ask – art & science krems: Wir leben im Anthropozän, jenem geologischen Zeitalter, das durch die Menschheit geformt wurde. Daraus leitet sich eine Verantwortung für die Zukunft des Planeten ab, die wir aber nicht ausreichend wahrnehmen. Ängste vor dem Ende der Welt kennen wir aus der Geschichte. Schon das Alte Testament erzählte von der Sintflut. Nun sind diese Befürchtungen aber wissenschaftlich untermauert. Wie gehen Menschen aus Ihrer Beobachtung mit der Angst vor der Klimakatastrophe um?
Christina Hainzl: Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive beobachten wir eine Polarisierung. Es gibt Menschen, die das wegschieben und als unwahr abtun. Und solche, die uns unaufhaltbar auf eine Katastrophe zusteuern sehen. Diese Gemengelage führt zu einer Radikalisierung in der Gesellschaft – auf allen Ebenen. Die Positionen werden immer extremer.
Thomas Edlinger: In den 1980er-Jahren war es die Angst vor Atomkrieg und Saurem Regen, aber es gab auch Exit-Optionen. In die Klimakatastrophe sind wir alle schon länger verstrickt. Daraus entstehen Fatalismus und die Radikalisierung des Aktivismus. Die Widerstandsformen werden sich diversifizieren und noch mehr werden. Beim Donaufestival zeigen wir heuer eine Arbeit des Künstlers Oliver Ressler. Er war auf Spitzbergen im Arktischen Ozean, wo die Erwärmung global gesehen am höchsten und stark spürbar ist.
Hainzl: Der Klimawandel passiert vor dem Hintergrund geopolitischer Herausforderungen. Wir sind Teil eines Netzwerks, das die Rolle der Wissenschaft in diplomatischen Beziehungen stärken will. In der Arbeitsgruppe ‚Wissenschaftsdiplomatie mit autoritären Staaten‘ ist momentan die wichtige Arktisforschung betroffen, weil Teile der Arktis von Russland verwaltet werden.
ask – art & science krems: Thomas Edlinger, das Donaufestival reagiert auf die aktuellen Debatten mit dem diesjährigen Thema „Beyond human“. Wie kam es dazu?
Edlinger: Wir entwickeln unsere Fragestellungen mit einem Advisory Board. „Beyond Human“ erzeugte auf mehreren Ebenen Resonanz. Wir leben in einer Welt, die von Menschen und ihrer Zivilisation entscheidend geprägt wird und gleichzeitig Auswirkungen herstellt, die über das menschliche und planetare Maß hinausgehen. Es geht auch um unser Verhältnis zu nicht-menschlichen Lebensformen und Maschinen.
ask – art & science krems: Christina Hainzl, das von Ihnen geleitete Research Lab Democracy and Society in Transition beschäftigt sich mit Demokratieentwicklung und politischer Bildung, Gesundheit, Sozialem & Gesellschaft. Wofür genau steht der Begriff Transition?
Hainzl: Für den Übergang. Wir greifen seit 2018 aktuelle Entwicklungen auf. Im Austrian Democracy Lab erfragten wir z.B. das Vertrauen in die Demokratie mit der Frage „Die Demokratie funktioniert in Österreich alles in allem gut/eher gut, weniger gut/nicht so gut“. 2018 lag die Zustimmung insgesamt bei 74 Prozent. Binnen fünf Jahren ist sie auf 58 Prozent gesunken. Solche Ergebnisse müssen im Dialog mit der Gesellschaft weiter untersucht werden. Auch qualitativ.
ask – art & science krems: In der Debatte um das Anthropozän spielen auch die Künstlichen Intelligenzen (KI) eine Rolle. Helfen uns technische Lösungen, oder verdecken sie das Bewusstsein dafür, Teil der Natur und auf diese angewiesen zu sein?
Edlinger: Die Corona-Impfstoffentwicklung ist eine Erfolgsgeschichte der KI und der Wissenschaft. Wie bei allen technischen Entwicklungen kommt es darauf an, wie sie eingesetzt werden. Algorithmen können zu Überwachung und Militarisierung beitragen oder zu Stadtplanung und Krankheitsbekämpfung. Ohne den Letztstand technischer Entwicklung werden wir jedenfalls nicht zurande kommen.
Hainzl: Dem stimme ich zu. KIs zwingen uns mehr, darauf zu fokussieren, was den Menschen ausmacht. Wenn ein Computer etwas vorschlägt, dass mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit zum Erfolg führt, wird es schwer, diesen Vorschlag zu negieren. Aber Erfahrung, Intuition, Wahrnehmung und Gefühle haben auch ihren Wert und machen uns aus. Das kann eine gute Herausforderung sein.
ask – art & science krems: Der Spiegel fragte kürzlich zugespitzt: „Wird die KI den Künstler überflüssig machen, oder ist sie nur ein schlauer Pinsel?“ Thomas Edlinger, wie ist Ihr Blick darauf?
Edlinger: Was den Menschen ausmacht, wurde durch Fortschritt und Forschung noch schwieriger zu beantworten. Die Menschheit erlebt zwei narzisstische Kränkungen: durch schlaue Maschinen und nicht-menschliche Lebensformen. Der Philosoph Omri Boehm plädiert dafür, dass der Mensch nicht über Natur und Wesenhaftigkeit zu bestimmen ist, sondern über seine Verpflichtung zur Freiheit. Diese kann sich beispielsweise an Gerechtigkeit orientieren. Menschen reklamieren einen Sonderstatus für sich. Doch wir können uns nicht weiterhin als Krone der Schöpfung, die sich die Erde untertan macht, begreifen, sondern müssen einen anderen Weg einschlagen. Ein spannender Horizont für Menschlichkeit.
ask – art & science krems: Die Kränkung mag schon früher passiert sein. 1968 proklamierte Roland Barthes den „Tod des Autors“: Steht hinter der Befürchtung, eine KI könne Kunst „ersetzen“, die Angst vor einer Ablöse des Geniebegriffs?
Edlinger: Das denke ich schon. Die Kunst benötigt eine Gesellschaft, die Anerkennung herstellt. Was die narzisstische Kränkung betrifft, so belächelten viele Leute noch vor zehn Jahren die Geschmackssicherheit von Spotify-Listen und meinten, Vorschläge träfen ihren Musikgeschmack nicht. Jetzt erhalten sie welche, auf die sie nicht gekommen wären. Es mag sein, dass KI dumm in dem Sinn sind, dass sie kein Bewusstsein ausbilden. Aber sie erscheinen trotzdem klug, aus Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Nicht-Vergessen heraus.
ask – art & science krems: Der Begriff „Anthropozän“ kommt aus der Geologie, die verknüpften Fachdiskurse haben Naturwissenschaftler*innen geführt, Lösungen wollen Techniker*innen mitbestimmen. Wir haben Bürger*innenräte, aber Entscheidungen müssen Politiker*innen treffen. Wie sehen Sie die Kaskade der Verantwortung und die Verteilung der Verantwortlichkeit bei der Rettung der Welt, Frau Hainzl?
Hainzl: Wir sind in einer Umbruchsphase, in der Entscheidungen gefällt und Grundlagen vorbereitet werden. Die Wissenschaft ist aufgrund der komplexen Fragestellungen der Gegenwart stärker sichtbar und Teil der Entscheidungsfindung. Es gibt verschiedene Zuständigkeiten, braucht aber auch mehr Zusammenarbeit zwischen politischen Systemen, Wissenschaft, Gesellschaft und Stakeholdern wie Wirtschaft und Kunst. Durch die digitalen Medien ist der Raum, über Dinge zu sprechen, größer geworden. Eine neue Plattform für nachhaltige Entwicklung an der Universität für Weiterbildung fördert den Austausch zwischen verschiedenen Gruppen in Workshops und Diskussionen. Es gibt oft Missverständnisse darüber, wie politische Entscheidungen funktionieren. Die Wissenschaft bringt verschiedene Ergebnisse hervor, aber für welche Antwort soll sich die Politik entscheiden?
Edlinger: Ein großes Problem ist das Verhältnis von demokratischer Praxis und Wissenschaft. Die demokratischen Ordnungen werden in den vergangenen Jahren von autoritären Regimen abgelöst oder nehmen fragwürdige Entwicklungen. Ich sehe neben dem Vertrauen in die Wissenschaft auch eine große Ablehnung. Diese kann man demokratiepolitisch angehen. Die Klimakrise wirkt sich weltweit unterschiedlich aus: Wir sitzen nicht alle im gleichen Boot.
ask – art & science krems: Faktoren wie Geschlecht, Alter, Fähigkeiten, Netzwerke, Geografie und ökonomische Entwicklung bestimmen, wie eine Person oder Bevölkerungsgruppe mit der Klimakrise zurechtkommt. Wie versuchen Sie, Frau Hainzl, dem in Ihrer Forschung gerecht zu werden?
Hainzl: Die Nachhaltigkeits-Plattform beleuchtet Fragestellungen auch interdisziplinär: Neben einer Klimaforscherin sind Politikwissenschaftler und Geisteswissenschaftler*innen dabei. Wir wollen mehr Dialog aufbauen mit einzelnen gesellschaftlichen Gruppen. Mit Leuten aus dem Kunst- und Kulturbereich versuchen wir, einzelne Aspekte umzusetzen. Die Kunst kann ein guter Impulsgeber für Forschung sein und vermitteln. Da spricht man Menschen an, die man aus der Wissenschaft heraus nicht erreicht.
ask – art & science krems: Thomas Edlinger, wie sehen Sie die Rolle der Kunst in diesem Zusammenhang?
Edlinger: Die Kunst kann Pre-Enactments liefern: also mögliche Zukünfte zur Darstellung bringen, auf spekulative Weise. Wir haben die Gruppe Toxic Temple eingeladen, die einen Kult von Verschmutzung und Vergiftung predigt. Diese Arbeit erschöpft sich nicht in Ironie, sondern basiert auf einer wissenschaftlichen Einschätzung der Umwelt, in die wir eingebettet sind. Sie schlägt in einem spielerischen Sinn Umgehensweisen mit Härten vor. Das ist keine politische Handlungsanleitung, eröffnet aber einen Denkraum.
Hainzl: Vorigen Dezember gab es bei der Tagung „Perspektiven des Zusammenlebens: Zur Demokratie“ eine Kooperation mit dem Künstlerhaus Wien von uns. Das Künstlerduo Mueller-Divjak versuchte, Probleme und Fragestellungen des Zusammenlebens in Düfte umzuwandeln. Wie könnte zum Beispiel „Eco Grief“ riechen?
ask – art & science krems: Welche wissenschaftliche Perspektive auf das Anthropozän fehlt noch? Braucht es Netzwerke, die Einzeldiskurse und Themenstränge bündeln?
Hainzl: Ich vermisse im wissenschaftlichen Diskurs die Philosophie und Humanwissenschaften für ihre Denkräume generell. Der transdisziplinäre Zugang wird immer dringlicher, sonst übersehen wir, was für die Menschen wirklich relevant ist. Bei großen Fragen wie dem Klimawandel ist es wichtig, das geeignete Zusammenspiel von Akteur*innen zu gestalten.
Edlinger: Es braucht mehr Kreativität im Anstoßen demokratischer Prozesse. Der belgische Historiker David van Reybrouck erweitert in seinem Buch „Gegen Wahlen“ das Demokratie- Verständnis – da können Zufälle eine Rolle spielen oder das Gegenteil einer Abstimmung. In mehrstufigen Prozessen ist zuerst die Wissenschaft am Wort, dann die Laien. Die Berufspolitik wird nicht ausgeschaltet, aber relativiert. Wir leben in dem Paradox, dass über demokratische Strukturen Undemokratisches entwickelt werden kann. Vielleicht ist es auch wichtig, im Kleinen anzufangen: Wo kann man in der Nachbarschaft einen Fahrradweg ermöglichen? Natürlich erreicht ein einziger Radweg nicht das Klimaziel. Aber immer davon auszugehen, dass kleine Dinge die große Katastrophe nicht aufhalten können: Das ist Defätismus, der niemandem etwas bringt.
Astrid Kuffner, Nina Schedlmayer