Eine Armada gekreuzter Hämmer marschiert im Gleichschritt unter düsterem Himmel. Eine Flagge, der Union Jack, verwandelt sich in ein bluttriefendes Kreuz. Ein Körper wird zum Gewehr, das sich wiederum zur E-Gitarre formiert, ein stählerner Adler dreht seine Runden und speit ein Monster. Ein schreiendes Gesicht bricht aus einer Mauer.
Autoritäre Bedrohung
Es sind beängstigende, düstere und surreale Szenen, die Gerald Scarfe für den Film „The Wall“ zeichnete, der 1982 in die Kinos kam und einen von Isolation und Ängsten gepeinigten jungen Mann begleitet. Das Werk des Regisseurs Alan Parker kombiniert Animation mit eigens gedrehten Aufnahmen und ist ein Derivat des gleichnamigen Albums der Band Pink Floyd, ebenfalls von Gerald Scarfe gestaltet. Am Telefon von ask – art & science krems dazu befragt, sagt der 1936 geborene Brite: „Die marschierenden Hämmer – das ist die Bedrohung durch autoritäre Gruppen.“ An seine langjährige Kollaboration mit Pink Floyd, im Besonderen deren Mastermind Roger Waters, erinnert er sich gern: „Es war eine sehr schöne Zusammenarbeit.“
Am 10. März erhält Scarfe für sein Lebenswerk in Krems den Sokol-Würdigungspreis 2023, benannt nach seinem 2003 verstorbenen österreichischen Kollegen Erich Sokol; bei dieser Gelegenheit gibt das Karikaturmuseum Krems auf der Kunstmeile auch einen Einblick in sein Werk.
Asthmatische Inspiration
Wahrscheinlich hätte der begnadete Cartoonist und Karikaturist Scarfe einen anderen Weg eingeschlagen, hätte ihn als Kind nicht eine fürchterliche Krankheit geplagt: Als Bub litt er unter Asthma, was ihm Aktivitäten im Freien mit anderen Kindern verunmöglichte. Aus diesem Grund stürzte er sich aufs Zeichnen. Mit 16 Jahren nahm er an einem Wettbewerb einer Zeitschrift, The Eagle Comic, teil – und gewann, gegen einen Konkurrenten, der später ein Star werden sollte: den Maler David Hockney. Darauf angesprochen, amüsiert er sich: „Stimmt, ich habe damals den ersten Preis bekommen. Doch Hockney hat seither so viele erste Preise erhalten!“ 1967 engagierte der Chefredakteur der Sunday Times den Zeichner, der bis auf wenige Wochen am Royal Collage of Art in London keinerlei formale Ausbildung hatte, für einen wöchentlichen Comic. Und zwar, so sagt er, weil Gerald Scarfe so radikal sei. Radikal – fühlt er sich heute, mit 86, noch immer so? „Ich denke schon. Ich habe mich nicht so verändert, doch die Gesellschaft. Heute ist man freier in der Meinungsäußerung. Allerdings gibt es noch immer Tabus. Doch in den 1960er-Jahren war es ungewöhnlich, manche Dinge deutlich auszusprechen, noch dazu in einem Magazin, das im ganzen Land erschien.“ Was ihn schon damals erzürnte: Machtmissbrauch. Und das tut es sichtlich bis heute: Den britischen Ex-Premier Boris Johnson stellt er als tumben Clown dar, Donald Trump als doppelköpfiges, kotzendes Monster.
Fiktion und Politik
Gerald Scarfe beherrscht das fiktiv-surreale Format einerseits, die politische Karikatur andererseits. Seine Kollaboration mit Pink Floyd, für die er so prägnante wie erschreckende Szenarien erdachte, mag zwar den einen Pol, die Fiktion, darstellen – schließlich sind darin keine konkreten Personen des öffentlichen Lebens zu erkennen. Die Songs des 1979 herausgebrachten Albums, das mit einer Verkaufszahl von 30 Millionen zu den meistverkauften der Geschichte zählt, drehen sich um einen einsamen jungen Mann, dessen Vater im Krieg verstorben ist – eine Anspielung auf den Tod von Roger Waters‘ Dad im Zweiten Weltkrieg. Insofern steht auch hier ein politischer Anspruch im Hintergrund. Neben dem Film, einer Bühnenshow und dem legendären Cover gestaltete Scarfe ein Buch; das Karikaturmuseum Krems zeigt in seiner Ausstellung „The Award Goes To …“ demnächst zwei Gemälde, die sich darauf beziehen: „The marching hammers“ und „The frightened ones“. Bis heute nimmt Gerald Scarfe den Werkkomplex rund um „The Wall“ immer wieder auf. „Die Zeichnungen unterstützten die Musik und umgekehrt“, sagt er heute. „Meine Aufgabe war es, die Musik zu illustrieren.“
Eine Kriegsauszeichnung als Fanpost
Bis heute bekommt er Fanpost für seine Arbeit. Eines Tages bat ihn ein Mann um ein Bild seiner Signatur – er wolle sich diese tätowieren lassen. Scarfe schickte sie ihm und erhielt prompt ein Video. Darauf sah er, wie dem Absender das Tattoo gestochen wurde. „Er war Golfkriegsveteran und sagte mir, dass ihn meine Zeichnungen durch den Krieg gebracht hätten“, erinnert sich Gerald Scarfe. Der Veteran schickte dem Illustrator sogar seine Kriegsauszeichnung. Die dieser freilich umgehend retournierte.
Seine politischen Karikaturen erschienen nicht nur in der Sunday Times, sondern auch in weiteren renommierten Zeitungen und Magazinen, etwa der Times, dem Esquire Magazine, ebenso in Punch, einer Satirezeitschrift, in der auch der – von ihm, wie er sagt, bewunderte – Kollege Sokol publizierte. Ebenso arbeitete er für das Flaggschiff des internationalen Zeitschriftenmarkts, dem New Yorker. „Das war ein großes Privileg für mich“, findet er. „Ich hatte plötzlich ein amerikanisches Publikum.“ Denn: „England war in den Sixties und Seventies verstaubt und antiquiert. In den USA gab es Rock’n’Roll, Cadillacs, eine Filmindustrie. Als junger Mann liebte ich das.“ Und der New Yorker liebte ihn; Chefredakteur David Remnick sagte einmal zu Scarfe: „Wenn du im Magazin bist, erleuchtet es.