Art & Science Krems

Beweglich bleiben

Wie weit ist der Traum von sich regenerierenden Geweben gediehen? ask fragt nach bei Stefan Nehrer: Wie lange wird es noch künstliche Kniegelenke geben?
Physiotherapie

Ein künstliches Kniegelenk braucht, wer aufgrund von Schmerzen, mangelnder Beweglichkeit oder Belastbarkeit nicht mehr gehen kann. Das Krankheitsbild dahinter heißt meist endgradige Arthrose und diese starke Gelenksabnutzung ist in erster Linie eine Alterserscheinung, erklärt Stefan Nehrer, Leiter des Departments für Gesundheitswissenschaften, Medizin und Forschung an der Universität für Weiterbildung Krems.

Als Risikofaktoren zählt der klinisch tätige Forscher und Orthopäde an der Orthopädischen Abteilung am Universitätsklinikum Krems neben dem Lebensalter auch Übergewicht, Stoffwechselerkrankungen und Unfälle auf. Womit die Frage nach der Prävention auch schon halb beantwortet wäre. Wie schnell sich der Gelenksknorpel abnutzt, ist letztlich auch eine Frage der Genetik, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Zu den konservativen Maßnahmen vor der Operation gehören neben Schmerzmitteln auch Injektionen mit Hyaluronsäure oder plättchenreichen Plasmaprodukten aus Eigenblut (PRP). „Mit 80 Jahren haben wir alle Abnützungen im Gelenk“, sagt Stefan Nehrer. In der Altersgruppe der 60 bis 70-Jährigen sind 40-60 Prozent der Menschen betroffen. In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist die Versorgung mit Prothesen sehr gut. Die OECD hat erhoben, dass rund 200 Kniegelenke pro 100.000 Einwohner*innen eingesetzt werden, rund 20.000 Kniegelenke im Jahr. Der Durchschnitt im OECD Raum liegt bei 105.

Kniegelenksprothesen werden heute aus einer Chrom-Molybdän-Legierung gemacht und mit einem Verbundstoff im Knochen verklebt. Je nach Studie sind 75 bis 80 % der Operierten mit der Knieprothese sehr zufrieden: „Man muss damit rechnen, dass man nicht mehr 100 % geben kann. Das ist für jüngere Patient*innen manchmal schwierig zu akzeptieren. Ich habe Patient*innen, die intensiv Breitensport betreiben – Marathon empfehlen wir allerdings ausdrücklich nicht“.

Porträt Stefan Nehrer
Stefan Nehrer leitet das Department für Gesundheitswissenschaften, Medizin und Forschung an der UWK und ist Oberarzt an der Orthopädischen Abteilung am Universitätsklinikum Krems.

Fortschritte bei Design & Platzierung

Beim Implantat-Design hat sich viel getan. Formgebung, Stabilität und Funktionalität hat sich durch CAD/CAM-Fertigung mit Daten aus CT-Bildern verbessert und bei der Operation selbst können computernavigierte Systeme unterstützen: „Wir sind in der Lage patient*innenspezifische Implantate aus Keramik zu erstellen, etwa für Metall-Allergiker*innen. Ähnlich wie beim Schuster, der Leisten macht, erstellt die Firma binnen sechs Wochen individuelle Gelenksprothesen für sehr große oder sehr kleine Patient*innen, mit speziellen Knochenveränderungen.“ Sein Team forscht aber auch intensiv an biotechnologischen Alternativen. Es laufen Forschungsprojekte zu funktionellen Biomaterialien, mit denen die Knorpelbildung angeregt wird und zum 3D-Druck von Sehnen. Um die Knorpelzellen-Transplantation vom kleineren auf einen größeren Maßstab zu bringen, fehlt noch einiges. Da braucht es eine stabilere Matrix, weil nicht nur ein Loch oder eine Lücke aufgefüllt wird, sondern auch eine Form gegeben werden muss. Isolierte Knorpeldefekte können heute bereits biotechnisch mit Zellzüchtung und bioartifiziellem Knorpelgewebe behoben werden. Gearbeitet wird beim Ersatz mit Spendermaterial (genannt Allograft) oder körpereigenem Material (Autograft). Stefan Nehrer (62) war in seiner Jugend selbst Schwimmer, hat Triathlon-, Marathon-, und Halbmarathon-Bewerbe absolviert. Auch heute läuft und wandert der Sportmediziner gerne und passt daher „sehr gut auf seine Knie auf“. Bis maßgeschneiderte Sehnen gedruckt werden können bleibt die wichtigste Maßnahme „weniger zu essen, denn abnehmen lindert durch die Entlastung der Gelenke auch die Schmerzen“. Für die Prävention gilt es zudem das Muskelkorsett um die Gelenke zu erhalten und Verletzungen zu vermeiden.

Künstliches Hüftgelenk
Das Team von Stefan Nehrer forscht intensiv an Biomaterialien zur Anregung der Knorpelbildung.

Bänder bewahren – Gelenke beschützen

Stefan Nehrer rät jüngeren Menschen rasch zu handeln, wenn ein Schaden am Gelenk entsteht, denn so werden bessere Ergebnisse erzielt. Um die Top-Platzierung bei Sportverletzungen ringen Meniskus und Kreuzband. Defekte Bänder beschleunigen wiederum den Knorpelabbau. „Im Projekt ‚print a meniscus‘ loten wir die Methodik aus, um Spinnenseide und zellfreien Knorpel als Matrixgewebe 3D druckbar zu machen“. So beweglich wie Spiderman wird man dadurch nicht, aber Spinnenseide ist sehr stabil und reißfest. Zudem werden gute Erfolge mit Teilersatz des Gelenks erreicht: „Mit passgenauen Minimalprothesen und kleineren Operationen kann man sehr viel Zeit mit hoher Lebensqualität gewinnen“.

Mit Teilprothesen Zeit gewinnen

Der Mensch, der unter 50 keinen vollständigen Gelenkersatz mehr brauchen wird, ist schon auf der Welt. Traumatische Zerstörungen und Tumore im Knie bleiben aber die Domäne der Spezialprothesen: Wo noch regeneratives Potenzial vorhanden ist, werden Zelltherapien greifen, Teil-Strukturen ersetzt, Knorpelanteile ergänzt. Die Alterskohorte für Totalprothesen wird sich ins noch höhere Alter verschieben.

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CV

Univ.-Prof. Dr. Stefan Nehrer, MSc ist Dekan der Fakultät für Gesundheit und Medizin an der Universität für Weiterbildung Krems. Er studierte Humanmedizin und Sportwissenschaften, leitet das Department für Gesundheitswissenschaften, Medizin und Forschung und ist Oberarzt an der Orthopädischen Abteilung am Universitätsklinikum Krems.

Fotos: Universität für Weiterbildung Krems, Pixabay
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