Nachhaltige Karrieren in der Langzeitpflege fördern

Im transdisziplinären Projekt LINK untersuchen Manfred Pferzinger und Kolleg*innen aus den Fachbereichen Gesundheitsmanagement und Pflegewissenschaft an der IMC Fachhochschule Krems, was nachhaltige Karrieren in der Langzeitpflege ermöglicht.
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Die COVID-19 Krise hat die Pflege – ob akut im Spital oder in der stationären Pflege – zum Nachrichtenthema gemacht und so bestehende Probleme in Österreich stärker sichtbar gemacht. Am Horizont ziehen dunkelgraue Wolken namens Burn-out, Fachkräftemangel und Pensionierungswelle auf. Manfred Pferzinger, Leiter des Instituts für Gesundheitsmanagement, dringt gemeinsam mit Kolleg*innen der IMC Fachhochschule Krems ins vermeintliche Herz der Finsternis vor: die Langzeitpflege, oder wie er es nennt „den Brennpunkt der Brennpunkte“. Aber auch dort glühen Sonnenstrahlen, wie etwa eine starke Motivation für den Beruf. In den Befragungen für das Projekt LINK (kurz für Langzeitpflege: Implikationen für nachhaltige Karrieren) kam heraus, dass der Wunsch, sich längerfristig mit pflegebedürftigen Menschen zu beschäftigen, sie kennenzulernen, Beziehungen aufzubauen und passend auf ihre Bedürfnisse einzugehen, ein solider Antrieb ist.

Design Thinking für Lösungen aus der Praxis

Pflege und Karriere sind zwei Begriffe, die kaum je gemeinsam in einem Satz vorkommen. Das Projekt LINK, das aus dem Projektfonds Arbeit 4.0 der AK Niederösterreich gefördert wird, nimmt nachhaltige Karrieren in der Langzeitpflege in den Fokus.  Aus der Praxis und für die Praxis sollen Dreh- und Angelpunkte für langfristig zufriedene, gesunde und produktive Mitarbeiter*innen in Pflegeeinrichtungen identifiziert, erdacht und getestet werden. Am Anfang stand der Problemaufriss (Phase 1) Anfang 2022, als Corona nicht mehr unbekannt war, aber als permanente Überlastung seine Krallen zeigte. Das interdisziplinäre Forschungsteam aus Gesundheitsmanagement und Pflegewissenschaften führte 25 qualitative Interviews mit Pflegepersonen, um zu sehen, wo der Schuh drückt. „Alles, was nicht rund läuft, spitzt sich in diesem Bereich zu. Das Schlagwort #pflexit machte die Runde, und reagiert wurde mit Einmalzahlungen. Bei unserer Befragung ist klar herausgekommen, dass die Vergütung zwar besser sein könnte, aber der Faktor Zeit ein viel wesentlicherer Knackpunkt ist“, so Pferzinger. Knapp 90 Prozent der Pflegekräfte in der Langzeitpflege sind in Österreich Frauen. Die verfügbare Zeit für die Pflege und Betreuung ist zu gering bemessen. Gleichzeitig werden für Pflegekräfte die Arbeitszeiten und daher auch das Privatleben immer schlechter planbar. Der Personalmangel führt zu permanenter Bereitschaft und zum Einsatz als Springer*in.

Prototypen & Personas

In Phase 2 wurden in acht Workshops mit rund 50 Personen aus Wien, Niederösterreich, Tirol und der Steiermark konkrete prototypische Lösungen entwickelt: von der Rekrutierung neuer Pflegekräfte über die Vermeidung von Karriereschocks, die den Ausstieg triggern können, bis zur positiv gestalteten Angehörigenarbeit. Gearbeitet wurde analog zu Design Thinking Prozessen mit Tools wie etwa Personas. Das sind anschauliche Personifizierungen von Vertreter*innen der Zielgruppe mit typischen Erwartungen, Werten, Wünschen und Zielen. Eine davon ist „Schwester Hannelore“, die sich gerne noch mehr Zeit für Patient*innen nehmen würde und die Kunst der Beziehungsarbeit gut beherrscht. Gleichzeitig hat sie ein schlechtes Gewissen, dass die Kolleg*innen „die ganze Arbeit machen“, also die Pflege-Basics – Stichwort sauber, satt und sicher.

Die quantitative Erhebung mit Fragebögen (Phase3) wird gerade ausgewertet, sie liefert Resultate für alle Bundesländer. Manfred Pferzinger gibt ask – art & science krems einen Sneak Peak. Die hohe Anzahl auswertbarer Fragebögen (n= 949) hat die Forschenden an der IMC FH Krems selbst überrascht. Das Pflegepersonal ist zwar belastet, setzt sich aber noch für eine Verbesserung der Situation ein. Abgefragt wurden beispielsweise Parameter zu Zufriedenheit, Produktivität und Gesundheit und ob man den Beruf noch einmal wählen würde (über 50% würden das tun). Zudem welche Lösungs-Prototypen aus Phase 2 bereits umgesetzt werden und ob sich dadurch Effekte zeigen. „Wir sehen, dass es wichtig ist, auch Beziehungsarbeit als Arbeit sichtbar zu machen und das Image der Langzeitpflege an die Realität anzupassen. Es ist ein abwechslungsreicher und interessanter Beruf, der erfahrene Superheroes verlangt. Diese spielen ihre breite Expertise im hoch komplexen Feld aus. Langzeitpflege als Windeln wechseln ohne Entwicklungsperspektive zu betrachten, ist ein verbreitetes Vorurteil und falsch“, fasst er zusammen.

Der Personalschlüssel muss sicher angepasst werden, da die betreuten Personen heute vielfach in einer höheren Pflegestufe, multimorbid und/oder dement sind, was mehr Aufwand bedeutet. Die Wahrnehmung, dass es früher mehr Zeit für die Bewohner*innen gab, ist auch darauf zurückzuführen. Das veränderte Szenario beeinflusst den pflegerischen Alltag stark. Die Klient*innen-Dokumentation ist aktuell ein echter Stressfaktor, und bei der Nostrifikation werden gut ausgebildete Leute zu oft dequalifiziert. „Es wird viel über negative Entwicklungen geredet, aber in vielen Bereichen gibt es eine hohe Zufriedenheit. Vermutlich kann mit wenigen Stellschrauben, gerade bei den Ressourcen, viel erreicht werden“, zeigt sich Manfred Pferzinger zuversichtlich. Er freut sich zudem, dass Erkenntnisse aus allen drei Phasen bei verschiedenen nationalen und internationalen Kongressen, wie etwa der EURAM – European Academy of Management, bereits mehrfach auf großes Interesse stießen.

Auf dem Bild sind Projektmitglieder Dr. Alexander Braun, MSc, MA ; Prof.(FH) Priv. Doz. Mag. Dr. Markus Latzke ; Prof.(FH) Mag.(FH) Dr. Manfred Pferzinger und Prof.(FH) Mag. Adelheid Schönthaler, BSc der IMC Fachhochschule Krems zu sehen.

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Manfred Pferzinger ist stv. Akademischer Leiter des IMC FH Krems, Institutsleiter für Gesundheitsmanagement, Studiengangsleiter des Masterstudiengangs Management von Gesundheitsunternehmen, assoziierter Universitätsforscher an der UMIT Tirol und Member of the Scientific Advisory Committee der European Health Management Association (EHMA).

Fotos : ©IMC Krems
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