Der weiße Fremde wird zum Freund

Roland Garve ist praktizierender Zahnarzt und Völkerkundler bei indigenen Völkern rund um den Erdball. Seit 2011 lehrt er an der Danube Private University.
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Kalapalo Indianer und Roland Garve

Mit einer grünen, wasserdichten Tonne auf dem Rücken war er in Brasilien, Peru und Kolumbien ebenso unterwegs, wie auf Vanuatu, West-Papua, in Kamerun oder Namibia. Roland Garve sucht seit mehr als 40 Jahren indigene und isolierte Völker rund um den Erdball auf und quert dafür Sumpf, Savanne, Dschungel und Flusslauf. Er erforscht ihre kulturellen Besonderheiten und Praktiken uns fremder Lebenswelten – stets auf eigene Kosten. Abenteuerlich war das oft genug, aber Garve ist weder Glücksritter noch Missionar. Dass die Betroffenen einer zahnärztlichen Intervention oder völkerkundlichen Erhebung zustimmen, ist absolute Voraussetzung. Als weltweit praktizierender Zahnarzt hat Garve etliche Bücher über indigene und traditionelle Völker geschrieben sowie Filme für diverse deutsche und internationale Fernsehsender wie ARTE, ARD, ZDF, RTL oder Discovery Channel gedreht, seinen Abschluss in Tropenmedizin sowie Kultur- und Sozialanthropologie (vormals Völkerkunde) gemacht.

„Kirahé“ nennen ihn die Zoé im brasilianischen Regenwald, „der weiße Fremde“. Wie kommt es, dass ein Zahnarzt aus Mecklenburg, Jahrgang 1955, seit mehr als 40 Jahren indigene Völker in Ozeanien, Afrika, Südamerika und Asien besucht? Und wieso lassen sich auch die Xingúanos, die Zoé und die Waldmenschen in West-Neuguinea bei Schmerzen von ihm behandeln, aber auch Gipsabdrücke der Zähne für die Forschung nehmen? „Viele haben sehr schlechte Erfahrungen mit der Zivilisation gemacht, und wir schicken immer erst jemanden vor, der fragt, ob es Kranke gibt, die etwas brauchen und wollen. Wir geben nur, was gebraucht wird“, sagt er. Neben Respekt bringt er den Willen mit, sich einzulassen. Es geht nicht darum, den Segen der westlichen Welt in entlegene Winkel zu bringen, sondern zu lernen, welche Substanzen, Zauber und Rituale sie nutzen, welche kulturellen Besonderheiten im Mundraum sie haben, womit sich traditionelle Völker die Zähne putzen, welche Krankheiten sie haben, was mit und aus Zähnen alles gemacht wird. „Ich kann wohl gut mit den Leuten, aber es ist oft wie ‚Stille Post‘ spielen, wenn mit mehreren Dolmetschern immer in die nächste bekannte Sprache übersetzt wird. Am wichtigsten bleibt die Körpersprache.“

Anspitzen der Zähne bei den Mentawai
Das Anspitzen der Zähne ist bei den Mentawai eine Form der kosmetischen Zahnbehandlung.

Leiden für die Schönheit

Möglichst blendend weiß, lückenlos, in Reih und Glied ausgerichtet. So sieht ideale Zahnästhetik in unserem Kulturraum aus. Dafür sind Menschen bereit, einiges auf sich zu nehmen. Aber in entlegenen Winkeln der Welt gelten andere Schönheitsideale, es gibt andere Kulte als Kukident-Haftcreme, Brackets oder Bleaching. Stattdessen Zahnschmuck, Lippenpflöcke und Tellerlippen, angespitzte, eingekerbte oder mit Betel gefärbte Zähne. Dadurch bedingte Kieferverformungen und andere Besonderheiten. Roland Garve dokumentiert seit vielen Jahren solche rituellen Deformierungen und hat darüber mehrere Publikationen verfasst. Denn für Völkerkunde hat er sich schon immer brennend interessiert. Das Studium war ihm in der ehemaligen DDR nicht möglich. Er absolvierte Zahnmedizin in Greifswald, kam in Konflikt mit dem DDR-Regime und wurde 1984 als politischer Gefangener von der Bundesrepublik Deutschland freigekauft. Das hat ihn sicher abgehärtet, war aber rückblickend sein Glück.

1985 reiste er erstmalig zu den Massai nach Kenia, 1986 nach West-Papua. Zunächst als Tourist, ab 1990 in Kooperation mit Schutzbehörden und wissenschaftlichen Institutionen. Auch isolierte Völker haben Zahn-Probleme, aber eben keine Gesundheits-Infrastruktur, wie wir sie kennen. Als er praktische Hilfe anbot, gab es anfangs nur eine Kombizange. Ab dann nahm er stets Bohrer und anderes zahnärztliches Besteck mit und behandelte auf Wunsch unter einfachsten Bedingungen: „Ich wollte nicht nur filmen, sondern auch etwas zurückgeben. Ich habe mich eingebracht und wurde immer weiterempfohlen. So habe ich mir ein großes Netzwerk aufgebaut.“ Auf den Missionen geht es darum, Indigenen zu helfen, wenn es Not tut – damit sie in die Ursprünglichkeit zurückkommen. Darum, geeignete Schutzgebiete einzurichten oder die Interventionen evangelikaler Missionare zurückzunehmen.

Roland Garve
Seit mehr als 40 Jahren erforscht Garve die kulturellen Besonderheiten und Praktiken indigener und isolierter Völker.

An sich selbst hat er das Sekret eines südamerikanischen Frosches ausprobiert, das Schmerzen nimmt, oder einen Pflanzensud, der die Sicht schärft – die berühmte schützenswerte Apotheke der Natur. „Das bleibt so, bis ich umfalle“, lacht Garve, der zwischen Hörsaal und Urwald vermittelt, wie die österreichischen Forscherlegenden Hugo Bernatzik oder Johann Natterer – heute vergessene Pioniere. Wie reagierte seine Umwelt auf das ungewöhnliche Berufsleben? Bis 2010 betrieb er eine eigene Praxis in Geesthacht bei Hamburg, im Nebenberuf war er monatsweise praktizierender Völkerkundler: „Manche haben mich wohl für verrückt gehalten. Einer meiner norddeutschen Patienten sagte gerne: ‚Na Doktor, warst du wieder bei den Apachen?‘“

An der Danube Private University ist er seit 2011 als Dozent tätig und inzwischen Leiter der Abteilung für Ethno-Zahnheilkunde im Zentrum für Natur- und Kulturgeschichte des Menschen der DPU. „Mein Wunsch wäre, dass sich das Fach in der allgemeinen Ausbildung für Zahntechnik, Zahnmedizin und Forensik etabliert, denn in unserer globalisierten Welt ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir uns fremden Phänomenen hier begegnen.“

Zwei grüne Tonnen, in denen er Hängematte, trockene Kleidung, Medikamente, Instrumente, Plastikplane und andere Notwendigkeiten verstaut, hat er bereits verschlissen. Sein wichtigster Ausrüstungsgegenstand ist übrigens Mettwurst, denn im Tropenklima ist Elektrolytverlust eine Gefahr. Wer gegen die Hitze viel Wasser trinkt, schwitzt lebenswichtige Salze aus: „Wenn die Kleidung sich seifig anfühlt, ist man kurz vor dem Umkippen. Ich esse also ein Stück Mettwurst und trinke nur ganz wenig dazu, wie ich es von den Einheimischen gelernt habe.“

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4 Antworten

  1. Wann hält Dr. Garve einen Vortrag über seine Reisen , dieser würde mich sehr interessieren.
    Besten Gruß
    Romana Kernreiter-Novotny
    0664 2245133

    1. Sehr geehrte Frau Kernreiter-Novotny,
      wir bedanken uns recht herzlich für Ihre Anfrage und leiten diese gerne direkt an Herrn Garve weiter.
      Mit freundlichen Grüßen
      Ihr ask-Team

  2. Halten Sie in Krems/Uni auch manchmal Vorträge über ihre interessante Arbeit bei indigenen Völkern…
    Wie kann ich das rechtzeitig erfahren, denen ich würde gerne mehr von ihren interessanten Reisen und Begegnungen erfahren.

    1. Sehr geehrte Frau Bertagnoli-Birngruber,
      wir bedanken uns recht herzlich für Ihre Anfrage und Ihr Interesse. Gerne leiten wir Ihr Anliegen direkt an Herrn Garve weiter.
      Mit freundlichen Grüßen
      Ihr ask-Team

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Roland Garve

Studium Zahnmedizin an der Universität Greifswald, von 1985 bis 2010 niedergelassener Zahnarzt. Seit 1990 Zusammenarbeit mit den Staatlichen Völkerkundemuseen Leipzig und Dresden sowie Menschenrechtsorganisationen, die sich für den Kulturerhalt indigener Völker und den Schutz ihres Lebensraumes einsetzen. Dozent an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald und am Zentrum für Natur- und Kulturgeschichte des Menschen der Danube Private University, seit 2014 assoziierter Professor an der DPU Krems, Mitinitiator des Arbeitskreises Ethno- und Paläo-Zahnmedizin der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK). 2014 Mitarbeiter der Hilfsorganisation Cap Anamur, Vorstandsmitglied des deutschen Vereins für Biodiversität und Nachhaltigkeit (VFBN).

Buch

„ZahnArt. Einblicke in das kulturelle Spektrum der Bedeutung und Verwendung von Zähnen. Eine interdisziplinäre Betrachtung.“

Danube Private University

Fotos: Roland Garve
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