Sie fallen von der Decke, steigen von Schreibtischen empor und spinnen Klaviere ein. Sie strömen aus Booten und bauen sich zu Wänden auf: kilometerlange Wollfäden in Schwarz, Rot und Weiß, von der Künstlerin Chiharu Shiota auf vielfältige Art im und mit dem Raum verwoben, manchmal auch mit anderen Gegenständen. 2015 hatte Shiota einen großen internationalen Auftritt bei der Biennale Venedig. Im japanischen Pavillon ließ sie damals rote Schwalle aus Fäden großen Booten entströmen, versetzt mit kleinen Zetteln.
Im steten Wandel
Nun webte die 1972 in Osaka geborene Künstlerin ein leuchtendes Gewölbe in das Erdgeschoss der Landesgalerie Niederösterreich ein – rote Wollfäden von insgesamt 700 Kilometern Länge sprießen aus Zillen, die üblicherweise die Donau befahren. Sie verdichten sich, laufen wieder auseinander, krallen sich an den Wänden fest und bilden so eine neue Architektur, die einen völlig anderen Raumeindruck erzeugt in dieser ansonsten so weitläufigen Halle. „Der Raum in der Landesgalerie hat die Form eines Zelts und verfügt über riesige Fenster“, sagt die Künstlerin in einem Gespräch mit Kurator Günther Oberhollenzer. „Ich mag es, das Innere mit dem Äußeren zu verbinden.“ Zwischen den Fäden flattern – teils historische – Landkarten, auf denen die Donau dargestellt ist. Diese ist Shiotas Ansicht nach in Krems „sehr präsent“. Somit werde man in der Stadt „ständig und überall daran erinnert, dass es da draußen eine Welt gibt, die im steten Wandel begriffen ist.“ Die Donau, die durch 14 Länder fließt, sei „ein starkes Symbol dafür, wie wir miteinander verbunden sind – bei allen kulturellen Unterschieden“. Der Titel ihrer Arbeit: „Across the River“.

Gift für die Haut
Nicht immer arbeitete Shiota mit Fäden. Ursprünglich kam die Tochter von Fabriksbesitzern von der Malerei, die sie bereits mit zwölf Jahren als Beruf ausüben wollte. Doch eines Tages reichte das nicht mehr, sie fremdelte mit dem Medium. Sie träumte, dass sie direkt in ein Gemälde hineinginge und dachte sich eine radikale Arbeit aus: Als Teil einer Installation bemalte sie nebst weißen Textilien ihren eigenen Körper mit roter Farbe. Allerdings war es keine, die bei der nächsten Dusche wieder weichen würde, sondern Emailfarbe. „Es war wirklich Gift für meine Haut, sie blieb für ein halbes Jahr rot“ erzählte Shiota in einem Interview. Dazu passt, dass sie bei der Performance-Grenzgängerin Marina Abramović studierte, ebenso bei deren Kollegin Rebecca Horn. Auch später baute sie sich selbst in ihre Installationen ein; auf einem Foto sieht man sie zwischen dem Geflecht liegen, umspült von roten Fäden. Vor rund 20 Jahren schuf Shiota monumentale Kleider, die sie von der Decke von Ausstellungsräumen baumeln ließ oder an eine Fassade hängte. Über mehrere Stockwerke fiel eines der Textilien, als habe eine Riesin das Gewand gerade erst abgelegt: die Anwesenheit in der Abwesenheit – das ist ein Thema, das sich durch die Installationen von Shiota zieht wie die roten Fäden, die sie an Blut, den Körper und menschliche Beziehungen erinnern: Alles ist mit allem verbunden.

Catchy und kosmopolitisch
Die Künstlerin ist Kosmopolitin: Über Australien kam sie einst nach Europa, heute lebt und arbeitet sie in Berlin. Zur Eröffnung ihrer Schau konnte sie nicht nach Krems kommen, baut sie doch gerade eine Ausstellung im australischen Brisbane auf. Das Taipei Fine Arts Museum, das ZKM Karlsruhe, die Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique, die Mori Art Gallery in Tokyo zeigten schon Soloausstellungen von ihr, darüber hinaus waren ihre Arbeiten im Berliner Gropius Bau zu sehen, in der Art Gallery of South Australia, der K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf sowie im Museum of Art in Kochi und im National Museum of Art in Osaka. Ihr Name findet sich auf der Liste von Deutschlands hippster Galerie, jener von Johann König. Chiharu Shiotas Installationen erscheinen catchy und spektakulär, wirken auch auf Instagram gut. Doch darüber hinaus sprechen sie existenzielle Themen an. Chiharu Shiota sagt: „Wenn die Menschen meine Werke betreten, möchte ich, dass sie wissen, was es bedeutet, zu leben und zu sterben.“
Nina Schedlmayer
3 Antworten
Eine unglaublich faszinierende Installation. Wieder ein Highlight in der stets verlockenden Landesgalerie Niederösterreich! To be seen!
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