Der Soziologe Franz Kolland leitet das Kompetenzzentrum für Gerontologie und Gesundheitsforschung der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften seit September 2019. Da wurde er an der Universität Wien gerade in den Ruhestand versetzt. Kolland wollte berufstätig bleiben und ist es jedenfalls bis September 2027: „Ich baue mit 70 ein Forschungsteam auf.“ Noch ist das ungewöhnlich.
Jede und jeder von uns hat den Wunsch, gesund alt zu werden. „Fit in die Kiste fallen“, ist die Lieblingsvision der Österreicherinnen und Österreicher über das eigene Ableben. Themen wie Demenz, Depression, körperliche Einschränkungen wird nicht ins Auge gesehen, und das verstellt den Blick auf Lösungen. Wenn Kolland seine Studierenden fragt, ob sie darüber mit ihren Eltern und Großeltern reden, erntet er Schweigen und entsetzte Blicke. Dabei läge der Schlüssel zur Verbesserung darin, jetzt gesellschaftlich zu verhandeln, persönlich vorzusorgen und sich mit der Vision eines guten Alterns zu beschäftigen.
Neben den Tabus ist unser Bild von alten Menschen das gravierendste Problem. Während es verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen heute gut gelingt, ihre Vielfältigkeit und Differenziertheit zu vermitteln, werden alte Menschen gerne über einen Kamm geschoren: „Das Alter ist so vielfältig, wie die Jugend. Wir machen mit jedem Tag unseres Lebens potenziell neue Erfahrungen, die uns formen.“
Die Einführung der Pension war Ende des 19. Jahrhunderts ein sozialer Fortschritt, „aber als Automatismus ist sie ein Problem: Von einem Tag auf den anderen kommt der Ruhestand. Eine neue Lebensphase wird anhand der Lebensjahre vordefiniert, Menschen als alt eingestuft, als einförmig und defizitär angesehen und letztlich als soziale Gruppe in die Unsichtbarkeit gedrängt.“ Noch leistungsfähigen Menschen, die erwerbstätig sein wollen, wird das nicht gewährt. Nicht alle kommen mit dem harten Schnitt gut zurecht. Es wird aber immer Menschen geben, die im Berufsleben körperlich so gefordert und geistig so unterfordert waren, dass sie jedenfalls in den Ruhestand gehen können sollen.
Vision und Voraussetzung
„Meine Vision ist, dass wir in 20 Jahren das aktive Altern und das Ausschöpfen des Potenzials, von dem seit 20 Jahren gesprochen wird, auch umsetzen. Der demografische Wandel und der Bedarf am Arbeitsmarkt sprechen dafür. Die Pension als Automatismus müsste aufgehoben werden. Der abrupte Übergang ist nicht förderlich für die Langlebigkeit, vertrauensvolle soziale Beziehungen hingegen schon“. Franz Kolland sieht ein Umwerben und Anwerben von pensionsreifen Menschen kommen und dadurch letztlich eine kulturelle Bereicherung in Alltag und Arbeitswelt. Forschung mit Hundertjährigen zeigt uns, dass es beim Altern auf Optimismus und eine Zukunftsvorstellung ankommt. Sie sind nicht gesünder, aber haben eine andere Resilienz und einen gestaltenden optimistischen Umgang zur Welt.
Wissen erschöpft sich im Gegensatz zu Erfahrung. Gelerntes hat heute eine Halbwertszeit von zehn Jahren. Aber Weiterbildung und lebenslanges Lernen enden meist zehn Jahre vor der Pensionierung. Auch das wird sich ändern, „wenn Menschen über 65 Jahre hinaus beschäftigt und qualifiziert werden“. Erfahrung erschöpft sich nicht so rasch wie Wissen. In einer langlebigen Gesellschaft dürfen das Lernen und Angeschlossen-Bleiben nicht aufhören. Für den Beruf, aber auch um wichtige Entscheidungen für die eigene Zukunft treffen zu können angesichts rasanter Entwicklungen. Etwa wie man wohnen möchte (z.B. lieber Pflegeheim, betreutes Wohnen, Wohngemeinschaft oder barrierefreier Umbau) oder behandelt werden möchte (z.B. Telemedizin, personenzentrierte Medizin anhand gesammelter Daten), „sonst haben wir immer eine Frontstellung mit ‘den Alten‘, die beharren und nichts verstehen.“ Während Österreich auf angeworbene Pflegekräfte setzt, sind in asiatischen Gesellschaften Robotik und Digitalisierung im Einsatz. Eine auf den Einzelnen zugeschnittene Medikation wird in 20 Jahren vorangeschritten sein, wenn wir uns auf die Erhebung von Daten einlassen. Heute gibt es wegen der uniformen Wahrnehmung auch nur holzschnittartige Lösungen.
Einfach zum Alter stehen
Wird 70 das neue 50? Diese Verkürzung führt für den Alternsforscher zu falschen Bildern: „So entsteht der Eindruck, es könnte für alle gleich gut funktionieren. In dem Satz steckt wieder eine Abwertung des Alters, denn dann will ja wieder keiner 70 sein.“ Die Anti-Aging-Welle 2000 hat ihre Spuren hinterlassen. Schönheits-OP und Botox findet Kolland ebenfalls ambivalent. Die Zuwendung zum eigenen Körper ist toll, aber wer den Standard von Haltung und Aussehen nicht erfüllt, hat wieder ein Problem.
Kolland erwartet sich für die Zukunft, „dass wir zu unserem Alter stehen und uns gerne lange wie 50 fühlen. Es gibt bei rund 115 Jahren Lebenszeit ein Limit bei unserer genetischen Ausstattung, auch wenn an der permanenten Zellerneuerung mit Modellorganismen fieberhaft geforscht wird. Mir geht es um das gute Leben jetzt und wie wir mit der sozialwissenschaftlichen Altersforschung Lebensbedingungen schaffen, die ein gutes Leben im Alter ermöglichen“.
Astrid Kuffner