Der 18. Geburtstag ist in Österreich ebenso ein Limit, wie ein Versprechen. Wer vor dem Gesetz erwachsen ist, darf sich tätowieren oder operieren lassen, von Zuhause ausziehen, den Führerschein machen, offiziell ins Casino gehen, rauchen, Schnaps trinken und ohne Zustimmung heiraten. Die Ausbildungspflicht endet, die elterliche Obsorge ebenfalls. Die Wehrpflicht und das passive Wahlrecht kommen, die volle Schuld- und Geschäftsfähigkeit ist erreicht. Es sind andere Arbeitszeiten erlaubt und wer eine psychische Krise oder einen Notfall hat, wird in der Abteilung für Erwachsenenpsychiatrie behandelt.
Plötzlich erwachsen?
Doch wer ist je an einem Stichtag erwachsen geworden? Erwachsensein bedeutet mehr als Rechte und Pflichten. Für Beate Schrank, Psychiaterin am Uniklinikum Tulln und Leiterin des Forschungszentrums Transitionspsychiatrie an der Karl Landsteiner Privatuniversität, geht Erwachsenwerden mit Entwicklungsaufgaben einher: „Das hat viel mit Identitätsfindung, Selbstständigkeit und der Organisation eines eigenverantwortlichen Lebens zu tun. In der Forschung zeigt sich, dass dieser Übergang sich durch aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen immer weiter nach hinten verschiebt und länger dauert.“

Zudem entwickeln sich die meisten psychischen Probleme genau da, im Alter zwischen 15 und 25 Jahren. Es ist seit langem bekannt, dass am Übergang der Fachbereiche Kinder- und Erwachsenenpsychiatrie viele Klient*innen verloren gehen. Die Behandlung Erwachsener stellt mehr auf Selbstständigkeit und Eigenverantwortung ab. Das Setting, die Ansätze und die Kultur einer Transitionspsychiatrie berücksichtigen, dass Entwicklungsaufgaben eventuell noch nicht bewältigt worden sind, was die Behandlung von Ängsten, Zwängen oder Suizidgefährdung aber nicht behindern sollte.
Die Qual der Wahl
Wählen ist in Österreich mit 16 Jahren erlaubt. Geheim ein Kreuzerl zu machen (oder nicht), ist aber weniger schwierig, als sich mit einer eigenen Identität unter vielen Möglichkeiten zurecht zu finden und zu behaupten. Die Jetztzeit bietet viel Auswahl und viele Informationen, mehr Diversität und gleichzeitig permanente Veränderung. Das ist schön, aber auch schwierig: „Immer weniger Menschen haben heute ein Leben lang den gleichen Beruf oder den Beruf ihrer Eltern, bauen ein Haus und bleiben ihr Leben lang dort mit dem oder der gleichen Partner*in. Es braucht heute mehr Flexibilität und es gibt weniger stabile Rollenmodelle.“ Ein stabiles Ich entwickeln, werden und bleiben, wenn sich rundum alles verändert und man sich selbst laufend verändert – „diese Herausforderungen hat die Gesellschaft aufgemacht und so das Erwachsenwerden zu einem fließenden Prozess gemacht“. Reifen können Menschen recht kurzfristig an einschneidenden Erlebnissen und äußeren Umständen. Sich entwickeln ist ein längerfristiger Prozess, bei dem es letztlich um Entscheidungen geht, was einem entspricht und was einem wichtig ist.

Stabiles Setting und Orientierungshilfe
Die Transitionspsychiatrie arbeitet mit Menschen zwischen 15 und maximal 30 Jahren im Case Management-System. Sie werden also von einer Person oder einem Team betreut. Es werden Umfeld und Bezugspersonen einbezogen und die Entwicklungsaufgaben im Blick behalten. In einem stabilen Setting werden Klient*innen auf dem Weg durch Leben und Behandlung, Krankheit und Genesung, wechselnde Therapieformen und auch den Papierkrieg begleitet. Die Entwicklungsaufgaben werden neben der Therapie adressiert und mit Orientierung und Navigation begleitet.
Beate Schrank, gebürtige Steirerin, jetzt Wahlwienerin mit Arbeitsplatz Niederösterreich, hat Medizin in Wien studiert, weil das ihre Freund*innen taten. Auch so kann eine letztlich gute Wahl getroffen werden. Danach studierte sie am King’s College London Gesundheitswesenforschung mit Schwerpunkt Psychiatrie. Sie lernte dort ihr heutiges Fokusgebiet besser kennen und beschäftigte sich auch mit dem Machtgefälle zwischen Ärzt*innen und Patient*innen: „Eines der größten Probleme ist immer noch, wenn Therapeut*innen mit ihrem Konzept kommen und erklären, dass sich junge Menschen da jetzt mal reinfügen sollen – das kann man heute kaum mehr machen.“

Open-Innovation
Einzigartig an der Struktur des Forschungszentrums ist, dass es mit den Behandelnden in der Klinik und den Betroffenen in sehr engem Austausch steht. Erster Outcome war ein klinisches Konsenskonzept, wie die Behandlung bestmöglich aufgebaut werden kann. Praxisrelevanz für die Zielgruppe ist Beate Schrank wichtig: „Wir entwickeln unterstützende Apps, erforschen Einflüsse auf die Selbstidentifikation, nehmen Themen wie Ernährung und Lifestyle ernst, die junge Menschen betreffen und beschäftigen. Wir versuchen, so gut es geht, gemeinsam mit unseren Klient*innen Therapiemanuale zu entwickeln und ihre Ideen weiter zu verfolgen.“ In einem gerade gestarteten EU-Projekt soll ein soziales Kompetenztraining als Handyspiel entwickelt werden. Damit soll in Gruppen geübt werden, in Beziehung und Kommunikation zu treten. Soziale Nähe über den Umweg des Gerätes, das als Schutz und Gebrauchsanweisung funktioniert – so kann und muss man junge Menschen heute abholen.

Schon als junger Mensch haben sie viele Dinge interessiert, „ich bin sehr neugierig und habe lange nicht gewusst, was ich machen will“. An der Psychiatrie hat ihr gefallen, dass das fächerübergreifende, tiefe Nachdenken einen hohen Stellenwert hat: „Ich mag Menschen und versuche letztlich sie auch über die Gesellschaft, in der wir leben, zu verstehen.“ Neben der klinischen Praxis möchte sie einen Beitrag zu evidenzbasierter Medizin leisten: „Evidenz hilft Fachleuten gut zu arbeiten und über diesen Weg noch mehr Menschen zu helfen. Mit digitalen Ansätzen können wir zudem das Versorgungsproblem im ländlichen Raum auch noch einmal ganz anders angehen.“
Konsequent zu Ende gedacht bedeutet Transitionspsychiatrie, dass Diagnosen zurecht existieren, aber jeder (junge) Mensch in Krisensituationen ein offenes Ohr finden sollte: „Wer hatte in seinem Leben noch nie eine Krise? Prävention und Therapie sollten letztlich verschmelzen“, sagt Beate Schrank, die es daher begrüßt, dass Mental Health Themen heute nicht mehr totgeschwiegen werden.
Astrid Kuffner
2 Antworten
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