Eine Band hat sich mitten in einer Betonwüste aufgebaut. Hinter der Formation ragt das futuristische T-Mobile-Center auf, links schnellt die Straße auf Pfeilern empor, um bald zur Autobahn zu werden. Die Sonne geht bald unter in Wien, auf diesem Areal der einstigen Schlachthöfe St. Marx. Die Band Shake Stew, gekleidet in gold-schwarz-gestreifte Hemden, beginnt zu spielen, ein Sound entwickelt sich, wird voller, treibender, zu dem, was gern High-Energy-Sound genannt wird und trifft auf ein Publikum das bald rhythmisch nickt, wippt, tanzt. Shake Stew, diese siebenköpfige Band, die so groovige Energie versprüht, spielt, so schrieb die „Zeit“ einmal, „hypnotischen Funk-Beat-Swing-Afro-Jazz-Rock-Rhythm-and-Irgendwas“; Musik, die schlecht einzuordnen und großartig zu hören, zu fühlen ist. Kürzlich erschien das Album „Heat“, der Name ist Programm.

Langersehnte Begegnung
An dem lauen Juniabend in der Betonwüste fragt einer der Musiker nach dem Befinden des Publikums und freut sich über die Regenbogenfarben, in die das Gebäude hinter ihm anlässlich der Vienna Pride plötzlich getaucht ist. „Extra für uns!“ Er heißt Lukas Kranzelbinder und spielt an diesem Abend auch die Guembri, eine marokkanischen Laute. Sein zweites größeres Bandprojekt Interzone betreibt er gemeinsam mit Shake-Stew-Kollegen Mario Rom und Herbert Pirker. Demnächst sind Interzone beim Musikfestival Glatt & Verkehrt in einer ganz besonderen Kombination, nämlich mit dem Musiker Danyèl Waro und seiner Band, zu erleben, eine Tatsache, die vor allem der Beharrlichkeit von Lukas Kranzelbinder zu verdanken ist. Im Zoom-Interview schwärmt er von seiner langersehnten Begegnung mit dem von ihm heiß verehrten Waro, der auf La Réunion lebt und dort die Musikrichtung Maloya entscheidend prägte. Diese trägt starke Elemente von Dichtung und Tanz in sich. Vor neun Jahren hörte Kranzelbinder erstmals Waros Musik und war von da an fasziniert. Die Anfrage, ob man gemeinsam auftreten könne, schmetterte Waros Manager allerdings sofort ab: Lukas Kranzelbinder sei Jazzmusiker, das passe nicht zu Waro, so die Begründung. Eines Tages besuchte dieser ein Konzert seines Idols und ging danach einfach auf ihn zu. Plötzlich geriet etwas ins Rollen, und im Juni verbrachten Interzone eine Woche auf La Réunion, um mit Waro und seinen Kollegen gemeinsam ein Stück für Glatt & Verkehrt zu entwickeln.

Rhythmische Differenzen
Wenn Lukas Kranzelbinder über seine Vorbereitungsarbeit erzählt, wird schnell klar, wie intensiv er sich in die Sache stürzte: Er recherchierte über die Geschichte von La Réunion. Er las jedes Interview mit Waro, das er bekommen konnte. Er nahm trotz seiner Grundkenntnisse vier Monate Französischunterricht, um gut und vor allem ohne Übersetzer mit Waro, der kaum Englisch spricht, kommunizieren zu können. Selbstverständlich bereitete sich Interzone auch musikalisch auf das Treffen vor. Kranzelbinder: „Die Musik ist rhythmisch ganz anders als in Mitteleuropa, das ist nicht einfach für uns.“ Die konsequente Vorarbeit wurde belohnt: „Wir konnten sofort spielen und mussten uns nicht mit Grundsatzdingen befassen.“ Neben der Probe verbrachte der Musiker viel Zeit mit Waro, der ihn einlud und in die Kirche mitnahm. Dort wurde die ganze Messe über getrommelt. Kranzelbinder ist fasziniert von der Insel, wo so viele unterschiedliche Kulturen zusammenkommen: „Auf La Réunion vermischt sich alles. Das muss man feiern, anstatt nach dem Puren zu suchen.“

Interkontinentale Begegnung
Wie kommt der Musiker, dessen Band Shake Stew nicht nur mit dem Deutschen Jazzpreis als „Band des Jahres International“ ausgezeichnet, sondern auch von diversen Medien bis hin zum britischen „Guardian“ gelobt wurde, zu seinen Inspirationen? „Ich habe mich noch nie in meinem Leben hingesetzt mit dem Vorsatz zu komponieren. Da taucht etwas auf, und ich folge meinem Bauchgefühl. Man muss die Inspiration umarmen, wenn sie eintrifft.“ Er liebt, wie er sagt, „die Verbindung aus dem sehr Körperlichen in der Musik und dem Melodiösen, der polyphonen Musik.“ Die aktuelle „interkontinentale Begegnung“, wie es Glatt & Verkehrt ausdrückt, ist für ihn jedenfalls „eines der wichtigsten und erfüllendsten Projekte, die ich bisher gemacht habe.“ Diese Art, sich auf Neues, ganz Anderes einzulassen, passt gut zu Glatt & Verkehrt, wo der Bassist schon mehrfach gastierte. „Die meisten Festivals haben eine bestimmte Ausrichtung. Bei Glatt & Verkehrt gelang das Kunststück, ein genreoffenes Festival zu kreieren, wo extrem vieles Platz hat. Und die Leute gehen bei fast allem mit.“
Nina Schedlmayer