Wer die beliebten Karriere-Newsletter abonniert, kennt aktuelle Tipps und Themen, die sich an Arbeitssuchende und Führungskräfte gleichermaßen richten. Von „So punktest Du im Bewerbungsgespräch“ bis zu „Toxische Chef*innen gleich erkennen“, von „New Work ist kein Larifari“ bis zu „Die Gen Z erfolgreich für das Unternehmen gewinnen“. Heike Heidemeier, seit einem Jahr Professorin für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften, vermeidet solche Schlagworte konsequent. Sie erforscht, wie und woher Menschen die Motivation für ihre Aufgaben im Berufsleben beziehen und welche Strategien sie entwickeln, um Langeweile und innerer Kündigung zu entgehen.
Die psychologischen Wirkmechanismen intrinsischer Motivation sind tatsächlich universell und funktionieren bei jedem Menschen. Sie sind auch alles andere als „neu entdeckt“. Im medialen Dauerfeuer des Employer Brandings, der Sinnsprüche auf Instagram oder Erfahrungsberichte über vorbildliche Büroausstattung und Home-Office-Regelungen treten sie jedoch oft in den Hintergrund. Vielleicht weil sie schwieriger umzusetzen sind als eine Obstschale im Büro.
Work-Life-Balance oder innere Balance
Überspitzt gesagt schlägt das innere Erleben die Vier-Tage-Woche, Büro-Yoga und großzügige Home-Office Regeln. „Die Aufgabe bestimmt, mit welcher Motivation eine Person da hineingehen kann. Ob sie ihre psychologischen Bedürfnisse befriedigen und ihre Kompetenzen gut einsetzen kann. Das ist eine Kerneinsicht der Arbeitspsychologie“, so Heike Heidemeier. „Arbeit ist das halbe Leben“ sagt man, aber meist können wir Berufs- und Privatleben nicht ganz strikt trennen: „Wir verbringen im Job viel Zeit, und die Arbeit gibt uns positive Ressourcen wie soziale Kontakte, Verdienst, aber auch Lernerfahrungen“. Der Beruf ist – nach der Schule und dem sozialen Hintergrund – der wichtigste bestimmende Faktor, wie kompetent und lernfähig wir sind. Das Selbstwertgefühl, ob man Kontrolle über sein Leben wahrnimmt, hängt auch mit dem Arbeitsplatz zusammen. Wohlbekannt sind auch die Folgen von Ressourcenverlust: Erschöpfung, Vermeidungsverhalten, depressive Verstimmung und innerliche Kündigung.
Die drei Gebote
Es wird also Zeit, die Basisbausteine der intrinsischen Motivation zu enthüllen: Autonomie ist das wichtigste Bedürfnis, also die Kontrolle darüber zu haben, was, wie und wann man eine Aufgabe macht. Alle Menschen wollen Kompetenz erleben und einsetzen, auf ein Ziel hinarbeiten und Erfolge erleben. Und sie wollen bedeutsame soziale Kontakte, also die gleichen Menschen immer wieder treffen und gemeinsam Erfolg erleben. Nicht jede*r in der gleichen Intensität und Fülle, aber im Grunde schon.
Die Verantwortung für ein gutes Arbeitsumfeld bleibt dabei geteilt: Die Arbeitergeber*innen ermöglichen die Aufgaben und gestalten sie, Arbeitnehmer*innen können dazu beitragen, sich anpassen und gestalten. Totale Über- oder Unterforderung kann jedenfalls niemals motivierend sein, und auch das Topf-Deckel-Prinzip gilt hier nicht: „Für ausschließlich schreckliche Aufgaben ist niemand dauerhaft geeignet!“, so Heike Heidemeier. Als Beispiel nennt sie das Beschwerdemanagement in einem Call Center.
Präventiv und nicht kurativ
Nach der eigenen Motivation für ihre Beschäftigung mit dem Thema befragt, bezeichnet es Heidemeier als „Kerndisziplin der Psychologie“ und ihr gefällt an der Arbeits- und Organisationspsychologie, „dass man sehr kreativ arbeiten und bereits vor einer psychischen Störung oder Krankheit ansetzen kann“. Ihr zweites Steckenpferd sind statistische Methoden, die sie zunächst etwa bei den bekannten PISA-Kompetenzmessungen der OECD einsetzte. Viele Jahre hat sie an verschiedenen deutschen Universitäten methodische und statistische Themen unterrichtet. Wahrscheinlich könnte man die gebürtige Bayerin um drei Uhr früh wecken und sie würde versuchen, den Studierenden die Ängste vor der angewandten Mathematik zu nehmen und den Nutzen herauszustreichen. Den Wechsel vom Bildungswesen in die Berufswelt vollzog die Psychologin, weil sie Lust darauf hatte, Einzelforschung zu machen und Theorien weiterzuentwickeln – wobei viele Befragte natürlich immer wichtig sind.
An der Karl Landsteiner Privatuniversität in Krems bietet sich für sie „die große Chance, ein breites Forschungsfeld aufzumachen in der Organisationspsychologie mit Ausrichtung auf Management, Arbeit und Gesundheit mit zahlreichen Anknüpfungspunkten innerhalb einer Hochschule für Gesundheitswissenschaften“. Dafür pendelt sie zwischen einem Wohnsitz in Würzburg und der – wie sie findet – ausgesprochen lebenswerten Stadt Krems. Nach einem Jahr Aufbauarbeit streckt sie nun auch die Fühler aus, um die Zusammenarbeit mit anderen Departments zu vertiefen. Aktuell forscht sie zu Langeweile im Büro unter qualifizierten Mitarbeiter*innen. Diese entsteht meist durch Unterbeschäftigung, Überqualifikation oder mangelndes Sinnempfinden. In anonymen Befragungen sollen empirisch konkrete Gefahren in Umfeld oder Aufgabe ermittelt und Strategien der Betroffenen zur Vermeidung oder Verbesserung herausgearbeitet werden.
Schutz- und Risikofaktoren bei den Beschäftigten
„Je häufiger jemand in diesen emotionalen Zustand kommt, der nicht mit ‚die Seele baumeln lassen‘ zu verwechseln ist, desto eher kommt es zu Hoffnungslosigkeit, empfundener Ausweglosigkeit oder dazu, dass einem alles egal wird. Wir versuchen Schutzstrategien zu erheben und stellen fest, was hier nützlich ist.“ In ihrem Fachbereich werden die Annahmen über Faulheit, Anspruchsdenken und Inkompetenz in Frage gestellt, erklärt die Arbeitspsychologin. Aus den Ergebnissen aber „können Führungskräfte lernen, intrinsische Motivation besser zu unterstützen und darauf zu achten, dass Arbeitnehmer*innen ihre Stärken zeigen, eine geeignete Aufgabe und ein passendes Umfeld finden. Im normalen Jobinterview ist das nämlich nicht so leicht herauszufinden“.
Astrid Kuffner