Wenn Künstler*innen ihre Werke in einer Ausstellung zeigen, dann holt üblicherweise ein Transporter ihre Werke ab, werden diese platziert und dann dem Publikum präsentiert. Bei der Bildhauerin Angela Glajcar dagegen beginnt der letzte – und, wie sie sagt, spannendste – Teil ihrer Arbeit erst, wenn das Material für ihre Installationen angeliefert ist. Dann verlagert sie ihr Atelier gewissermaßen in den Ausstellungsraum – aktuell arbeitet sie im Erdgeschoss der Landesgalerie Niederösterreich, um ihre Schau „Angela Glajcar. Traumfänger“ aufzubauen.
„Das ist der schönste Moment“, strahlt die 1970 in Mainz geborene Künstlerin. „Jetzt wird es körperlich.“ Sie steht auf einem Gerüst in schwindelnden Höhen und hat gerade begonnen, ihre Installation an die Decke zu montieren. Wenn sie ihr Werk vollendet hat, wird sich die monumentale Installation aus über tausend Bögen Papier im Raum ausbreiten. Angela Glajcar hängt sie, dicht an dicht, so, dass sie sich zu organischen Körpern formieren. Zuvor hat sie die Bögen durch Reißen so bearbeitet, dass sich Höhlen ergeben; auch die Ränder sind nicht geschnitten, sondern gerissen. Diesem Prozess wiederum ging ein Entwurf im Architekturmodell am Computer voran.
Perspektivenwechsel
Das Publikum kann frei im Raum wandeln, auf bequemen Bänken oder Sitzsäcken Platz nehmen – kurz: den Raum anders erfassen als üblich. „Wir benutzen Räume nach ihren Funktionen, doch man kann das auch mal anders machen“, sagt Angela Glajcar. „Kinder machen das. Sie legen sich mal unter den Tisch oder setzen sich drauf.“ Ihre Skulpturen laden dazu ein, die Perspektive zu wechseln. Die Künstlerin berichtet davon, dass sich in einem Konferenzraum, in dem eine Arbeit von ihr hängt, die Sitzordnungen oft abwechseln – weil die Menschen ihr Kunstwerk gern von einem anderen Standpunkt aus betrachten wollen.
Schon auf Abbildungen entwickeln Glajcars papierene Wunderwerke eine gehörige Sogwirkung. Sie vereinen auf erstaunliche Art das Monumentale mit dem Leichten und wechseln ihre Erscheinung mit jeder Veränderung der Lichtsituation. Der Saal in der Landesgalerie, in dem zuvor Künstlerin Chiharu Shiota 700 Kilo Wolle wuchern ließ, ist also wie geschaffen für ihre Schöpfungen. „Jetzt ist das Licht diffus“, sagt sie, „aber in der Früh gab es Schlagschatten.“ Das Licht beeinflusse die gesamte Atmosphäre der Arbeit. Besonders geeignet scheint dafür raues Papier – wie jenes, das sie für Krems verwendet und das die Firma Salzer aus St. Pölten zur Verfügung gestellt hat. Seit rund 20 Jahren mit Papier arbeitend, hat sie sich längst zur Expertin dafür entwickelt. „Dieses Papier ist nur einmal gewalzt, nicht zweimal wie die meisten anderen. Daher hat es eine raue Oberfläche. Das kommt mir entgegen“, so die Künstlerin. „Es schluckt auch den Schall und lässt dadurch eine besondere Atmosphäre entstehen.“
Wenn Angela Glajcar die Papiere reißt, so betont sie damit auch die Weichheit des Materials und führt in sein Inneres. In einem schönen Text über ihr Werk beobachtete die Kuratorin und Autorin Margareta Sandhofer: „Der Akt des Reißens unterscheidet sich erheblich von dem des Schneidens, er ist ohne Instrument direkter, näher und körperlicher. Der Riss zeigt an den Kanten die Spuren einer menschlich rohen Dimension, er wirkt puristisch und archaisch.“
Glajcars Arbeiten sind heute in Museen und Sammlungen international vertreten, etwa im Museum Wiesbaden, im Kunstmuseum Bochum und dem National Museum of Women in the Arts Washington. Ihre Papierlandschaften und -objekte ließen sich schon in Museen in Shanghai, den USA, Frankreich sowie der Cheongju Craft Biennale nieder. Und an all diesen Orten entdeckt sie neues Papier, denn sie arbeitet bevorzugt mit lokalen Herstellern. Wenn sie von einem koreanischen Papier aus Maulbeerfasern erzählt, gerät sie ins Schwärmen: „Das ist stofflicher, leichter, weicher und unheimlich stabil.“
Respekt!
Von 1991 bis 1998 studierte Angela Glajcar an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg Bildhauerei. Zunächst schuf sie Skulpturen aus Stahl und Holz. Zum Papier kam sie eigentlich, weil sie es für Vorlagen für diese Arbeiten verwendete. „Dann stellte ich fest, dass Papier unglaublich dreidimensional werden kann.“ Setzte sie zuvor schweres Material ein und ließ es leichter wirken, so drehte sie diesen Prozess nun um. „Alle wissen: Holz ist schwer, Papier ist leicht. Aber wenn ich einen großen Bogen davon nehme und diesen mit vielen anderen an die Decke hänge, dann wird es schwer.“
Gleichzeitig spricht das Material das Publikum aufgrund seiner Alltagsnähe an – ohne dass dieses die Distanz verliert. Das Museum Wiesbaden, erzählt Angela Glajcar, präsentiert in seiner Dauerausstellung eine begehbare Installation von ihr, eine ihrer „Terforationen“. Diese ist gänzlich unbeschädigt. „Das Material Papier löst Respekt aus.“
Drei Wochen, bis zur Eröffnung der Ausstellung in Krems, ist die Künstlerin nun noch mit dem Aufbau beschäftigt. Trotz ihrer langjährigen Erfahrung erlebt sie nach wie vor Überraschungen bei der Umsetzung. „Papier ist flexibel, und alles, was flexibel ist, hat eine eigene Dynamik.“
Drachen, Gewächse, Höhlen
Obwohl Angela Glajcar nichts abbildet, laden ihre Installationen zu Assoziationen ein. Man kann in ihnen überdimensionale Raupen, Höhlengänge, Blumen sehen und vieles mehr. Angela Glajcars Kunst ist auf vielen Ebenen erleb- und deutbar. Wie jede gute Kunst.
Nina Schedlmayer
Eine Antwort
Liebe Beatrice Floh, freut mich, dass Sie der Text interessiert! Er ist auf der Website der Künstlerin nachzulesen: https://www.glajcar.de/images/ag_text_sandhofer.pdf. Soweit ich weiß, soll er auch in einem Catalogue raisonnée, der heuer bei Spector Books erscheint, publiziert werden.
Herzliche Grüße, Nina Schedlmayer