ask – art & science krems: Kilian Jörg, Anna Lerchbaumer, wir führen dieses Gespräch für die Rubrik „Vision“. Was ist die Vision des Toxic Temple?
Anna Lerchbaumer: Ein Grundgedanke des Toxic Temple ist, dass unser Material die Menschheit überdauern wird: Plastik, Elektroschrott und Stahlbeton etwa, besonders der Atommüll. Daher wollen wir diesen Materialitäten neuen Raum geben und ihnen huldigen.
Kilian Jörg: Das Weltenende, in das wir unweigerlich steuern, wollen wir pluralistischer denken: Das Leben auf der Erde wird weitergehen, unabhängig davon, ob Menschen Teil davon sind. Uns interessieren beispielsweise Lebewesen, die Plastik verdauen können. Wie können wir Verschmutzung kreativ – und vielleicht sogar als Ermöglichung für Neuerung – denken?
Anna Lerchbaumer: Wir richten unseren Fokus auf die Zeitlichkeit: darauf, wie ein organischer Körper verwest und Plastik fast ewig in unseren Atmos-, Stratos-, und Biosphären vorhanden bleibt. Wie können wir mit der Zukunft kommunizieren, wie können wir vermitteln, wo Atommüll gelagert wird, wenn unsere Sprache weniger lang existiert als der Müll selbst?
Kilian Jörg: Dies ist die Grundfrage der sogenannten Atomsemiotik, die uns sehr inspiriert.
ask – art & science krems: Interessieren euch auch neu entstehende Lebewesen?
Kilian Jörg: Es geht darum, agency – also Handlungsfähigkeit – nicht nur rein menschlich zu denken, also dass ein Mensch, der meist männlich gedacht war, über eine passive Erde bestimmt. Der Anthropozän-Diskurs zeigt, dass die Erde selbst handelt, und zwar in eine ziemlich katastrophale Richtung. Die Wissenschaft ist jedoch in ihren Kommunikations- und Vermittlungsweisen begrenzt. So wird der IPCC Report (Intergovernmental Panel on Climate Change Report, Anm.) von Jahr zu Jahr apokalyptischer, aber es ist die Frage, wie er ankommt / verstanden wird: als abstrakte Botschaft oder als reale Bedrohung, die man sinnlich wahrnehmen kann und aufgrund der man seine Lebensweise ändert. Wir glauben, dass rein abstrakt dargestellte Zahlen nur den Kopf ansprechen, den Körper aber eher unberührt lassen – deswegen ändert sich so wenig an unserer Alltäglichkeit. Darum interessiert es uns, andere Formen der menschlichen Ritualisierung zu entwickeln. Strategien, die aus der Religion oder Spiritualität kommen, können Körper so ansprechen, dass man die Katastrophe fühlen kann – und dann vielleicht auf eine andere Weise, radikaler, auf sie reagieren kann.
ask – art & science krems: Toxic Temple strebt an, als Religion anerkannt zu werden. Hat eine Religion mehr Möglichkeiten?
Anna Lerchbaumer: Ich glaube schon. Man kann zum Beispiel ein bestimmtes Kleidungsstück am Passfoto tragen. Aber es ist auch eine Strategie, mehr Mitglieder für unseren Kult zu werben. Im Mainstream-Diskurs sind wir mittlerweile in der fast christlichen Idee gelandet, dass alles, was wir machen, eine Sünde ist, weil es zur Klimakatastrophe beiträgt. Das beginnt schon bei der Geburt. Alles, was uns umgibt, was wir genießen, was uns anzieht, hat eine schlechte Klimabilanz. Ich glaube, dass es einen Raum geben muss, wo man das nicht nur unterdrückt, sondern auch feiert. Wo nicht nur ein Schuldgefühl ausgelöst wird.
Kilian Jörg: Derzeit ist ökologisches Verhalten mit Tabus verbunden – man soll nicht fliegen und nicht SUV fahren, Bio kaufen et cetera. Das ist zwar alles absolut richtig, doch Tabuisierung ist nicht das beste Mittel, um gesellschaftlich etwas zu ändern.
Anna Lerchbaumer: Es gibt ein großes Bedürfnis nach Ritualen. Es reicht nicht, die alten abzuschaffen, man muss neue schaffen.
ask – art & science krems: Wieviel kann schon verraten werden über die Performance „Mess“ von Toxic Temple beim Donaufestival?
Anna Lerchbaumer: Wir werden, angefangen von täglichen Ritualen bis hin zu einer Prozession, ein volles Programm bieten, alles begleitet von viel Sound und Anbetung. Die Besucherinnen und Besucher sind eingeladen, Teil des Glaubens zu werden. Es gibt auch einen Beichtstuhl, in dem das Publikum für seine ökologischen Sünden Ablass erhalten kann.
Kilian Jörg: Auf unserer Website publizieren wir die einzelnen Programmpunkte. Wir werden auch Spuren im öffentlichen Raum hinterlassen. Weiters haben wir die zwölf Apostel dabei, die Avantgarde des Lebens: Das sind Würmer, die schon Plastik verdauen können. Eine unserer Priesterinnen, Sabrina Rosina, wird deren Kot essen und damit versuchen, sich ihre Darmflora anzueignen, sodass auch sie Plastik verdauen kann.
ask – art & science krems: In der Ankündigung zur „Mess“ heißt es: „Der Kult der Verschmutzung führt vom Gebetsraum im Forum Frohner ins Wasteland namens Krems und setzt transformative Kräfte in die Welt.“ Welche transformativen Kräfte sind das?
Kilian Jörg: CO2, Atommüll und Mikroplastik haben transformative Kräfte. Diese kann man auch geil finden. Wir finden einen Ort, an dem wir diesen Zerstörungstrieb kultivieren können. Einer unserer Säulenheiligen, der Philosoph Georges Bataille, sagte, dass das Christentum einen rituellen Raum für die Verschwendung und Zerstörung verloren hat. Frühere Gesellschaften hatten den Potlach, den Karneval oder die Orgien, bei denen die Verschwendung gesellschaftlich eingehegt zelebriert wurde. Die Azteken hatten Opferriten, bei denen hundert Leute für die Götter umgebracht wurden – es gab auch weniger gewaltvolle Versionen. In Indien gibt es Shiva und Kali, Gött*innen der Zerstörung, die genauso wichtig und anbetungswürdig sind, wie der Weltenerschaffer Brahma und der Weltenerhalter Vishnu. Bataille hatte die These, dass der protestantische Glaube alle Elemente des Verschwendungs- und Zerstörungskult tabuisiert hat und dass daraus der Effizienzgedanke des Kapitalismus entstand: dass also alles seinen Nutzen haben muss. Doch Energie muss laut ihm immer auch verschwendet und entäußert werden, sonst bricht sie als Katastrophe hervor. In seinem Essay „La part maudite“ („Der verfemte Teil“) erhob er 1949 in diesem Sinne die These, dass wir die Verschwendung wieder kultivieren müssen, da es ansonsten zu krassen Zerstörungsorgien kommt. Bataille bezog sich auf den Zweiten Weltkrieg. Wir münzen seine Ideen auf die ökologische Krise um. Anstelle eines neuen, grün gewaschenen Effizienzkapitalismus richten wir Orte der freudigen Verschwendung und Zerstörung ein, um uns mit ihnen und an ihnen vorbei für die kommenden Katastrophen anzupassen. Der Planet bewegt sich gerade mit dem sechsten Massenaussterben in eine krasse Zerstörungsorgie, wir versuchen diesem mit unserem Kult nachzuspüren.
Nina Schedlmayer