Irgendwann tauchte der Begriff an allen möglichen Stellen auf: „immersiv“. Immersiv waren Installationen auf der Biennale Venedig, Displays in Museen – und jene obskuren Ausstellungen, in denen mit wahnwitzigem technischen Aufwand Gemälde von Monet/Michelangelo/Leonardo oder sonst einem männlichen Superstar in Nachbildungen seines entsprechenden Umfelds projiziert werden. Thomas Wagensommerer kann über den aktuellen Hype des angeblich Immersiven nur schmunzeln. Immersion, sagt er bei einem Treffen mit ask – art & science krems, bestehe nicht darin, in etwas einzutauchen und sich darin zu verlieren. Man müsse schon einen Gegendruck spüren, etwas, das zurückkommt.
Barock meets KI
Die Arbeiten des 1987 geborenen Künstlers bewegen sich im digitalen Universum – und ziehen seine Betrachter*innen schon hinein, wenn sie sich diese nur auf einem kleinen Computerbildschirm ansehen. Seine Kunst war schon immer immersiv, wovon man sich auf der Videoplattform Vimeo überzeugen kann: Großzügig stellt Thomas Wagensommerer seine Arbeiten der Allgemeinheit zur Ansicht zur Verfügung. Für das museumkrems entwickelte er nun eine neue Installation. Als Basis diente ihm dafür das Depot des Hauses mitsamt seinen Schätzen – darunter ein Konvolut an Grafiken von Martin Johann Schmidt, dem großen Sohn der Stadt Krems. Ihn interessierte daran, dass diese eine Vorstufe für etwas Größeres, beispielsweise ein Altarbild, sind. In seinen Videoloops kreuzt er die Barockkunst des Kremser Schmidt mit Künstlicher Intelligenz (KI): Auf zwei hochformatigen Screens laufen Grafiken, die jenen des Kremser Schmidts ähneln. Sie veranschaulichen die Prozesse, mit denen Maschinen lernen: Thomas Wagensommerer bringt dem Computer bei, Eigenschaften des Kremser Schmidt aus dessen Werken zu extrahieren. Es sind nicht die Ergebnisse, die eine KI liefert, sondern die Vorstufe dazu – genauso wie die Grafiken selbst einem Gemälde vorangehen.
Viel Kitsch
Erstaunlich ist, was sich da entwickelt. Wenn sich die lernenden Bilder aneinanderreihen, dann ähnelt jedes dem Vorhergehenden, mit kleinen Änderungen. Und es kann passieren, dass sich eine vielfigurige Komposition in den nächsten Bildern zu einem Porträt entwickelt. Den Prozess dabei vergleicht Thomas Wagensommerer mit einem „Rauschen, das sich immer mehr in einen eigenständigen Bildinhalt verwandelt.“ Er vergleicht es mit luzidem Träumen. Die beiden Screens zeigt er auf einer Wand, verkleidet mit spiegelnder, irisierender Folie. Auf der anderen Seite lädt er das Publikum ein, durch eine künstlerisch animierte Version des Depots zu wandern; mit Hilfe einer Webcam landet man selbst als Figur darin.
Wie das Depot die Grundlage des Museums ist, so sind die Daten die Grundlagen der Künstlichen Intelligenz. In jüngster Zeit erreichte die Debatte um Künstliche Intelligenzen wie ChatGPT ein großes Publikum. Wobei: Ganz neu ist es nicht, dass Maschinen Texte verfassen und Bilder entwerfen. Wagensommerer: „Es gab schon einen Hype um 2016, mit interessanten Outputs, doch ästhetisch war da viel Kitsch dabei.“ Zudem stelle sich die Frage: „Welche Daten stehen der KI zur Verfügung? Wer ist Gatekeeper?“ Der Kremser Schmidt existiere in ChatGPT schlichtweg gar nicht.
Die Kunst von Thomas Wagensommerer erschöpft sich keinesfalls darin, auf einer ästhetischen Ebene zu überzeugen. Stets geht es ihm auch um gesellschaftlich relevante Themen. 2020 dehnte er für eine Echtzeitapplikation das Wort „now“ aus einem Song Celine Dions auf ein Jahr aus. „Wie eine Perlenkette, wo immer neue Perlen auftauchen, wenn man sie ausdehnt“, so veranschaulicht er den Prozess. Was hört man dann? „Mikroschwingungen, die im Sound enthalten sind.“ Doch dahinter steckt auch eine Auseinandersetzung mit der berühmten Prophezeiung des Club of Rome, dass die „Grenzen des Wachstums“ spätestens 2044 erschöpft sind. Wie weit können wir sie noch ausdehnen?
Genregrenzen überschreiten
Wagensommerer, der nach einem vollendeten FH- und einem abgebrochenen Philosophiestudium schließlich an der Universität für Angewandte Kunst gelandet war, navigiert souverän durch verschiedene Kunstsparten. Er war schon bei Events wie Wien Modern und dem Donaufestival, im Wiener Konzerthaus, aber auch in Galerien und Museen zu Gast. Wie geht er mit diesem Switchen zwischen den Sparten um? „Für mich ist nicht die Frage wichtig, wo ich etwas mache, sondern mit welchen Leuten.“ Er arbeite nur noch mit Leuten, die er möge.
Diese Einstellung beobachtet er auch bei jüngeren Künstler*innen: Er lehrt sowohl an der Universität für Angewandte Kunst als auch an der FH St. Pölten im Lehrgang für experimentelle Medien an der FH. „Die Studierenden sehen diesen Unterschied zwischen einzelnen Sparten nicht mehr“, beobachtet er. „Es gehört dazu, dass man sich ausprobiert.“ Das lustvolle Verschieben von Grenzen, das können sie bei Thomas Wagensommerer jedenfalls auf mehreren Ebenen lernen.
Nina Schedlmayer