ask – art & science krems: Eine Ausstellung zu künstlerischer Arbeit trug einmal den Titel „permanent produktiv“. Das Motto scheint in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein. Wieso ist es so wichtig, ständig beschäftigt zu sein oder zumindest so auszusehen?
Michael Bartz: Es gibt viel Forschung zum „Impression Management“, also dazu, dass es sich positiv auf die Karriere auswirkt, wenn man beschäftigt wirkt. Während der Corona-Lockdowns entstand entsprechend ein Zwang, sichtbar zu machen, dass man zu Hause eh etwas tut. Selbst wenn man vertieft gelesen hat, musste der Mauszeiger immer mal bewegt werden, damit das Gerät nicht in den Offline-Modus sprang.
Albert Hosp: Wurde von Propheten und Menschen an der Spitze nicht zu allen Zeiten erwartet, ansprechbar und produktiv zu sein? Jesus (deutet auf ein Kruzifix aus dem 14.Jahrhundert im museumkrems) wurde nur Anfang 30, Mozart auch nur 35 Jahre alt. Waren sie Freiberufler? Für diese ist es sehr wichtig, dauernd zu liefern. In meiner Arbeit mit Künstler*innen und Musiker*innen ist das oft Thema. Kunst zu schaffen, das setzt aber eine gewisse Ruhe voraus. Ich versuche als Festivalleiter darauf zu reagieren, indem ich Druck rausnehme.
ask – art & science krems: Herr Bartz, Sie sind Experte für New Work: Hat die Pause in der Arbeitswelt den Stellenwert, den sie verdient?
Bartz: Die Pause ist gesetzlich verankert. Auch weil es seit mehr als 80 Jahren Forschung dazu gibt. Es ist gut erforscht, dass es nach zwei Stunden zu einem Leistungsabfall von etwa zehn Prozent kommt, den man mit fünf bis zehn Minuten Pause wieder aufholen kann. Im Aufmerksamkeitsnetzwerk des Gehirns, unter der vorderen Schläfe, nimmt die Durchblutung ab. Nach zehn Stunden ohne Pause steigt die Fehlerwahrscheinlichkeit und Unfallhäufigkeit enorm. Es ist eine Führungsaufgabe, auf die Pausen zu achten. In Europa haben wir den Luxus eines Wochenendes und halten aus guten Gründen daran fest.
ask – art & science krems: Wie beobachten Sie, Herr Hosp, das Innehalten in der künstlerisch-kreativen Welt?
Hosp: Auch der vielzitierte Rausch der Kunst findet in einem normalen menschlichen Körper statt. Es gibt aber scheinbar übermenschliche Intensivphasen, ermöglicht oft durch jahrelanges Üben.
ask – art & science krems: Dient die Pause auch der Synchronisation von unterschiedlichen Rhythmen und Arbeitsweisen verschiedener Menschen?
Bartz: Wenige Firmen lassen wirklich hybrides Arbeiten zu. Dass die Leute etwa vormittags im Home Office sitzen, dann ohne Stau in die Firma fahren, beim Mittagessen networken, am frühen Nachmittag heimkommen und nach dem Sport noch einmal arbeiten. Das neue Home-Office-Gesetz hält am Acht-Stunden-Rhythmus fest. Man ist also den ganzen Tag dort fixiert. Und wenn dann eine Pause nicht punktgenau eingetragen wird, dann kommt sozusagen das Arbeitsinspektorat. Pausen sind wichtig, aber auch Ortswechsel tragen zur Erholung bei. Unser Hirn wird durch Monotonie ebenso angestrengt, wie durch Stress. Deswegen wäre es ideal, wenn neben dem gesetzlichen Raster mehr zugelassen würde, ohne Menschen auszubeuten. Dass Pausen wirken, kann man immerhin anhand unserer Biochemie nachverfolgen. Unser Körper produziert dann eine Vorstufe zum Dopamin. Das brauchen wir, um wieder Energie ins System zu pumpen.
ask – art & science krems: Albert Hosp, Sie haben auch Chöre geleitet. Haben Sängerinnen und Sänger unterschiedliche Pausen-Bedürfnisse?
Hosp: Der Energiezustand einer musizierenden Gruppe ist spürbar, weil Atem und Physis gemeinsam eingesetzt werden. Man merkt genau, wann eine Pause angezeigt ist. Das tut dem künstlerischen Drang keinen Abbruch. Unterbrechungen sind gut. Die Pausen für Profi-Orchester sind oft sehr genau geregelt. Im Klassikbusiness sterben die Despoten, die sich um derlei Dinge nicht scheren mussten, auch aus. Fehlende Pausen sind unser geringstes Problem.
ask – art & science krems: Was ist dann unser größtes Problem?
Hosp: Wir haben aus dem Auge verloren, wieviel Pause wir eigentlich brauchen. Zum Jahreswechsel 2020/21 im Lockdown hatten wir doch alle das Gefühl, die Welt sollte jetzt kollektiv auf Urlaub gehen. Aber nach der erzwungenen Pause haben wir uns sofort wieder in die Arbeit gestürzt, in eine Atemlosigkeit sondergleichen.
ask – art & science krems: Was hat Corona in der Berufswelt angerichtet, Herr Bartz?
Bartz: Für manche war es eine Zwangspause, für sehr viele Menschen dagegen eine der intensivsten Zeiten: Geschäftsmodelle mussten rasant umgestellt, in der Digitalisierung musste ein Sprint hingelegt werden. In Folge war es wichtig, Führungsweisen hastig anzupassen. Als die Pandemie nachließ, hat der Ukraine-Krieg nachgelegt. Wir sind in einer extrem beschleunigten Phase. Umso wichtiger ist es, dass die Führung in Organisationen den Pausenknopf drückt. Darüber hinaus brauchen wir für Menschen ab fünfzig generell einen höheren Urlaubsanspruch, unabhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit. Dann würden weniger Österreicherinnen und Österreicher in die Frühpension drängen.
ask – art & science krems: In der Musik hat die Pause eine andere Funktion. Wie würden Sie diese beschreiben, Albert Hosp?
Hosp: Wenn wir die Pause in der Musik durch das Abwesende definieren, wo kein Klang ist, dann kann sie ein Moment erhöhter Spannung sein. Am Beginn von Beethovens 5. Symphonie sind die Pausen in den ersten Takten ganz kurz, aber ungeheuer spannungsgeladen. Der Komponist maß dem große Bedeutung zu. Auch Gustav Mahler nahm die Pause genau. In der 1. Symphonie steht nach dem zweiten Satz in der Partitur: „Hier hat eine ziemliche Pause einzutreten“. Wenn eine Gruppe von Musizierenden gemeinsam Pause macht, stellt sich die Frage: Wann atmen sie ein, um weiterzuspielen? Im Lacrimosa des Mozart-Requiems gibt es eine Stelle, zu der sich alles steigert – dann erst wird eingeatmet. Es braucht eine kurze Atemlosigkeit, um den Moment der Spannung zu spüren.
ask – art & science krems: Wenn wir zur Erholung zurückkehren: Was brauchen das Gehirn, der Körper und die Kreativität dafür – vielleicht vor allem eine Zustandsänderung?
Bartz: Das ist der Punkt. Wir brauchen alle 45 Minuten einen Szenenwechsel. Im Homeoffice können wir vielleicht auf dem Sofa liegend arbeiten, dann am Küchentisch sitzen und danach an einem höhenverstellbaren Schreibtisch stehen. Dieser Rhythmus von 45 Minuten ist messbar. Wir fühlen uns frischer.
ask – art & science krems: Was ist sonst wichtig?
Bartz: Ich experimentiere mit einem Messgerät für den CO2-Gehalt der Luft, also die Abwesenheit von Sauerstoff. Wenn der CO2-Gehalt im Hörsaal auf 1000 ppm geht, wird es schwierig für das Gehirn. Ich habe das Gerät sichtbar für alle Studierenden aufgestellt, die das sehr spannend finden. Sobald der Alarm losgeht, springt jemand auf und reißt ein Fenster auf. Also: für Sauerstoff und Bewegung sorgen. Kontraproduktiv hingegen ist einfach abzuhängen, dabei Schokolade zu essen und massig Kaffee trinken. Das nutzt ab und ermüdet.
Hosp: Wie steht es mit einem Schläfchen?
Bartz: Da streiten sich die Geister. In skandinavischen Ländern und z.B. auch in den Niederlanden gibt es in Büros Rückzugsräume dafür.
Hosp: Mit Ö1 sind wir jetzt in einem Großraumbüro. Da gibt es Bereiche mit Sofas. Ich mache da manchmal für eine Viertelstunde die Augen zu. Aber ich glaube, ich bin der einzige…
Bartz: Der einzige, der sich das auch traut! Man stelle sich das vor bei einem Anfänger oder einer Anfängerin!
ask – art & science krems: Sie singen ein Loblied auf gesetzliche Errungenschaften wie die Mittagspause und das Wochenende?
Bartz: Unbedingt! Der All-in-Vertrag hat sich leider stark ausgebreitet, und es gibt hier eine Fehlentwicklung. Er schneidet einen von der Möglichkeit ab, Zeitausgleich zu machen. Ursprünglich war er nur für Führungskräfte gedacht; inzwischen wird er auf alle Arten von Jobs und Mitarbeiter*innen angewendet. Wir befinden uns jetzt in den Arbeitswelten, über die wir 20 Jahre philosophiert haben: 80 Prozent der Betriebe halten am Home Office und mobilem Arbeiten weiter fest. Gerade bei dieser hybriden Art zu arbeiten ist es noch wichtiger, Grenzen zu ziehen. Deswegen ist die Zeitaufzeichnung so wichtig und auch der Zeitausgleich.
ask – art & science krems: Was kann im 21. Jahrhundert die Büro-Arbeitswelt vom künstlerisch-kreativen Arbeiten lernen und umgekehrt?
Hosp: In der Kunst ist sehr vieles ungeregelt. Das ist das Dasein eines Kunstschaffenden. Aber Kunst ist davon abhängig, dass Inspiration wirken kann. Man pausiert, um etwas zu sammeln. Das kann man von Künstlern jedenfalls lernen. Der Musizierende hat im Gegensatz zum malenden Menschen eine genaue „Arbeitszeit“, nämlich die Aufführung. Auf der Bühne gibt es kein Zurück mehr. Da muss davor ein guter Rhythmus aus Pausen und Vorbereitung stattgefunden haben, damit das klappt. Jene, die Musik ermöglichen, müssen das im Kopf behalten. Und es braucht viel mehr Unterstützung von der Politik. Die Freischaffenden sind jetzt viel gefährdeter als früher. Ich kenne viele Musikerinnen und Musiker, die in den zwei Jahren aufgehört und nicht mehr angefangen haben.
ask – art & science krems: Dieser Rhythmus aus Pausen und Vorbereitung: Wie ist das beim Radio?
Hosp: Ich mache auf Ö1 fast nur Livesendungen. Das liebe ich. Bei den Leuten draußen ist die gleiche Uhrzeit wie bei mir im Studio. Da weiß ich, es geht beispielsweise um 8 Uhr 20 los und nicht etwa 20 Minuten später. Da gibt es vorher und währenddessen ein Hin und Her aus Ruhe- und Aktivitätsphasen. Eine Radiosendung kann ebenso wie ein Konzert das Gefühl wecken: Jetzt läuft etwas ab. Das hat etwas Magisches – eine Unmittelbarkeit, die das Leben erst lebenswert macht. Es ist wichtig, sich diese Dinge bewusst zu machen.
ask – art & science krems: Ist die Weihnachtszeit für Sie eine Pause – oder wird es da erst richtig stressig?
Hosp: Ich habe von 24. bis 31. Dezember sehr viel zu tun, davor eine Pause gehabt.
Bartz: Ich habe das Glück, freinehmen zu können, um Freunden und Familie Zeit und Aufmerksamkeit zu geben.
Astrid Kuffner, Nina Schedlmayer
3 Antworten
Ein sehr interessantes Gespräch.
Aus naturwissenschaftlicher Perspektive ist allerdings eher erheiternd – oder traurig, weil es den Stellenwert naturwissenschaftlicher Bildung offenbart – , wenn Prof. Bartz von der Abwesenheit von Sauerstoff spricht, weil der CO2-Gehalt im Raum 1000 ppm beträgt. (Vergleichbar mit der Aussage „Bei Mozarts Fidelio …“). Der Sauerstoffgehalt beträgt normalerweise rund 210 000 ppm (21 %), der CO2-Gehalt 0,04 % (400 ppm). Natürlich ist die Konzentrationsfähigkeit bei höheren CO2-Werten eingeschränkt, Lüften ab 1000 ppm sinnvoll, aber sauerstofffrei ist die Luft deshalb noch sehr sehr lange nicht. Die Ausatmungsluft enthält 4,5 % CO2, ab ca. 60 000 ppm (6 %) CO2 in der Raumluft droht tatsächlich Ersticken.
Sehr geehrter Herr Dorn,
Sie haben Recht. Zum Glück wird die Luft im voll besetzten Raum mit der Zeit nur schlechter und die Konzentration sinkt. Aber dennoch keine Sauerstoff-Freiheit. Danke für den Hinweis! Lüften hilft… Mit freundlichen Grüßen Astrid Kuffner