In der Pfeilerbasilika tropft Regen auf die Schultern und prasselt auf den Steinboden. Beim Betreten des Seitenschiffs wird er noch intensiver: Dicke Tropfen trommeln jetzt herab. Ein Stück weiter vorne entwickelt sich der Wolkenbruch zu einem regelrechten Starkregen, der nur noch als rauschende Wand aus Wasser wahrnehmbar ist. Auf einmal lässt er nach. Mit umso mehr Getöse bricht ein neuer Schwall über einen herein.
Glücklicherweise hat kein schweres Unwetter, Feuer oder sonstiges Unglück die Decke der Minoritenkirche in Krems-Stein zum Einsturz gebracht. Der Regen, der hier so auf die Besucherin einprasselt, besteht nicht aus Wasser. Sondern er fließt aus 100 Lautsprechern, die der norwegische Komponist und Künstler Asbjørn Blokkum Flø installiert hat. In heißen Sommermonaten bietet sich der Klangraum Krems Minoritenkirche zur Erfrischung an.
Besser ohne High Heels
Es ist ein besonderer Ort, ein wenig versteckt und täglich außer Montag, bei freiem Eintritt sogar, zugänglich. Über den lauschigen Platz, für dessen buckliges Steinpflaster die High Heels besser im Kasten bleiben, betritt man das Minoritenkloster über den Empfangsraum des Forum Frohner – ebenfalls sehr sehenswert! – und wenn gerade keines der zahlreichen Festivals wie etwa das wunderbare Imago Dei hier in der Kirche stattfindet, kann man die Klangkunstwerke erleben. Kein Bild, keine Aufnahme könnte die sensualistisch-akustische Sensation hier adäquat vermitteln. Einige Schritte weiter, im Kapitelsaal, hat Asbjørn Blokkum Fløs Kollege Marcus Schmickler sein „Glockenbuch II [Spektren von Welten]“ installiert. Als Teil des Minoritenklosters, das 1796 aufgehoben wurde, erfuhr die Kirche heute bizarr erscheinende Nutzungen: 1850 entstand hier ein Tabakwarenlager der Steiner Tabakfabrik, später diente das Langhaus der Freiwilligen Feuerwehr als Rüsthaus. 1951 dann die Wende: Seit diesem Jahr sind in der Minoritenkirche kulturelle Veranstaltungen.
Geflügelte Evangelisten
Wer nun schon hier ist, kann auch die Gelegenheit zur näheren Erkundung der Kirche nutzen. Denn während man durch den Regen spaziert, lohnt sich ein Blick in das Kreuzrippengewölbe der Minoritenkirche, die Bischof Berthold von Bamberg 1264 einweihte. Sie ist damit eine der ältesten Bettelordenskirche nördlich der Alpen – ein Superlativ, mit dem hier nicht gerade geprotzt wird. Auf diese Zeit geht das spätromanische dreischiffige Langhaus zurück; der Chor stammt aus dem 14. Jahrhundert, also der Gotik. Damals entstanden auch Freskenfragmente, die sich über die ganze Kirche verteilen: die Symbole der vier Evangelisten – Mensch, Adler, Löwe, Stier – die sich, allesamt mit Flügeln versehen, in den vier Teilen eines Kreuzrippengewölbes zueinander drehen, ergänzt durch vier musizierende Engel im nächsten Gewölbeanschnitt. Oder die vielen Sterne, die über die Decke des Langhauses tanzen. An den Pfeilern waren einst unter anderem Szenen aus der Franziskuslegende zu sehen, Fragmente sind geblieben. Die Ausstattung, die prachtvoll gewesen sein muss, bleibt der Imagination überlassen.
Nina Schedlmayer