„Das sind Mythen“

Kunsträume und Universitäten gelten oft als Avantgarde in Sachen Gleichstellung von Männern und Frauen. Sind sie das wirklich? art & science krems sprach darüber mit der Genderexpertin Michaela Gindl von der Universität für Weiterbildung Krems (UWK) und der Künstlerin Frenzi Rigling, die in der Landesgalerie Niederösterreich ausstellt.

ask – art & science krems:  Michaela Gindl, Frenzi Rigling, Sie sind in unterschiedlichen Bereichen tätig – in der Wissenschaft und in der bildenden Kunst. Wo sehen Sie Fortschritte, wo hinken wir hinterher?

Frenzi Rigling: Ich sehe eine positive Entwicklung. Seit ich meine Ausbildung abgeschlossen habe, sind sehr viel mehr Künstlerinnen unterwegs, die ich gut und interessant finde. Auch mehr Kuratorinnen und viele Museumsdirektorinnen. Die Stimmung hat sich zum Positiven verändert. Es gibt eine Sensibilisierung, und das ist für mich wichtig.

Die ask – Gesprächsreihe Im Dialog im museumkrems stieß auf großes Publikumsinteresse.

Michaela Gindl: Ich kam 2005 an die Universität für Weiterbildung Krems und beobachte, dass sich Geschlechtergleichstellung nicht linear entwickelt. Die Zahl der Frauen in Führungspositionen steigt kontinuierlich. Der Anteil an Forschungsprojekten und Lehrveranstaltungen, in denen Genderthemen berücksichtigt werden, hat sich erhöht. Doch unser Gradmesser für Veränderungen sind neben den Zahlen auch Inhalte und Strukturen – und die verändern sich nur langsam.

ask – art & science krems: Von welchen Strukturen konkret sprechen Sie?

Gindl: Es geht darum, Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen in die Lage zu versetzen, ihren Beruf gleich gut ausüben zu können. Die Uni kann nur einen Teil der gesamtgesellschaftlichen strukturellen Ungleichheiten kompensieren. Zu solchen Strukturen gehört z.B. ein Betriebskindergarten, aber auch die Gestaltung von ausgewogenen Entscheidungsprozessen. An der Uni beschäftigen uns der Gender Bias und andere stereotype Weichenstellungen: Es sollte reflektiert werden, dass wir Menschen anhand von wahrgenommenen Merkmalen unbewusst bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten zuordnen.

Michaela Gindl: Die Zahl der Frauen in Führungspositionen steigt kontinuierlich. Doch unser Gradmesser für Veränderungen sind neben den Zahlen auch Inhalte und Strukturen – und die verändern sich nur langsam.

ask – art & science krems:  Frenzi Rigling, als Sie vor rund 30 Jahren aus der Schweiz nach Wien kamen, war die Kunstszene schwer männerdominiert. Wie haben Sie das erlebt?

Rigling: Bei mir kam einiges zusammen, das es mir schwer machte. Viel hatte wohl damit zu tun, dass ich von außen kam. Ich hatte kein Netzwerk, habe einen Künstler geheiratet und wurde in den Zirkeln nicht so willkommen geheißen. Das Netzwerken ab der Ausbildung bringt sicher Vorteile. Ich bekam Kinder, litt aber nicht an dieser typischen Frauen-Biografie.

ask – art & science krems: Frau Gindl, wie erinnern Sie sich an Ihre Studienzeit?

Gindl: Für mich war dieses Geworfensein ohne Netzwerke auch sehr prägend – ich kam aus einem steirischen Dorf nach Wien und studierte Soziologie. Da studierten mehr Frauen, und in den Lehrveranstaltungen, die heute unter Gender Studies laufen, waren wir fast unter uns. Die ständige Auseinandersetzung half mir, Entscheidungen bewusster zu treffen – beispielsweise jene über Vollzeitbeschäftigung und Karenzdauer. In der privilegierten Situation einer österreichischen Akademikerin fangen Diskriminierungen eher erst mit Berufstätigkeit und Familiengründung an. Davor geht viel. Heute noch mehr als damals.

Frenzi Rigling meint, dass die Kunst offener ist und hier daher manche Entwicklungen schneller durchgemacht werden können.

ask – art & science krems: Seit Ihrer beider Studienzeit hat sich viel verändert. In der Kunst war es beispielsweise früher normal, in Ausstellungen zur Gegenwartskunst ausschließlich Künstler zu zeigen. Frenzi Rigling, denken Sie, dass Kunstinstitutionen Vorreiterinnen sind in Sachen Gleichstellung?

Rigling: Ich denke, dass die Kunst offener ist und hier daher manche Entwicklungen schneller durchgemacht werden können. Wenn mehr Frauen in Entscheidungsfunktionen sind, ist das für weitere Frauen eine Erleichterung – etwa wenn es um die Bewertung geht, was als gute Kunst gilt. Ich selbst konnte sicher Sachen erreichen, weil Frauen an bestimmten Positionen sind.

ask – art & science krems: Auch Universitäten haben eine gesellschaftliche Vorbildfunktion. Ist die gläserne Decke hier durchbrochen?

Gindl: An den Unis ist sicher vieles selbstverständlich, für das in anderen gesellschaftlichen Feldern noch weit zu gehen ist. Wir haben rund 27% Professorinnen an der UWK, hatten aber z.B. noch nie eine Rektorin. Wenn wir durch die gläserne Decke nach oben schauen, wo nur Männer das Sagen hatten, hat die schon viele Sprünge.

ask – art & science krems: Erreichen Sie mit den Maßnahmen der Stabsstelle Gender, Gleichstellung und Diversität im Auftrag des Unimanagements jene Menschen, die Sie erreichen wollen?

Gindl: Meine Stelle arbeitet daran, „sich selbst abzuschaffen“. Bis zum Ende meines Berufslebens wird sie wohl noch notwendig sein. Wir haben Frauenförderprogramme und machen viel Sensibilisierungsarbeit, um Strukturen zu verändern und Gender oder Diversitätsinhalte in die Forschung zu bringen. Für jede Veränderung ist die betreffende Person das Nadelöhr. Wer ein bisschen offen für „das Genderdings“ ist, den erreichen wir mit unseren Veranstaltungen und Maßnahmen. Wer nicht erreichbar sein will, den erreichen wir auch nicht.

ask – art & science krems:  Awareness, Empfehlungen und freiwillige Selbstverpflichtung versus Gesetze, Zielvereinbarungen, Geldanreize und Quoten – was wirkt besser?

Gindl: Es geht das eine nicht ohne das andere. Ohne Quote hätten wir viel weniger Frauen in Führungspositionen. Dass es unsere Stelle geben muss, steht im Universitätsgesetz. Das ist wichtig und hilfreich. Doch das Gesetz allein ist nicht ausreichend, es braucht auch viel Überzeugungsarbeit. Wir brauchen gesetzliche Rahmenbedingungen wie die Quote und die Bewusstseinsbildung.

art & science krems: Ein zentrales Thema ist stets die Vereinbarkeit von Elternschaft und Beruf. Kann diese an Universitäten selbstverständlich gelebt werden?


Gindl: An unserer Uni ist Vereinbarkeit eines von sieben strategischen Zielen. Wir haben etwa sehr gute Regelungen für Home-Office und Gleitzeit. Es gibt ein Verständnis dafür, dass wesentliche Besprechungen nicht um sieben Uhr morgens oder am Abend beim Bier stattfinden. In dem Handlungsfeld wurde sehr viel getan, um die Vereinbarkeitsthematik von der Mutter wegzubringen. Wir bemühen uns darum, das Personal auch an die Universität zu binden. Da muss man einen Arbeitsplatz mit einer gewissen Work-Life-Balance bieten.

art & science krems: Da scheint die UWK der Kunst etwas voraus zu haben. Künstlerinnen werden gewarnt vor einer Mutterschaft oder sogar aus Galerien geschmissen. Frenzi Rigling, was sind Ihre Erfahrungen als Künstlerin und Mutter?

Rigling: Tatsächlich warnen viele erfolgreiche Künstlerinnen vor Mutterschaft und sagen, sie sei nicht mit der Kunst vereinbar. Natürlich braucht man eine gewisse Intensität, um Kunst machen zu können. Im Gegensatz zur Universität sind wir nicht in einem Netz, das uns hält. Es ist ein total emotionales Thema, was es schwierig macht. Ich selbst habe es geschafft. Aber man wünscht sich natürlich, dass die eigene Arbeit als ebenbürtig akzeptiert wird, und ich habe oft das Gefühl, dass sie nicht honoriert wird. Mich hat tatsächlich eine Galeristin nicht aufgenommen, und ich habe einen Preis nicht bekommen – einfach nur, weil ich schwanger war.

art & science krems: Liegt das auch an der längst überwunden geglaubten Vorstellung, dass Kunst – ebenso wie Wissenschaft – einen Menschen total fordert, sodass nichts anderes in dessen Leben passt?

Rigling: Ja, das sind Mythen, die nach wie vor existieren.

Gindl: In gängigen Bildern über Wissenschaft gibt es die, wie auch in der Kirche! Der Pfarrer, der Künstler, der Wissenschaftler: In der Vorstellung vieler sind das durchgeistigte Persönlichkeiten, durchdrungen von ihrer Genialität, die völlig frei von allem anderen sein müssen. Das ist aber unmöglich, wenn man beispielsweise Kinder zu versorgen hat. Es ist wichtig, das als Mythos zu bezeichnen.

Frenzi Rigling: Natürlich braucht man eine gewisse Intensität, um Kunst machen zu können.

Rigling: Von Künstlern und Künstlerinnen glaubt man, dass sie ständig arbeiten müssen, seit sie als Kleinkinder zu zeichnen begannen. Doch man muss nicht dauernd produzieren, man muss auch denken. Das ist eine Lebenshaltung. Interessant wird es, wenn man diese Vorstellung eben nicht bedient.

art & science krems: Kunst und Alltag müssen nicht zwei getrennte Sphären sein. Frenzi Rigling, die Landesgalerie Niederösterreich zeigt aktuell Bilder von ihnen, die von der Schriftstellerin Corinna S. Bille inspiriert sind. Diese reflektierte den weiblichen Alltag in der Schweiz des 19. Jahrhunderts. Geht es Ihnen in der Kunst auch darum, dem weiblichen Alltag einen ästhetischen Wert abzugewinnen?

Rigling: Ja, wobei es mir nicht um die Überhöhung des Alltags durch die Kunst geht.  Da gibt es andere tolle Künstlerinnen wie Mary Kelly und Martha Rosler, die speziell den weiblichen Alltag reflektieren. Was mich an Corinna S. Billes Literatur interessiert, ist das Verschwinden und Verstummen von Frauen, das sie thematisiert. Davon inspiriert, entwarf ich ein Alphabet aus den Räumen zwischen den Buchstaben. Diese Arbeit kommt aus dem Gefühl der Verstummung, der Sprachlosigkeit.

Gindl: Das zeigt wieder einmal eines: Das Private ist politisch! Es sind keine getrennten Sphären. Auch wir Wissenschaftler*innen und unsere Erkenntnisse sind von unserer Persönlichkeit und unserer Umwelt beeinflusst.

art & science krems: Für viele erfolgreiche Frauen war es wichtig, Vorbilder zu haben. Hatten Sie am Beginn Ihrer Berufslaufbahn weibliche Role Models?

Gindl: Ja, da gab es eine Frau, die sich hochschwanger als Vizerektorin an einer Universität bewarb. Tatsächlich wurde sie meiner Erinnerung nach im Hearing gefragt, wie sie sich die Ausübung ihres Berufs als Mutter vorstelle. Ihre Haltung gefiel mir: es einfach für selbstverständlich zu nehmen, dass sich das vereinbaren lässt. Und sie hat sich damit durchgesetzt. Role Models finde ich total wichtig. Sie zeigen, dass Räume für Frauen offenstehen. 

Rigling: Ich finde Role Models auch sehr wichtig, hatte damals aber eher männliche Vorbilder. Obwohl es große Künstlerinnen wie Sophie Taeuber-Arp und Sonia Delaunay gab. Ich überlegte wohl gar nicht groß, ob es möglich ist, als Künstlerin zu reüssieren – auch wenn ich von allen hörte, dass ich keinen guten Weg einschlage.

art & science krems: Wie ist Ihr Blick auf jüngere Kolleg*innen und Gleichstellung heute?

Michaela Gindl und Frenzi Rigling diskutierten mit Astrid Kuffner und Nina Schedlmayr.

Gindl: Man muss vorsichtig sein mit Zuschreibungen an die junge Generation. Ich habe jedoch den Eindruck, dass stärker darüber reflektiert wird, wie man leben möchte.

Rigling: Es gibt in der Kunst aktuell eine große Verunsicherung in Bezug auf Geschlechterrollen. Und das ist viel spannender als früher.

Anmerkung: Wir sprechen in diesem Dialog von Frauen und Männern. Nicht weil wir glauben, dass es kein Spektrum von Geschlechtsidentitäten gibt oder es zu vernachlässigen ist, sondern weil es für diese binären Kategorien schon Daten gibt, an denen sich Gleichstellung festmachen lässt.

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Michaela Gindl ist in Admont (Steiermark) aufgewachsen und kam zum Studium der Soziologie und europäischen Ethnologie an die Universität nach Wien. Im November 2005 begann sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an Universität für Weiterbildung Krems und ist dort Co-Leiterin der Stabsstelle für Gender, Gleichstellung und Diversität. Die Expertin für Gleichstellung und Genderkompetenz berät Institutionen zu Gender Mainstreaming und inklusiver Organisationsentwicklung.

 

Frenzi Rigling wurde 1958 in Schaffhausen in der Schweiz geboren und studierte 1977 bis 1984 an der Schule für Gestaltung in Zürich. Heute lebt und arbeitet sie in Wien und Obermarkersdorf (Weinviertel). In ihren Skulpturen, Zeichnungen, Installationen, Fotografien und Performances arbeitet sie häufig mit dem, was ihr nahe ist – wie etwa ihrem Garten oder ihrer Kleidung. Dabei umkreist sie bisweilen weiblich konnotierten Alltag sowie Frauenfiguren in der Kunst. Die Landesgalerie Niederösterreich zeigt noch bis 12. November ihre Ausstellung „Frenzi Rigling – Über das“.

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