Der Junge mit Perlenkette wirbelt herum. Er schmeißt seine Arme von sich, zieht sie wieder an seinen Körper, dreht sich um die Achse. Eine Person in hochhackigen Lackstiefeln, eine Pelzmütze auf dem Kopf, einen Pelzgurt um die Taille, wirft sich auf den Boden und räkelt sich dort. Zahlreiche weitere Performer*innen werden folgen. Es ist ein Event, das der kroatische Künstler Damir Očkomit der Zagreber queeren Community organisiert hat. Die glamourösen Auftritte verarbeitete er zu dem Film „The Dawn Chorus“, aktuell in seiner Ausstellung „Damir Očko. Bird’s milk and other spirits“ in der Kremser Dominikanerkirche zu sehen.
Die Tanzperformance wird ergänzt durch eine weitere wesentliche Komponente des Films – den Sound: Dafür engagierte der Künstler den lesbisch-antifaschistischen Chor Le Zbor aus Zagreb, Vogelgeräusche zu imitieren. Wer den Raum betritt, in dem der Film gezeigt wird, wird sofort in den Bann gezogen davon – ein Gurren, Zwitschern, Rollen, Piepsen, begleitet von Fingerschnipsen. Ergänzt wird dieser Film durch eine Installation im Chor, in der 250 Cocktailgläser mit allerlei Schmuck, teilweise durchaus trashig, auf einem Gerüst gruppiert sind.
Queerness ist kein „Thema“
Eines stellt Damir Očko, von ask – art & science krems zu seiner Ausstellung befragt, gleich klar: „Ich denke nicht, dass Queerness das ‚Thema‘ dieser Ausstellung ist. Queerness ist kein ‚Thema‘, Queerness ist eine Tatsache.“
So, wie die Voguing-Bewegungen der Community-Mitglieder mit den Vogelgesängen ineinandergreifen, wird es nachvollziehbar, wenn der Künstler sagt: „Ich mache eine Geste gegenüber einer anderen Spezies. Die Vögel erzählen einander etwas und treten in einen Wettstreit“ – ähnlich wie beim Voguing, wo man einander beim Tanzen anfeuert.
Während dieser Teil der Schau Queerness feiert, steht am anderen Ende – in der Apsis des Chors – die Homophobie und wird lächerlich gemacht. Und zwar in Gestalt des Papageis Rudy. Sein Gefieder besteht aus Pailletten und Glitzerpapierstreifen. Er quäkt, alarmiert durch einen Bewegungsmelder, Sätze – Banales ebenso wie veritabel Abwertendes. Wobei dies bisweilen so übertrieben wird, dass es einen Karikatur-Effekt hat. „Ich denke, Homosexualität sollte nicht erlaubt sein, denn viele von ihnen ziehen sich besser an als ich“, schreit Rudy etwa.
Konservatives Klima
Očko, der 1977 geboren wurde und in Zagreb aufwuchs, performt heute selbst als Drag Queen. An die 1990er-Jahre in der kroatischen Hauptstadt, damals unter dem Regime von Franjo Tudjman, erinnert er sich so: „Damals hatten Schwule keinerlei öffentliche Präsenz, etwa im TV. Wenn dort über Homosexualität gesprochen wurde, ging es nur um AIDS.“ Das hat sich längst geändert: „Es ist schön zu sehen, wie sich die Situation jetzt entwickelt hat.“
Als er seinerzeit an der Kunstakademie in Zagreb studierte, war das Klima konservativ. „Man dachte dort nicht in den Begriffen der zeitgenössischen Kunst“, erinnert er sich. „Ich lernte viel durch Selbststudium. So ertrank ich nicht in diesem System.“
Durch seine Arbeiten, so sagt er, zieht sich als roter Faden der Film – ein Medium, in dem alles enthalten sein kann. In seinem 2010 entstandenen Film „The Moon Shall Never Take my Voice“ ließ er eine taube Frau Lieder interpretieren, die in Gebärdensprache übersetzt worden waren. In anderen Arbeiten von Očko stellt ein Parkinsonkranker Schreibversuche an, und trägt ein pantomimeartig geschminkter Mann Fragmente eines Textes von Bertolt Brecht vor: Auch die Sprache und ihre Übersetzungsprozesse beschäftigen den Künstler. Ebenso bezieht Očko, so erzählte er einmal, seine Inspiration von „Komponisten und Dichtern. Ligeti. Lachenmann, Nono, Eliot, Ginsberg und Hughes.“ Im Gespräch über seine neueste Arbeit in Krems erwähnt er Olivier Messiaens „Vogelkatalog“ und die Onomatopoesie als weitere Quellen.
Internationale Karriere
Bereits 2012/13 war Očko in Krems bei AIR – Artist in Residence Niederösterreich zu Gast. Zu dieser Zeit startete er auch international durch: mit einer Ausstellung im Palais de Tokyo in Paris, einem international bedeutenden Ort für zeitgenössische Kunst sowie der dortigen Galerie Yvon Lambert. Danach lud man ihn ein, den kroatischen Beitrag der Biennale Venedig 2015 zu gestalten. Auf die Strahlkraft dieser internationalen Großausstellung angesprochen, verweist er auf seine schon zuvor angetretene Laufbahn und erzählt: „Nach Venedig war ich ziemlich fertig und musste eine Pause nehmen.“ Zu weiteren Stationen zählten das Pariser Jeu de Paume, die Halle für Kunst und Medien in Graz, die Kunsthalle Düsseldorf sowie Gruppenausstellungen bei der OFF Biennale Budapest, in der Louis Vuitton Foundation und dem Württembergischen Kunstverein Stuttgart.
In der Dominikanerkirche fand Očko eine für seine Verhältnisse farbenfrohe und heitere Formsprache; die Schau ist getragen von einer gewissen Heiterkeit, einem positiven spirit. „Wenn du eine Person siehst, die ihren Körper genießt, ist das eine Ermächtigung“, sagt er. Ausstellungskurator Andreas Hoffer hofft, mit der Ausstellung für „Lebensrealitäten abseits der Heteronormativität“ zu sensibilisieren und „einen Beitrag zur Akzeptanz einer bunten, vielfältigen Gesellschaft“ zu leisten. Angesichts der lauten Stimmen vom rechten Rand, die gegen Queerness hetzen, kann man sich nur wünschen, dass dies gelingt.
Nina Schedlmayer