Bereits in der Monarchie waren Tabakverarbeitung und -vertrieb ein Monopol. Die „Österreichische Tabakregie“ betrieb u.a. die ab 1850 errichtete erste „Zigarrenfabrik“ in Stein an der Donau, in der heute die Kunsthalle Krems untergebracht ist. Warum gerade dieser Standort, darüber kann Edith Blaschitz nur spekulieren. Die Historikerin am Department für Kunst- und Kulturwissenschaften der Universität für Weiterbildung Krems nennt den Transportweg Donau, die Nähe zur Residenzstadt Wien, aber auch strategische Überlegungen zur Regionalentwicklung als mögliche Gründe. Produziert wurden keine Luxusprodukte, sondern leistbare Virginier-Zigarren.

Dokumentierte Frauengeschichte
Am spannendsten findet Edith Blaschitz die mit diesem Ort verbundene Frauengeschichte. Wiewohl Frauen mit Zigarren im 19. Jahrhundert eher als anrüchig galten, kamen für die Produktion Vertragsarbeiterinnen zum Einsatz. Die Arbeitsbedingungen waren übel. Es war eine schlecht bezahlte, wenig angesehene Arbeit für „geschickte kleine Hände“. Monarchieweit in die Schlagzeilen schafften es die Tabakarbeiterinnen mit ihrem Streik 1886. Weil eine Kollegin ungerechtfertigt entlassen wurde, legten die anderen Frauen spontan die Arbeit nieder („Das interessante Blatt“ vom 15. Juli 1886). Bis zu 500 Frauen wurden nach der Eröffnung binnen weniger Jahre angestellt. Es gab Personal-Aufrufe in der ganzen Monarchie für „weibliche Subjekte ab 12 Jahren“. In den 1930er-Jahren waren mehr als 1000 Frauen in der Fabrik beschäftigt. Vermutlich ein kleiner Clash of Cultures für das ländlich-bürgerliche Krems.

Wandel nach dem Ersten Weltkrieg
Nach der Zäsur des Ersten Weltkriegs wurde 1922 die neue, größere Tabakfabrik eröffnet. Der 12-Stunden-Tag war gewerkschaftlich durchgesetzt und um den Vorzeigebetrieb eine Infrastruktur der Fürsorge und Wohlfahrt errichtet mit Badeanstalt, Betriebsarzt, Kinderstation und Betriebskrippe (nach zwei Monaten hieß es für die Mütter zurück an die Arbeit), Hort und später auch einer Kantine, in der pensionierte Arbeiterinnen mitverköstigt wurden. Diese „neue Fabrik“ beherbergt heute das Hauptgebäude der Universität für Weiterbildung Krems. Edith Blaschitz gestaltete 2014 eine erste (inzwischen zu aktualisierende) Zeitreise-App, in die Aufnahmen eines Imagefilms für die vorbildliche Virginier-Produktion aus 1927 einflossen. Die Schauplätze zu rekonstruieren war gar nicht so einfach, da die riesige Produktionshalle heute in Büros und Hörsäle untergliedert ist. Meist half dann der Blick aus dem Fenster und die Verortung über Sichtachsen. Führungen mit Zeitzeuginnen brachten spannende Aspekte und neue Geschichten ans Licht.

Transformativer Ort
Der Niedergang der Tabakindustrie begann Ende der 1960er-Jahre. 1991 wurde die Fabrik zugesperrt. Bereits 1986 formierte sich eine Projektgruppe zur Nachnutzung. Wo damals die Arbeiterinnen gesessen sind und gemeinsam Lieder gesungen haben, setzen sich heute Studierende mit neuen Themen auseinander. Es ist gelungen, einen alten Industriestandort sinnhaft zu befüllen. Auch die Wohnhausanlagen für die Tabakarbeiterinnen, gebaut in den 1920er- und 1950er-Jahren, prägen das Stadtbild bis heute – mit den letzten Arbeiterinnen und immer neuen Studierenden Tür an Tür.

3 Antworten
Über die Standortwahl jeder der insgesamt 30 Tabakfabriken im Gebiet der Donau-Monarchie braucht eigentlich nicht spekuliert zu werden, da die Standorte von der Österreichischen Tabakregie immer sehr bewusst aus mehreren wirtschaftlichen Gründen gewählt wurden, so auch in Stein – nachzulesen (wie die gesamte Geschichte der (neuen) Tabakfabrik Stein) in
PLÖCKINGER, Veronika: Geschichte der Tabakfabrik. Sozial- und Kulturgeschichte der Zigarrenfabrik Stein an der Donau und ihrer sozialen Einrichtungen. In: Klinger, Alberich u.a. (Hg.): Von der Tabakfabrik zur Donau-Universität Krems. Krems 2000, S. 9-79. (Veröffentlichung der Diplomarbeit von 1996)