Wie erklärt man Menschen, die noch nie von einer Artothek gehört haben, am besten, was das ist? Vielleicht so: „Wie eine Bibliothek, nur mit Bildern“?
Ein Bild davon kann man sich im zweiten Stock der Steiner Landstraße 3, 3500 Krems machen – in einer ehemaligen Fabrik auf der Kunstmeile Krems, in der Artothek Niederösterreich. Dort empfangen die Artothek-Leiterin Isabell Fiedler und Mitarbeiterin Elisabeth Deutsch an einem sonnigen Vormittag ask – art & science krems für eine kleine Führung und ein Gespräch über diese ganz besondere Institution. Noch immer haben Artotheken in Österreich – im Gegensatz zu Deutschland – Seltenheitswert.
Paralleluniversum
Seit 2002 können sich in Krems Einzelpersonen und Unternehmen hier Kunstwerke ausleihen, für sechs Monate, mit Option auf einmalige Verlängerung. Im Präsentationsraum hängen die Werke – Gemälde und Druckgrafiken – nicht nur an den Wänden, sondern auch auf langen Metallgittern. Zudem ist eine Kinderecke eingerichtet; damit sich die Kleinen nicht langweilen, während ihre Eltern darüber beraten, was am besten in ihre Wohnung passt.
Isabell Fiedler sagt: „Es ist wie ein Paralleluniversum. Man kann hier vom Alltag runterkommen und sich inspirieren lassen.“ Auf einem großen Tisch werden die Bilder verpackt und den Kund*innen mitsamt Handschuhen übergeben. Viele von ihnen wissen schon, wenn sie den Raum betreten, was sie haben wollen: „Sie wählen schon vorher aus unserer Datenbank im Internet aus“, erzählt Elisabeth Deutsch, die ständig im direkten Kund*innenkontakt ist. Das Publikum ist so unterschiedlich wie das Angebot – Kunstexpert*innen sind ebenso darunter wie Unternehmen, die durch Kunst den Arbeitsalltag aufwerten wollen.
Künstlerische Vielfalt
Viele der insgesamt 1.500 Arbeiten hängen nicht direkt im Schauraum, sondern im angeschlossenen Depotraum. Auch dorthin dürfen die Besucher*innen. Bilder hängen auf großen Gittern, die sich mit erheblichem Krach auf Metallschienen ausziehen lassen, darunter: eine semiabstrakte Komposition von Gabriele Schöne, ein Bild mit Erde von Günther Wieland sowie eine Leinwand von Barbara Höller, auf der sich erhabene Linien kringeln, weiß auf weiß. „Wir versuchen, die Vielfalt der Kunst abzubilden“, sagt Isabell Fiedler. Die Auswahl reicht von figurativen Ölgemälden über abstrakte Arbeiten bis zu filigranen Zeichnungen. Die Werke stammen zur Gänze aus den Sammlungen des Landes Niederösterreich. Die Arto-Chefin sitzt auch in der Ankaufsjury und kann daher mitbestimmen über die Auswahl der Werke. In der Artothek sind bekannte Künstler*innen wie ONA B., Gunter Damisch, Adolf Frohner, Franziska Maderthaner oder Hermann Nitsch vertreten.
Eine Wand im Depot trennt den öffentlichen Raum ab von dem, der nur für Mitarbeiter*innen – und an diesem Tag für ask – art & science krems – zugänglich ist.
Dort stapeln sich Kartons, ein Wagen mit Werkzeug der Restauratorin. Diese begutachtet – im Durchschnitt einmal monatlich – jene Werke, die zurückgegeben werden, nimmt im Fall Reparaturen vor. Gibt es viele Schäden? Fiedler: „Kaum! Vielleicht ist einmal ein Rahmen verzogen, weil der Leim sich auflöst. Aber generell sind unsere Kund*innen extrem vorsichtig.“ Sorgen braucht sich um die Kunst also niemand zu machen.
Spiegel der Gesellschaft
Und sie kommen nicht nur aus Niederösterreich, sondern auch aus Wien, Burgenland, Graz, Salzburg und Linz, wie Elisabeth Deutsch aufzählt. Nachsatz: „Die beneiden uns darum!“ Aktuell sind rund 800 bis 900 aktive Personen und Unternehmen in der Datenbank verzeichnet. Beliebt sind große Formate. Laut Fiedler spiegelt sich in den Ausleihen die aktuelle gesellschaftspolitische Situation: „Momentan sind fröhliche, helle Arbeiten gefragt, die gute Stimmung verbreiten. Um dunkle Farben machen die meisten eher einen Bogen.“
Der Bestand der Artothek wird kontinuierlich aktualisiert. Gemälde und Grafiken, die weniger beliebt sind, werden durch andere ersetzt – zur Freude des Publikums. Kürzlich kamen neue Werke von Karl Korab und einigen Gugginger Künstlern; diese sind besonders beliebt. Viele Kund*innen verlieben sich, erzählen Deutsch und Fiedler, in „ihr“ Bild – und wollen es gar nicht mehr retournieren. Manchmal borgen sie es nach der Rückgabe erneut aus, so keine Vorreservierung vermerkt ist. „Es kam schon vor, dass Leute sich ein ähnliches Werk kauften“, erzählt Deutsch. Frühere Bedenken von Galerien, dass die Artothek ihnen das Geschäft wegnehmen könnten, sind längst zerstreut. Diese Institution beweist im Gegenteil, „wie groß das Bedürfnis nach Kunst im Alltag ist“, so Isabell Fiedler. Man wünscht der Artothek Niederösterreich jedenfalls mehr Nachahmer*innen.
Nina Schedlmayer