Wo, bitte, ist man hier gelandet? Rauchschwaden steigen auf wie in einem Dampfbad, der Lärm von Hämmern bohrt sich in die Gehörgänge – und allein vom Blick in diesen riesigen Raum voller Feuer wird einem heiß.
Geschwindigkeit des Materials
Es ist ein Schmiedewerk im Baskenland, das der Filmemacher Laurence Boulting in seinem Porträt über den baskischen Bildhauer Eduardo Chillida besuchte. An diesem spektakulären Schauplatz werden glühende Metalltrümmer aus einem Hochofen gehievt, gepresst, sodann mit Hilfe schwerer Ketten verbogen – um dann als feurige U-Haken durch die monumentale Halle zu gleiten, aufgehängt an einer von der Decke schwebenden Vorrichtung. „Das Feuer ist sehr wichtig, denn es hilft, die Geschwindigkeit des Materials zu verändern“, sagt jener Mann, der aus den Eisenteilen Kunst macht und in dieser Szene Anweisungen gibt. „Im Feuer akzeptiert das Eisen Bewegung.“
In den Skulpturen Chillidas aus Stahl, Ton und Eisen greifen hakenförmige Elemente ineinander, reiben sich grobe Massen aneinander und stapeln sich zu komplexen Gebilden. Die Kunsthalle Krems zeigt in der Schau „Eduardo Chillida. Gravitation“ nun kleinere Skulpturen aus Stein, Alabaster, Schamotte-Ton, Gips Stahl und Eisen ebenso wie filigrane Reliefs aus Papier, Radierungen und Tuschemalereien: Es sind insgesamt rund 80 Arbeiten, mit denen das Haus die erste monografische museale Ausstellung des Meisters in Österreich zeigt.
„Das Offensichtliche verworfen“
Geboren 1924 in San Sebastián, gehört Chillida zu den wichtigsten Bildhauer*innen seiner Zeit – und gilt gemeinhin als abstrakter Künstler. Was er selbst allerdings in Abrede stellte: Kein abstrakter, sondern ein „realistischer Bildhauer“ sei er, sagt er in dem Film. Nur habe er „das Offensichtliche, die Erscheinung verworfen.“ Man bekommt eine Ahnung davon, was er damit meint, wenn man seine massive dreiteilige Installation „Peine del Viento“ betrachtet. In die Felsen der spektakulären Bucht von San Sebastián bohrte er monumentale stählerne Gebilde aus Haken – riesige gekrümmte Finger, die das Wetter und die Gischt des Meeres einfangen.
In den 1940er-Jahren verließ Chillida seine Heimat, die von der Metallindustrie geprägt war, zunächst für das Studium der Architektur, dann der Kunst in Madrid. Der Schriftsteller Octavio Paz schreibt über ihn 1979: „Der Raum ist nicht denkbar, sondern berührbar, doch so wie wir ihn berühren, verflüchtigt er sich. Es ist dies eine allgemeine und tägliche Erfahrung. Bei Chillida ist es nicht anders; aus dem Eisen, dieser so harten und hartnäckigen Materie, wurde plötzlich Leere: innerer Raum. Die Rückkehr in die Heimat, zum Eisen und zu sich selbst, war die Rückkehr zum Unbekannten.“ Das Unbekannte spielte in der Kunst des 2002 Verstorbenen stets eine wichtige Rolle. Zeit seines Lebens suchte er danach. So erklärte er einmal: „Ich arbeite, um Wissen zu erlangen; ich schätze das Erfahren mehr als das Wissen. Ich glaube, dass ich mich in dem versuchen muss, von dem ich keine Ahnung habe. Danach streben, das zu visualisieren, was ich nicht sehe, getrieben von dem Wunsch, das zu erkennen, was ich nicht erkennen kann.“
Die Kunst im Stickeralbum
Auch zu seinem ganz frühen Ich kehrte Eduardo Chillida zurück, mit einer zwar nicht raumgreifenden, aber umso bemerkenswerteren Arbeit, die ebenfalls in der Ausstellung der Kunsthalle Krems gezeigt wird. Es ist eine geballte Faust, präzise und sparsam aus wenigen Linien aufgebaut, die aber so massiv wirkt wie eine von Chillidas Skulpturen – darüber schwebt ein Kreisausschnitt, bestehend aus den vielfach handgeschriebenen Buchstaben „Bilbao 82“: Anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft in Spanien 1982 entwarfen 14 (tatsächlich ausschließlich männliche) Künstler Grafiken, die je einem Austragungsort gewidmet waren. Florian Steininger, Direktor der Kunsthalle Krems und Kurator der Ausstellung, erinnert sich im Katalog daran, wie er dem Werk von Eduardo Chillida bereits damals, als Schüler begegnete – in „Form eines ‚Pickerls‘ (Sticker), das ich in mein Fußballalbum einklebte“. Dieses basierte auf einer Zeichnung des Spaniers. Die „geöffnete oder geschlossene Hand ist skulpturales Modell, hilft, Ideen im Raum zu entwickeln“, so der Kunsthistoriker über dieses Motiv in Chillidas Oeuvre allgemein.
Dass der Künstler für die Fußball-WM beauftragt wurde, verweist außerdem auf eine frühe, aber abgebrochene Karriere: Als junger Mann stand er für Real Sociedad San Sebastián im Tor – eine Beinverletzung verhinderte jedoch ein Leben als Fußballprofi. Ob diese Abzweigung am Weg Chillidas für den Sport ein Verlust war, lässt sich schwer sagen; für die Kunst jedenfalls ist sie bis heute ein Segen.
Nina Schedlmayer