwelle zum Bewusstsein.“ Cojocaru, die an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität neben Philosophie auch Politikwissenschaft, Theaterwissenschaft und Jus studierte, erhielt für ihre Dichtung eine Reihe von Auszeichnungen, darunter den Deutschen Preis für Nature Writing, den Bayrischern Kunstförderpreis und den Mondseer Lyrikpreis. Der deutsche Tagesspiegel lobte: „Wer den Mut aufbringt, die Literatur derart eindringlich und zugleich voller Sprachlust an ihre Pflichten zu erinnern, sollte unbedingt gelesen werden.“
„Pragmatismus im schlechten Sinne“
Ebenso ist sie Mitherausgeberin von und Publizistin in philosophischen Textbänden, wurde auch als Philosophin mit Schwerpunkt Tierethik in eine Tierversuchskommission berufen – eine Erfahrung der nicht unbedingt erfreulichen Art, wie sie in „Menschen und andere Tiere“ schildert. Ihre Fragen und Einwände wurden dort offenkundig nicht ernst genommen. „Wenn man […] nur gerade so viel moralischen Zweifel, so viel Kritik zulässt, dass das existierende System gerade nicht wirklich ins Nachdenken, in Bewegung versetzt wird, dann können sich andere so sehr hineingedacht haben, wie sie mögen – bewirkt wird dadurch nichts oder nur sehr wenig“, schreibt sie. „Das aber ist Pragmatismus im schlechten Sinne.“
Mara-Daria Cojocaru erweitert mit ihren vielfältigen Tätigkeiten das Rollenverständnis einer Philosophin – nicht nur als „public intellectual“, als öffentliche Intellektuelle, sondern darüber hinaus auch als engagierte Intellektuelle. Im Gegensatz zu so manchen Kollegen, die als Experten für eigentlich eh alles auftreten, bleibt sie bei ihren Kompetenzen. Und damit umso glaubwürdiger.
Nina Schedlmayer