Beine angewinkelt, Kinn aufgestützt, Blick geradeaus: So sitzt die junge Frau inmitten ihrer Malerei. Und „inmitten“ ist in diesem Fall wörtlich gemeint. Denn fast jeder Zentimeter dieses Fotos ist von Malerei bedeckt. Auf einem der großformatigen Bilder hat sich Helen Frankenthaler niedergelassen, als der Fotograf Gordon Parks sie 1957 aufnahm. Damals war die Künstlerin gerade einmal 29 Jahre – und bereits im Olymp der New Yorker Kunstszene angekommen.
Im Zentrum der Malerei
Nicht nur in diesem Foto, sondern auch bei der Ausübung ihrer Kunst setzte sich die 1928 geborene Frankenthaler direkt ins Zentrum der Malerei. Inspiriert von dem weitaus älteren Kollegen Jackson Pollock, begann sie eines Tages, am Boden zu malen – und zwar auf ihre eigene Weise. Einen Einblick in ihr Oeuvre mit Fokus auf Arbeiten auf Papier gibt nun die Kunsthalle Krems. Deren künstlerischer Leiter Florian Steininger, ein ausgewiesener Experte für abstrakte Malerei, schreibt über die sogenannten Soak-Stain-Bilder, die ab 1952 entstanden: „Anstelle der Farbe als materielle Substanz dominieren nun Flüssigkeit und Transparenz. Unbehandelte Leinwände, während des Malens am Boden ausgebreitet, nehmen die verdünnte Ölfarbe auf, die von der Künstlerin großzügig verschüttet wird. Frankenthaler trägt die Farbe mit unterschiedlichen Werkzeugen auf: direkt aus Farbdosen geschüttet, mit Pinseln, Schwämmen, Wischmopps verteilt oder mit der Hand verstrichen.“ Ihr damals entstandenes Gemälde „Mountains and Sea“ war derart erfolgreich, dass es andere Künstler wie Morris Louis und Kenneth Noland inspirierte – und zwar gleich zu einer eigenen kunsthistorischen Richtung, dem Color Field Painting. In einem Interview erzählte Frankenthaler über einen Trip nach Nova Scotia, der sie zu „Mountains and Sea“ inspiriert hatte. „Als ich das Gemälde schuf, umarmte ich die Landschaften.”
Entwaffnend überschwenglich
Dabei hatte es Helen Frankenthaler alles andere als einfach gehabt, als sie 1950, nach Studien an Kunst-Colleges, in der Kunstszene New Yorks – sie war in der Stadt aufgewachsen – aufschlug. „Die Stadt war geprägt von künstlerischer Bedeutsamkeit und künstlerischem Machogehabe, exzessivem Alkoholkonsum und einem exzessiven Lebensstil“, schreibt die US-Autorin Mary Gabriel im Katalog zur Kremser Ausstellung. „Eine 21-Jährige wie Helen, die frisch von einem reinen Frauencollege kam, entwaffnend überschwänglich, verspielt und optimistisch war, konnte nicht erwarten, dort etwas auszurichten.“ Schon nach einem halben Jahr, noch lange, bevor ihr epochales „Mountains and Sea“ entstand, lud man sie zu einer Ausstellung in der berühmten Kootz Gallery ein, im Jahr darauf zur legendären Schau „9th Str. Exhibition of Paintings and Sculpture“, als eine von nur wenigen Künstlerinnen.
No risk, no fun
Dass sie sich als Frau nicht nur schon früh durchsetzte, sondern auch nach ihrem Tod 2011 als Ikone der US-Kunst im Kanon der Geschichte verblieb, macht sie zur Ausnahme – zu viele ihrer Kolleginnen vergaß der Kunstbetrieb allmählich. In ihrer Kunst war Frankenthaler „eine Revolutionärin“, wie Gabriel es ausdrückt. Sie selbst sagte 1965 zur Kunstzeitschrift Art Forum: „Ich würde eher eine hässliche Überraschung riskieren, als dass ich mich auf die Dinge verlasse, von denen ich weiß, dass ich sie beherrsche.“ Ihre Strategie war erfolgreich.
Nina Schedlmayer