Stefan Hopmann hat aktuell zwei Gastprofessuren in Skandinavien inne, das vielen als „Bildungswonderland“ gilt. Aber nicht in jedem Bereich: „Berufliche Bildung ist in Österreich besser organisiert“, meint Hopmann. Überhaupt hält er das ewige Vergleichen und Nachmachen für wenig zielführend: „Bildungssysteme sind historische Produkte und seine Geschichte kann man sich weder aussuchen noch austauschen“, betont Hopmann. Die Qualität des öffentlichen Bildungssystems ist im Durchschnitt relativ gut, die Bildungsausgaben gehören zu den höchsten weltweit, aber das Bildungsniveau wird zumeist vererbt. Wo hakt es?
„Österreich hat jenen Strukturwandel nicht mitgemacht, den die meisten Länder absolviert haben. Es läuft strukturell wie im 19. Jahrhundert. Das Geld fließt in teuer bezahlte Lehrkräfte und hie und da eine Sekretärin. Ich nenne das eine sinnlos teure Produktion von Pausenaufsichten“, so Stefan Hopmann. Hier liegt das Verhältnis von Hilfskräften zu Lehrkräften bei etwa 1:20, in Skandinavien bei 1:4. Mit entsprechender Ausstattung an Assistenz lässt sich im System Schule, je nach Bedarf, eine höhere Nettostundenmenge mit weniger Geld umsetzen. Doch die Beharrungskräfte sind stark, wie der Professor in der Arbeitsgruppe „Lehrerbildung neu“ feststellen durfte. Karrieremodule und Beschäftigungsdifferenzierung werden von den Interessensvertretungen abgelehnt, ebenso wie die Personalhoheit am jeweiligen Schulstandort: „Unterricht erfolgt seit Jahr und Tag nach dem Muster: eine Lehrkraft, eine Klasse, ein Fach und Klappe zu.“ Dabei ist klar, dass in allen Gegenständen verschiedene Themen unterschiedlich viel Aufwand brauchen. Manches lässt sich in Kleingruppen besser aufarbeiten. Keines seiner Argumente möchte Stefan Hopmann übrigens als Vorwurf an individuelle Lehrkräfte verstanden wissen. Das System muss verändert werden, um alle auf den Bildungspfad mitzunehmen.
Es geht nicht darum, die Fächer aufzulösen, sondern dynamische Teams einzusetzen, mit koordinierter Zusammenarbeit, flexibler Arbeit mit verschiedenen Gruppenstärken und Team-Zusammensetzungen, über deren Einsatz eigenverantwortlich am Schulstandort entschieden wird – wie es eben in Norwegen der Fall ist. Das bedeutet natürlich, dass im Unterricht auch andere Kolleg*innen dabei sind und einem in die Karten schauen. Bei uns gibt es kein reflecting team, das Strategien anpasst und Lösungen strickt, jede*r kämpft allein. Er bräuchte ein Dienst- und Direktionsrecht, dass es erlaubt Lehrkräfte klug in den jeweiligen Klassen einzusetzen. Das würde mehr Chancen und bessere Leistungen produzieren sowie die Nachteile fehlender außerschulischer Ressourcen aufheben.
Zuwanderung und Migrationshintergrund lässt Stefan Hopmann als Ausrede nicht gelten. Andere Einwanderungsländer lösen das besser. Das zentrale Problem sieht der Bildungswissenschaftler in Österreich vielmehr hier: „In der Schule wird nicht gelernt, was es für die Schule braucht. Das Pensum ist im Vergleich dreimal so hoch wie woanders und die Mitarbeit des umgebenden sozialen Systems wird vorausgesetzt.“ Es ist aber ein Missverständnis, dass Schule zur Wissensvermittlung da ist. Bildung bedeutet nicht, Inhalte abzuhaken und immer noch mehr Wissen in Kinderköpfe zu packen. „Der Zweck von Schule“, betont Stefan Hopmann, „ist Lernen lernen“. Die Grundidee ist, sich mit anderen sachgerecht über die Welt zu verständigen und dafür grundlegende Methoden z.B. mathematisch, sprachlich oder ästhetisch zu erlernen. Unser Rahmenlehrplan seit 1850 führt dafür Regeln und Themen an, und die Lehrkraft sollte eigentlich herausfinden, was für diese Klasse an diesem Ort zu der Zeit das Richtige ist. „Patscherte“ Reformen führten zuletzt zu 4000 vorgegebenen Kompetenzzielen. Man hört förmlich den Stoßseufzer aus der Brust von Schüler*innen: Es geht nicht um die Einzelheiten. Das Wissen von heute und morgen gleicht sich nicht.
Die PISA-Tests, die Bildungsreformer*innen aufrüttelten, kommen hingegen aus Ländern, die Schulen über Ergebnisse steuern und an Schwellen testen. Als Historiker fragt sich Stefan Hopmann, warum man so lange an der unpassenden Strategie festhält. Eine Erklärung findet er in den wirtschaftlichen Interessen einer Bildungsindustrie im Hintergrund, flankiert von einer Bildungspolitikerklasse, die ständig das Gleichheitsversprechen mit den Worten „das kommt bald“ erneuert, und uninspirierter Bildungswissenschaft. Sich mit anderen sachgerecht über die Welt zu verständigen, war historisch die Stärke des Österreichischen Schulsystems und bleibt im Zeitalter explodierendem Wissen, Chatbots und Fake News sehr wichtig.
Astrid Kuffner