Der Krieg ist noch nicht ganz angekommen. Im Kopf hat Kateryna Berlova ihn begriffen, aber tiefer drinnen erscheint er ihr noch irreal. So beschreibt die Künstlerin ihre momentane Gefühlslage. Als sie vor nicht allzu kurzer Zeit ihr Land verließ, rechnete sie nicht damit, dass dort bald Bomben fallen und Artillerien Wohnblocks beschießen würden.
Eigentlich hatte sie andere Pläne. Doch jetzt landete sie, nach einem Aufenthalt in Berlin, hier: in einer der Atelierwohnungen auf der Kunstmeile Krems des Programms AIR – ARTIST IN RESIDENCE Niederösterreich. Sie wohnt in einem hellen Raum im Dachgeschoss, der Blick gleitet über die Häuser hin zur Donau, ins Grüne.
Traumatisierung
Mitte Februar hatte Berlova in Kiew, wo sie an der Mykhailo Boichuk Akademie für angewandte Kunst und Design studierte und – eigentlich – wohnt, noch im Team des renommierten Künstlers und Filmemachers Julian Rosefeldt gearbeitet. Dann war sie zu Gast bei Freund*innen in Berlin. Dort sah sie ungläubig die Bilder eines Krieges, den viele Länder Europas nicht kommen sahen. Und beschloss, momentan nicht zurückzugehen.
Die Menschen in Berlovas Umgebung reagieren unterschiedlich auf den Krieg. „Manche wollen unbedingt in der Ukraine bleiben“, erzählt sie ask – art & science krems in ihrer Atelierwohnung. „Ein Freund sagt, dass er auf merkwürdige Art high sei. Ich halte das für das Ergebnis einer Traumatisierung durch den Krieg.“ Berlova, Mitte 30, trägt bei dem Gespräch einen Minirock und eine gestreifte Weste. Diese besorgte sie sich am Tag zuvor bei einer Kleiderausgabe für Geflüchtete in Wien. Als sie Kiew verließ, hatte sie Gewand nur für wenige Tage mit.
Hexenbesen aus Rosen
Die ukrainische Hauptstadt, deren Bevölkerung derzeit unter den schlimmsten Zuständen lebt oder bereits geflüchtet ist, ist Schauplatz einer bestechenden Videoarbeit von Kateryna Berlova. Sie heißt „I’ve always dreamt of flying“ und entstand 2021: Die Künstlerin geht in einem rosa Kleid durch die Stadt. Hinter sich schleift sie einen Strauß Rosen her, der immer kaputter wird – bis nur noch wenige Blumen übrig sind. Schließlich zündet sie auf einem Hügel mit Blick auf die Stadt ein Feuerwerk. „Der Rosenstrauß ist wie ein Hexenbesen“, erklärt die Künstlerin. „Für mich steht das für eine magische Energie.“ Im Feuerwerk manifestiert sich das Bedürfnis nach dem Feiern, ein scharfer Kontrast zu den zerstörten Rosen: so, als entlüde sich aufgestaute Energie. Nach Feiern ist Kateryna Berlova freilich momentan überhaupt nicht zumute. Sie ist froh über die Ruhe hier. „Ich bin jetzt lieber in Krems als in Wien, wo so viel los ist. Wenn ich ständig Leute sehen würde, die Party machen, käme mir das falsch vor.“
Verstopfte Ohren
Kürzlich titelte die deutsche „Zeit“: „Unsere Ohren waren verstopft“. Gemeint waren damit nicht nur politische Versäumnisse, sondern auch eine kulturelle Ignoranz. Angesichts von Berlovas Arbeiten fragt man sich ebenfalls: Wo wäre diese Künstlerin, wäre ihr Wohnsitz nicht in Kiew, sondern in London, Berlin oder New York? Würde sie vielleicht schon die eine oder andere Biennale rocken? Ihre Videoarbeiten quer über den Globus präsentieren? Von einer Galerie zur nächsten gereicht werden? Ihren künstlerisch virtuosen Umgang mit Räumen und Situationen bewies Berlova in einer Installation in einem Kiewer Auktionshaus. Dort fixierte sie einen Screen auf einem Lehnstuhl; das Video darauf zeigte eine Schnecke, die sich an Ort und Stelle bewegte – ein Bild im Bild, ähnlich wie ein Objekt, das sie dort vorfand und in dem ein Rahmen in einem Rahmen steckt, der in einem weiteren Rahmen… und so weiter.
Für ihre Residency hat Berlova nur einen Plan: den Ort auf sich zukommen lassen. Mit ihren ebenfalls geflohenen Landsleuten teilt sie eine schreckliche Empfindung. „Ich fühle mich fast schuldig denen gegenüber, die geblieben sind.“ Ihr Bruder lebt noch in Dnipr, wo sie beide aufwuchsen. Er darf wie fast alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren nicht ausreisen, ihre Mutter will ihn nicht verlassen. „In Dnipro ist es momentan halbwegs ruhig“, erzählt Kateryna Berlova. „Aber wer weiß wie lange?“ Inzwischen versucht sie, ihrer Kunst nachzugehen. Trotz allem.
Nina Schedlmayer